Startseite > Schweizer Parteien > Grüne > Grüne 2000-2009

Werner Seitz

Zwanzig Jahre Grünes Bündnis Bern: «Das Grüne Bündnis Bern und die Grünen 1987 – 1997 – 2007»[1]
in Grünes Bündnis (Hg.), Zwanzig Jahre bewegt. Grünes Bündnis 1987–2007, Bern 2007, S. 26–33.


==> pdf

 Mit der Gründung der „Grünen Kanton Bern“ durch die Orts- und Regionalparteien des Grünen Bündnis (GB) und der Grünen Freien Liste (GFL) hat im Kanton Bern eine jahrzehntelange Geschichte von Abgrenzung und Wettlauf im rot-grünen Segment jenseits der SP ihren Abschluss gefunden, auch wenn heute noch einige Kleingruppierungen wie die GPB/DA oder die PdA bestehen.

Der folgende Text blickt noch einmal zurück auf die zwanzig Jahre, seit denen das GB Politik macht, wobei dieser Blick auch zu den Grünen in der Schweiz, im Kanton Bern und in der Stadt Bern schweift.

1987: Aufbruch…

Als 1987 das GB Bern gegründet wurde, war ganz Westeuropa am „Ergrünen“, und die Sensibilität gegenüber ökologischen Themen war gross. Dazu hatten nicht zuletzt Umweltkatastrophen wie der Reaktorbrand in Tschernobyl und der Chemieunfall in Schweizerhalle beigetragen. Ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland, wo sich „Realos“ und „Fundis“ teilweise heftig in den Haaren lagen, wetteiferten in der Schweiz die als bürgerlich eingeschätzten Grünen der GPS (sogenannte „Gurken“) und die Alternativ-Grünen (sogenannte „Melonen“) um die Hegemonie in der grünen Bewegung.

Im Kanton Bern war die politische Stimmung insofern speziell, als seit 1986, nach einem kapitalen Fehler der übermütigen FDP, die erste rot-grüne Kantonsregierung der Schweiz am Wirken war. Im Grossen Rat verfügte Rot-Grün allerdings nur über einen Drittel der Mandate. Das grüne Terrain besetzten im Kanton Bern zu dieser Zeit die „Urgrünen“ der Demokratischen Alternative (heute GPB) sowie die Freie Liste (FL). Letztere hatte sich 1983 um Leni Robert und weitere dissidente FDPlerInnen gebildet. Im Zuge der Berner Finanzaffäre etablierte sich die FL zur eigentlichen grünen Vertreterin im Kanton Bern. Das GB wurde im Vorfeld der Nationalratswahlen 1987 gegründet. Es positionierte sich, aufgrund seiner mehrheitlichen Verwurzelung in der 68er-Linken (SAP, POCH), im links-grünen Segment und verstand sich als Teil der Alternativ-Grünen der Schweiz.

… und Ernüchterung

Gross waren die Hoffnungen im Vorfeld der Nationalratswahlen 1987,  welche eine ökologische Wende bringen sollten. Das Ergebnis war dann allerdings ernüchternd: Die Grünen erzielten zwar mit 8,6% und 13 Nationalratsmandaten ihr bisher bestes Wahlergebnis. Die SPS aber verzeichnete im Gegenzug ihr schwächstes Resultat seit 1919 (18,4%), sodass das rot-grüne Lager insgesamt etwa gleich stark blieb wie bei den drei Nationalratswahlen zuvor.

Die „Hoffnungswahlen“ entschieden aber zwischen den beiden grünen Formationen: Die GPS holte mit einer Parteistärke von 4,9% 9 Nationalratsmandate, während die alternativ-grünen Formationen und die POCH zusammen bei 4 Mandaten sitzen blieben (Parteistärke: 3,7%); dies reichte nicht zur Bildung einer Fraktion, womit das nationale Projekt einer dritten Kraft neben SPS und GPS gestorben war. Die meisten grossen Kantonalparteien der Grün-Alternativen (Luzern, Basel-Landschaft, St. Gallen und Aargau) wechselten in der Folge zur GPS.

Im Kanton Bern schnitten die Grünen bei den Nationalratswahlen 1987 mit insgesamt 11,8% überdurchschnittlich gut ab. Klar in Führung lag mit einer Parteistärke von 7,1% die FL, gefolgt vom GB (2,6%) und der DA/GPB (2,1%). Einzig die FL holte Mandate (3); der alternativ-grüne Sitz von Barbara Gurtner ging verloren.

Nach diesem wenig geglückten Start vermochte sich das GB immerhin in der Stadt Bern 1988 bei den Parlamentswahlen mit 4 Mandaten und einer Parteistärke von 4,6% zu etablieren.

 

1997: Lokale Konsolidierung und das Konzept der Aequidistanz

Als das GB 1991 erneut den Einzug in den Nationalrat verpasste, konzentrierte es sich auf die lokale Ebene, wo es weitere Erfolge verbuchen konnte. Im Berner Stadtrat baute es bis 1996 seine Mandatszahl auf 7 aus (mit den 2 Mandaten der Jungen Alternative, JA! gar auf 9), und mit einer Parteistärke von über 10% überholte es die FL, die sich in der Stadt 1991 mit dem Jungen Bern zu JB/FL zusammengeschlossen hatte.

Der grosse lokalpolitsche Meilenstein war für das GB der Wahlsieg der RotGrünMitte-Parteien (RGM) von 1992. Das GB hatte nicht nur massgebend zum Zustandekommen dieses Parteienbündnisses beigetragen, es stellte mit Therese Frösch auch das Aushängeschild der neuen RGM-Regierungsmehrheit. Dieser Wahlsieg bestärkte das GB in seiner Rolle als lokaler Kraft, und es war bald die Rede von der Äquidistanz zu SPS und GPS, womit gemeint war, dass man sich organisatorisch weder mit SPS noch GPS näher einlassen wolle.

In den Neunzigerjahren gerieten die Grünen schweiz- und europaweit in ein Tief: Die Wirtschaftskrise liess die ökologischen Themen in den Hintergrund rücken, was bei den Grünen zu beträchtlichen Verlusten von Wählerstimmen führte. Zudem besetzte die SPS unter der Regie von Peter Bodenmann zunehmend grüne und alternative Themen, was sich per saldo in einem Stimmentransfer von den Grünen zur SPS bemerkbar machte: Die Grünen erreichten bei den Nationalratswahlen 1995 nur noch eine Parteistärke von 6,5% (und 10 Mandate), 1999 gerade noch 5,5% (9 Mandate), die SPS dagegen steigerte ihre Parteistärke entsprechend und erhob offensiv den Alleinvertretungsanspruch im rot-grün-feministischen Segment.

Auch im Kanton Bern ging die Parteistärke der Grünen zurück (auf 6,8%), wobei die Verluste auf Kosten der GFL gingen, während sich das GB halten konnte. In der Stadt Bern aber war es das GB, das 2000 etwas schwächer wurde (9,5%). Die GFL vermochte sich dagegen leicht zu steigern (auf 5,9%), wohl auch weil sich 1998 der Stadtberner Landesring der Unabhängigen (LdU) der GFL angeschlossen hatte.

 

2007: Die Grünen auf Erfolgskurs

Diese Krise der Grünen in der Schweiz bewirkte auch deren Revitalisierung: Sie erweiterten ihr politisches Repertoire um soziale Themen und positionierten sich zunehmend auch links der SPS. Damit zeigte sich die GPS als eine Partei, die auch in Zeiten wirtschaftlicher Krise etwas zu sagen hatte. Dieser Wandel erleichterte es alternativ-grünen Formationen wie dem GB Bern oder der Basler BastA! der GPS beizutreten. Diese Neuorientierung trug erste Früchte mit Wahlsiegen in der Romandie. Ab 2003 wiederholten sich diese Erfolge in der Schweiz flächendeckend. Verstärkt wurde dieser Trend zu Gunsten der Grünen auch durch die verbesserte Wirtschaftslage, die Diskussionen über die Klimakatastrophe und, namentlich in den Städten, die schwächelnde FDP.

Heute präsentieren sich die Grünen so gut wie bei ihrem Höhenflug vor zwanzig Jahren: Bei den Nationalratswahlen 2003 verzeichneten sie eine Parteistärke von 7,9% (14 Mandate). Die Verankerung der Grünen ist heute aber bedeutend besser. So politisieren sie unter einem gemeinsamen Dach und sind nun in fast allen Kantonen etabliert; in 6 Kantonen und mehreren Dutzend Gemeinden und Städten sind sie zudem an den Regierungen beteiligt.

Im Kanton Bern steigerten sich die Grünen von 9,1% (2002) auf 12,9% (2006), und in der Kantonsregierung schafften sie 2006 den Einzug in die Regierung, wo sie zusammen mit der SP die Mehrheit bilden.

Die Grünen legten aber auch in der Stadt Bern beträchtlich zu, womit Bern weiterhin eine Hochburg der Grünen darstellt: Sie steigerten sich bei den Stadtratswahlen von 16,9% (2000) auf 25,3% (2004) und bei den Grossratswahlen 2006 gar auf 29,7%. Diese Steigerung bewirkte vor allem die GFL (von 8,6% auf 17,5%); das GB trug immerhin 12,2% zu dieser ansehnlichen Parteistärke bei.

 

Zur aktuellen Situation der Grünen Kanton Bern

Vor zehn Jahren hatte ich in meinem Beitrag zum 10-Jahres-Jubiläum des GB das Konzept der Aequidistanz zu SPS und GPS kritisiert und dem GB nahegelegt, sich einer nationalen Formation anzuschliessen: der SPS oder der GPS.[2] Seither hat sich einiges bewegt: So ist das GB nicht nur seit 2002 Vollmitglied bei der GPS, es hat sich mittlerweile mit der GFL im Kanton Bern zu den Grünen Kanton Bern zusammengeschlossen.

Die vom GB einst beargwöhnten Nachteile eines Beitritts zur GPS und eines Zusammengehens mit der GFL haben sich nicht eingestellt. Im Gegenteil: Bei den Nationalratswahlen 2003 holte das GB beide grüne Nationalratsmandate, und in der Berner Stadtregierung vermochte es seinen Sitz zu halten. Wichtig für das Zusammengehen der beiden grünen Formationen war aber auch, dass mit der Wahl von Bernhard Pulver in die Berner Kantonsregierung die GFL zum Zug kam.

 

Zu GB und GFL in der Stadt Bern

Wie verhält es sich in der Stadt Bern mit der GFL und dem GB, die weiterhin selbstständig unter dem gemeinsamen Dach der Grünen Kanton Bern politisieren wollen? Sind sie so verschieden, wie gelegentlich behauptet wird?

1) GB und GFL im Spiegel der Abstimmungsparolen (1995–2005)

Bei den 120 Volksabstimmungen, die von 1995 bis 2005 in der Stadt Bern stattfanden, gaben GB und GFL 10-mal eine unterschiedliche Abstimmungsempfehlung aus; 6-mal differierten die Empfehlungen grundsätzlich (ja/nein). Bei den kantonalen (29) und eidgenössischen (106) Abstimmungsvorlagen gab es 3 bzw. 2 grundlegende Abweichungen. Insgesamt wurden also zu weniger als 5% grundlegend andere Abstimmungsparolen ausgegeben. Die Unterschiede betrafen die Themen Finanz-, Bau- und Planungspolitik, Sozialpolitik und Wirtschaftsliberalisierung (Züst 2006, S. 55 ff.; siehe Fussnote 3).

2) GB und GFL aus Sicht der Mitglieder[3]

Anhand von Umfragedaten, die Peter Züst bei den Mitgliedern von GFL und GB erhoben hat, können – für die Stadt Bern nochmals ausgewertet – viele Gemeinsamkeiten festgestellt werden, namentlich im ökologischen Bereich. Unterschiede bestehen jedoch etwa in der Positionierung der Mitglieder auf der Links–rechts-Skala (von 0 bis 10): Auf dieser verorten sich die GB-Mitglieder im Durchschnitt bei 1,7, die GFL-Mitglieder bei 3,2 (im Kanton: GB 2,1; GFL 3,0). Sachpolitisch vertreten die GFL-Mitglieder namentlich in Fragen von Law and Order, der AusländerInnenpolitik und der wirtschaftlichen Liberalisierung härtere Positionen. Dagegen plädieren die GB-Mitglieder etwa stärker für den Ausbau des Sozialstaates.

3) Das Panaschierverhalten der Wählenden der Grünen

Die Panaschierstatistiken für die Nationalrats-, Grossrats- und Stadtratswahlen zeigen nicht nur, dass das GB einen regen Panaschierstimmentausch mit den linken Parteien und Gruppierungen hat, sie zeigen auch, dass die GFL seit zwanzig Jahren die weitaus meisten Panaschierstimmen aus dem linken Lager erhalten hat und auch die meisten Panaschierstimmen an das linke Lager abgegeben hat. Immerhin, auch das ist aus den Panaschierstatistiken ersichtlich, ist die GFL von den rot-grünen Parteien jene Partei, die am ehesten Panaschierstimmen von den bürgerlichen Parteien erhält, vor allem von den FDP-Frauen-Listen.

4) Schlussfolgerung

Zwischen GB und GFL gibt es also sehr viel Gemeinsames. Es gibt aber auch Unterschiede, sie wurden oben erwähnt. Derartige Unterschiede kennen alle grossen Parteien, auch die grünen Parteien; sie manifestieren sich meistens in Form von Parteiflügeln. In der Stadt Bern materialisieren sich gewissermassen diese Flügel im GB und in der GFL. Da diese zudem beide je ihre eigenen historischen Wurzeln haben, wirkt ihre unterschiedliche Geschichte besonders stark nach und dient den PolitikaktivistInnen und vor allem der politischen Elite als wichtige Referenzinstanz.

Solche Unterschiede können für eine Partei oder Bewegung eine Stärke sein, wenn sie den gemeinsamen Nenner nicht aus dem Blickwinkel verliert und wenn sie diese Unterschiede als Ergänzung betrachtet. Gerade angesichts einer Parteienstärke von fast 30%, welche GB und GFL in der Stadt Bern zurzeit auf sich vereinigen, muss eine solche Zweiteilung nicht beunruhigen. Mit Blick auf den derzeitigen Zustand der bürgerlichen Parteien dürfte das urbane Segment von zwei grünen Formationen sogar besser angesprochen werden. Bilden sich jedoch diese Unterschiede zu sektiererischen Tendenzen aus, dürfte dies, namentlich wenn sich diese auf die kantonale und die eidgenössische Ebene übertragen sollten, zu Spaltung und Marginalisierung führen.

Fazit: Starke Frauen, personelle Erneuerung und inhaltliche Konstanz

Wird abschliessend noch GB-intern ein Blick zurück geworfen, so fällt auf, dass sich in den vergangenen zwanzig Jahren das „Politpersonal“ des GB stark erneuert hat, wobei die noch aktiven PionierInnen etwas mehr im Hintergrund wirken. Das GB hat offensichtlich seine Ausstrahlung und Faszination für junge Polit-Interessierte behalten, was es ihm auch ermöglichte, seine personelle Basis zu verbreitern.

Was bei einem Blick auf die GB-Personen ebenfalls auffällt, ist, dass es fast immer Frauen waren, die an den wichtigen Stellen standen und stehen und welche als „Erkennungspersonen“ des GB figurieren. Das GB dürfte wohl auch die einzige Partei sein, bei der seit jeher sämtliche Delegationen in die Parlamente mehrheitlich von Frauen besetzt waren.

Unverändert geblieben sind beim GB die inhaltlichen Werte und der Politikstil. Letzterer zeichnet sich durch die ausserordentliche Beharrlichkeit aus, mit der das GB darauf achtet, dass grüne Politik nicht in den Institutionen erstarrt, sondern auch in ausserparlamentarischen Bewegungen verankert bleibt.


 

 

 


 


 


 

[1] In Erinnerung an Roland Felber, den Politikbegeisterten, der mir nicht nur ein lieber Freund, sondern fast zwei Jahrzehnte lang auch ein kritischer Gesprächspartner und ein ebensolcher Lektor meiner Texte über Politik gewesen ist.

[2] Werner Seitz, „Anmerkungen zu Geschichte und zu den Zukunftsperspektiven des Grünen Bündnis“, in Zehn Jahre bewegt. Grünes Bündnis 1987–1997, Bern 1997, S. 10-15.

[3] Herzlichen Dank an Peter Züst, der mir die Umfragedaten seiner Lizentiatsarbeit zur Verfügung stellte (Angaben zur Arbeit: Peter Züst, Die Grüne Freie Liste und das Grüne Bündnis im Kanton Bern: Parteimitgliedschaft und Politikeinstellung der Mitglieder im Vergleich, Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern, 2006).