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    Werner Seitz*

    Anmerkungen zur Geschichte und zu den Zukunftsperspektiven des Grünen Bündnis (GB),
    in Grünes Bündnis (Hg.), Zehn Jahre bewegt. Grünes Bündnis 1987–1997, Bern 1997, S. 10–15.


    Der vorliegende Artikel ist trotz seines Anlasses – des 10jährigen Jubiläums des GB – kein «Schulter Klopfen»-Artikel. Er ist ein Versuch, das GB aus seiner Geschichte heraus zu verstehen, seine Stärken zu würdigen und auch seine Schwächen zu benennen. Weiter werden die politischen Optionen skizziert.

    1. Das Grüne Bündnis heute
    Das GB ist – nach der SP, der FDP und der SVP – die viertstärkste Partei in der Stadt Bern; unter den RotGrünMitte-Parteien stellt es die zweitstärkste Kraft dar (siehe dazu auch die Tabelle mit den Parteistärken am Schluss dieses Aufsatzes). Von seiner Programmatik her fährt das GB auf zwei Schienen: auf einer roten und auf einer grünen, und je nach Vorliebe der einzelnen ExponentInnen wird mehr das Soziale oder mehr das Ökologische zur Richtschnur politischen Handelns gemacht. Selbstverständlich geworden sind im GB auch die feministischen Postulate; seine wichtigsten Posten hat das GB mehrheitlich mit Frauen besetzt und in der Tagespolitik des GB sind der soziale, der ökologische und der feministische Blick gleichwertig. In den Hintergrund getreten ist dagegen das vierte programmatische Standbein des GB von 1987, die Solidarität mit der Dritten Welt. Dieser Verlust hängt mit dem Scheitern des nationalen Projekts «Grünes Bündnis Schweiz» zusammen, welches das GB zum Rückzug in die bernische Lokalpolitik bewegte.
    Etwas überraschend – zumindest für jene, welche die Wurzeln des GB kennen – ist der geringe Stellenwert, den ideologische Entwürfe und Debatten beim GB einnehmen. Sie haben einem hartnäckigen Pragmatismus Platz gemacht, der sich unter auch anderem in einer besonderen Stärke des GB äussert: seiner Bündnisfähigkeit. Diese war besonders gefragt, als in den frühen neunziger Jahren in der Stadt Bern das RGM-Bündnis entwickelt und gefestigt wurde.
    Dieses RGM-Bündnis, von der SP angeregt, brachte zwar allen Beteiligten Vorteile, verhalf es doch den sozialpolitisch und ökologisch engagierten Kräften zur politischen Mehrheit. Die grosse Nutzniesserin des Bündnisses war jedoch das GB: Es nützte von Anfang an die Gelegenheit, in einem für die Schweiz einzigartigen und mehrheitsfähigen politischen Bündnis eine treibende Kraft zu sein, und kommunizierte rege mit der interessierten Öffentlichkeit. Dazu kam, dass es dem GB gelang, mit Therese Frösch eine charismatische Exponentin in der Regierung zu delegieren, was wiederum positiv auf das GB zurückstrahlte. Ohne die Verdienste der anderen Parteien zu schmälern, möchte ich die These aufstellen, dass RGM nicht zustande gekommen wäre bzw. nicht überlebt hätte ohne das GB;  ich denke aber auch, dass der umgekehrte Schluss Geltung hat: Ohne RGM wäre das GB nie zu jener politischen Kraft geworden, die es heute darstellt.1)
    Ein Wermutstropfen bleibt: Das GB, vor zehn Jahren angetreten, um mit Verbündeten ein nationales links-grünes Projekt – neben SPS und GPS – aufzubauen, ist mit diesem Vorhaben gescheitert. Anstatt als Teil einer nationalen Formation auch kommunale Politik zu betreiben, ist das GB zu einer lokalen Formation geworden, wenn auch durchaus mit einer sympathischen Ausstrahlung und unter optimaler und phantasievoller Ausnützung der Möglichkeiten, welche Kommunalpolitik zulässt.

    2. Ein Blick zurück: Zur nationalen Entwicklung der Grünen aus der Perspektive des GB
    Der «Rückzug» des GB in die Berner Lokalpolitik kann nur vor dem Hintergrund der nationalen Entwicklung der verschiedenen grünen Formationen in den achtziger Jahren verstanden werden; dieser wird im folgenden skizziert.2)

    Vorgeschichte.
    Die ersten grünen Formationen entstanden in den siebziger Jahren, vor allem in der französischsprachigen Schweiz und in den Städten der Deutschschweiz; sie waren zur Hauptsache kritisch gegenüber der wachstumsfixierten Industriegesellschaft eingestellt und verstanden sich als «weder links noch rechts, sondern vorne» stehend. Als zu Beginn der achtziger Jahren die ökologischen Themen in der Politik immer zentraler wurden, rückten denn auch die Grünen ins Zentrum des politischen Interesses, während die 68er Parteien, namentlich die POCH (Progressive Organisationen der Schweiz) und die RML (Revolutionäre Marxistische Liga), an Attraktivität verloren. Diese gingen in der Folge über ihre Bücher: Die POCH verabschiedete sich vom Marxismus-Leninismus, gab sich die neue Bezeichung POCH-Grüne und arbeitete gezielt auf den Zusammenschluss aller ökologischen, nicht-nationalistischen Kräfte hin («Konzept des grünen Bogens»). Die RML benannte sich in Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) um, lancierte eine eidgenössische Volksinitiative «für eine gesicherte Berufsbildung und Umschulung» (Lehrwerkstätten-Initiative) und engagierte sich in der Armeeabschaffungsbewegung.
    Im grünen Segment hatten sich für die Nationalratswahlen 1983 zwei nationale grüne Formationen gebildet: die gemässigte «Föderation der grünen Parteien in der Schweiz (GFS)» (die heutige GPS) mit Schwergewicht in der Westschweiz und die linke «Grüne Alternative Schweiz (GRAS)», die mehr in der Deutschschweiz verankert war. Erstere erlangte bei den Nationalratswahlen 1983 3 Mandate, während letztere leer ausging. Für viele politisch Interessierte wurden diese beiden Formationen zu wichtigeren Referenzinstanzen als die alten 68er Parteien POCH oder SAP, welche auch nach ihrem «Umbau» ihre Attraktivität nicht merklich zu steigern vermochten; auch machte sich bei POCH und SAP eine gewisse «Überalterung» bemerkbar. Bei Teilen der POCH setzte zudem ein interner Auflösungsprozess ein, und immer stärker wurde darauf gedrängt, sozialistische Ideen fallenzulassen und mit den Grünen zusammenzugehen; diese Bestrebungen wurden jedoch von der GFS (GPS zurückgewiesen. Demgegenüber verfolgte die SAP das Konzept einer dritten, links-grünen Kraft neben SPS und GFS (GPS).

    Das Projekt «Grünes Bündnis Schweiz».
    Mitte der achtziger Jahre präsentierte sich das grüne und links-grüne Segment in unübersichtlicher Vielfalt: Es gab die gemässigte GFS (GPS), die linke GRAS sowie eine Reihe von lokalen grünen Gruppierungen; zu diesen stiessen nun noch POCH-Grüne mit einem Hang zur Vernetzung aller Grünen und die SAP mit der Idee eines links-grünen Projekts. Die Unübersichtlichkeit vergrösserte sich, weil die verschiedenen POCH- und SAP-Sektionen von Kanton zu Kanton unterschiedliche Strategien einschlugen. Einige wie z. B. die POCH Luzern und die SAP Zug «mutierten» fast integral zu einem Grünen Bündnis bzw. zur Sozialistisch-Grünen Alternative (SGA), andere blieben noch für geraume Zeit autonom (z. B. die POCH in Basel und Zürich), arbeiteten aber mit den alternativen Grünen zusammen. In Bern kamen POCH und SAP 1987 überein, zusammen mit interessierten Dritten ein Grünes Bündnis zu gründen und sich mit einer Grünen Liste an den Nationalratswahlen 1987 zu beteiligen – auch mit dem Ziel, den POCH-Grüne-Sitz von Barbara Gurtner zu retten. Die «Hoffnungswahlen von 1987» verstärkten jedoch den bisherigen Trend: Zur stärksten Partei wurde die GPS (sie brachte es auf 9 Sitze im Nationalrat); sie lag damit deutlich vor POCH-Grüne (2 Sitze: ZH, BS) und den alternativen Grünen (2 Sitz2: BL, AG).
    Der Start des GB Bern war somit alles andere als ein Traumstart: Das Mandat von Barbara Gurtner ging – nicht unerwartet (wegen dem Fehlen der traditionellen Listenverbindung mit den jurassischen Separatisten) – verloren, und das Projekt eines nationalen «Grünen Bündnis Schweiz» erlitt Schiffbruch. Um so bemerkenswerter war die Hartnäckigkeit, mit der das GB in Bern seinen Aufbau vorantrieb und auch die Abspaltung eines Teils der POCH verkraften konnte, welcher nach dem Scheitern der Option «Grünes Bündnis Schweiz» versuchte, die POCH nochmals zu beleben.
    Im Nationalrat drängte die POCH sogleich auf eine grosse grüne Fraktion, was die GPS jedoch erneut zurückwies. Nachdem Werner Carobbio vom Tessiner PSA, dem früheren Fraktionspartner der POCH, in die SPS-Fraktion gewechselt war und nachdem sich Hanspeter Thür, der grüne Aargauer Nationalrat, geweigert hatte, den PdA-Vertreter aus Genf in eine allfällige Fraktion aufzunehmen, standen die zwei PöchlerInnen und zwei alternativen Grünen ohne Fraktion da. Thür trat sogleich in die GPS-Fraktion ein und später folgte ihm die Baselbieterin Susanne Oberholzer-Leutenegger. Auch die meisten grossen Kantonalparteien der Grün-Alternativen (Luzern, Basel-Landschaft, St. Gallen und Aargau) wechselten nun zur GPS. Das Projekt eines «Grünen Bündnis Schweiz» rückte somit in weite Ferne, während die GPS durch den Beitritt der Grün-Alternativen vor allem in der Deutschschweiz stärker wurde und politisch nach links rutschte.

    Rascher Erosionsprozess
    Die verbliebenen Grün-Alternativen und die POB (POCH Basel) unternahmen einen letzten Anlauf für ein nationales Projekt bei den Nationalratswahlen 1991, zu denen sie als Wahlbündnis «DACH (Die andere Schweiz)» antraten. Es reichte zu einem einzigen Mandat (FraP! ZH), deren Inhaberin in der SPS-Fraktion Einsitz nahm. Das GB Bern ging erneut leer aus. Die GPS war dagegen weiter auf Siegeskurs: Sie gewann 5 Sitze hinzu und brachte es – nicht zuletzt dank den zu ihnen gekommenen alternativen Grünen – auf 14 Mandate, wodurch sie im Nationalrat zur stärksten Nicht-Regierungs-Partei wurde.
    Für die Nationalratswahlen 1995 schliesslich brachten die alternativen Grünen und die Feministinnen nicht einmal mehr eine «anständige» Wahlallianz zustande: Es kandidierten in fünf Kantonen feministische Frauenlisten («Unabhängige Feministische Frauenlisten; UFF»); dazu kamen einige versplitterte Grün-Alternative sowie einige – eher gewerkschaftlich orientierte – Listen mit der Bezeichung «Solidarität». Die FraP! vermochte ihr Mandat zu halten und das GB Bern gewann ein Mandat. Bei der GPS aber wurde nun deutlich sichtbar, was sich in den Kantonen seit einiger Zeit abgezeichnet hatte: Die GPS war auf der Verliererstrasse und musste der SPS zurückgeben, was sie ihr in den achtziger Jahren entrissen hatte. Im Nationalrat schmolz die GPS-Delegation von 14 auf 8.
    Trotz ihrer misslichen Situation erhielt die GPS nach den Nationalratswahlen 1995 weiter Zulauf: Ehemalige alternative Grüne sind ihr beigetreten oder haben bei ihr den Beobachterstatus beantragt, so die Grünen in Solothurn, Freiburg, Wallis, Graubünden und auch die BastA!, jenes links-alternatives Sammelbecken in Basel-Stadt. Grössere links-grüne Formationen, mit denen also die dritte Kraft neben GPS und SPS aufgebaut werden könnte, gibt es somit – neben Bern – nur noch in Zug und in der Waadt.
    Mit diesem Exkurs soll verständlich gemacht werden, weshalb das GB in Bern eine lokale Kraft wurde: Der dritte Weg neben GPS und SPS scheiterte am Mangel und Desinteresse nationaler PartnerInnen. Dies dürfte, so wie sich die Lage präsentiert, auch für die kommenden Jahre Gültigkeit haben, sind doch fast alle ehemalige alternative Grüne und andere Linke in die GPS (oder in die SPS) eingetreten.

    3. Mögliche Strategien des GB
    Unter den gegenwärtigen Bedingungen gibt es für das GB vier mögliche Wege: Zwei, welche sich mit dem gegenwärtigen «provinziellen» Zustand zufrieden geben, und zwei, welche sich einer verwandten Partei mit nationaler Struktur anschliessen. Im folgenden werden pro- und contra-Überlegungen zusammengestellt.

    * Den lokalen Bezug akzeptieren und eine gute Lokalpolitk machen (mit Modellcharakter für andere Städte)
    Wie eingangs erwähnt, hat das GB innerhalb des RGM-Bündnisses eine wichtige Funktion. Warum also nach – wie die Geschichte zeigt – Unmöglichem streben (will heissen: eine nationale links-grüne Formation aufbauen) und dabei womöglich die Arbeit im RGM-Bündnis, das Modellcharakter auch für andere Städte hat, vernachlässigen?
    Mit der lokalen Option bleibt das GB aber eine lokale politische Formation. Solche können zwar durchaus über längere Zeit Bestand haben, wie etwa die Beispiele aus der näheren Umgebung zeigen («Junges Bern» und «Freie Bieler Bürger»; das «Junge Bern» brachte es mit seiner nonkonformistischen Politik immerhin auf fast 40 Jahre, was wohl eine Höchstleistung darstellt). Häufig sind die lokalen Formationen an eine besondere politische Problematik gebunden und stark von einzelnen Persönlichkeiten geprägt und in einem gewissen Sinn sogar von diesen abhängig.

    * Auf bessere Zeiten warten – trotz Wolf Biermann
    Diese Option ist in einem gewissen Sinn eine Erweiterung der lokalen Option: Parallel zur Lokalpolitik kann versucht werden, sich mit den noch verbliebenen Gleichgesinnten in der Schweiz zu vernetzen und abzuwarten, bis die SPS an Schwung verloren hat, oder bis die Unzufriedenheit mit der GPS weiter zunimmt, und das Projekt einer dritten Kraft neben SPS und GPS nochmals spruchreif werden könnte. Die Geschichte zeigt jedoch, dass auch Oppositionen veralten (vgl. dazu den Aufstieg und Fall der grössten Oppositionspartei der Schweiz, des LdU). Gegen die «Warten»-Option spricht zudem, dass der Kreis der verbliebenen Alternativ-Grünen immer kleiner wird; die meisten wenden sich – trotz der Kritik an der GPS – dieser zu.
    Bei beiden lokalen Optionen besteht längerfristig die Gefahr der «Provinzialisierung» des GB. Das GB ist von der nationalen (und erst recht von der internationalen) Politik ausgeschlossen: Es vermag weder eidgenössische Volksinitiativen zu lancieren noch Referenden zu ergreifen – was gerade für GB-Leute, denen die direkte Demokratie besonders wichtig ist, frustrierend sein dürfte. Dazu kommt, dass sich manche Mitglieder des GB nicht mit Lokalpolitik begnügen; sie engagieren sich in nationalen Projekten (Gewerkschaften, Umweltschutzverbände, GSoA etc.). Der nationale und internationale Aspekt der Politik wird von diesen GB-Mitgliedern einfach «privatisiert».

    * Anschluss an die SPS
    Für die dritte Option «Anschluss an die SPS» spricht die Überwindung des in Option 1 und 2 beklagten Mangels an nationaler (und internationaler) Perspektive. Programmatisch dürften zwischen SPS und GB kaum unüberwindbare Differenzen bestehen. Dazu kommt, dass die SPS seit einigen Jahren in Hochform ist, Wahlen um Wahlen gewinnt und die politische Agenda in der Schweiz massgebend mitbestimmen kann – dies könnte einen Anschluss zusätzlich schmackhaft machen.
    Es ist jedoch daran zu erinnern, das das GB eine städtische und zu den Bürgerlichen in Opposition stehende Gruppierung ist, während die SPS in den meisten Fällen als Juniorpartner in mehrheitlich bürgerlich bestimmte Regierungen eingebunden ist. Aufgrund der Geschichte wissen wir ferner auch, dass selbst radikale Parteien mit der Zeit lahm und träge werden, neue politische Fragen und Probleme verkennen oder nicht mehr bemerken. Um dem entgegenzuwirken, ist der Druck politisch verwandter Parteien elementar. Für die SPS waren in den achtziger Jahren die Grünen die verdienstvollen KonkurrentInnen; sie luchsten der SPS solange Stimmen ab, bis sich diese zu einer ökologischen und frauenfreundlichen Partei gewandelt hatte. Ich denke, die SPS verdient weiterhin eine konkurrierende Kraft, die sie – unter Androhung von Stimmenverlusten – von aussen auf Trab hält. 3)

    * Anschluss an die GPS
    Für diese Option spricht – wie für den Anschluss an die SPS – die Möglichkeit einer nationalen (und internationalen) Politik. Auch die programmatischen Vorstellungen zwischen GPS und GB dürften nicht fundamental verschieden sein. Die GPS könnte dem GB insofern auch eher als die SPS entsprechen, als ihr Oppositionscharakter ausgeprägter ist. Zudem finden sich in der GPS viele Personen aus dem ehemaligen grün-alternativen Milieu.
    Nicht gerade attraktiv ist ein Anschluss an die GPS angesichts der Tatsache, dass sich die GPS seit geraumer Zeit in einer tiefen Krise befindet: Fast überall wo die GPS antritt, muss sie «unten durch», während die SPS gewinnt und strahlt. Dazu kommt, dass auch ihre politische Kommunikation einen Tiefpunkt erreicht hat.

    Schlussfolgerung
    Ich bin mir bewusst, dass es schönere Geburtstagsgeschenke gibt, als Hinweise auf Schwächen und das Stochern in alten Wunden. Gerade aber weil ich überzeugt bin, dass das GB genügend Substanz hat, über seine Zukunft selbstbestimmt zu entscheiden – bevor es zu spät ist und die Geschichte bestraft – möchte ich mit diesem Aufsatz dem GB zu seinem 10-Jahres-Jubiläum einige Denk- und Diskussionsanstösse geben.
    Das GB hat sich unlängst in einer gefährlich-idyllischen Weise den Hausfrieden gesichert, indem es die Diskussionen über die beiden Optionen «Anschluss an SPS» oder «Anschluss an GPS» mit einem Zauberwort aus dem Reich der Mathematik verunmöglichte: «Äquidistanz» zu SPS und GPS. Dieser Begriff bringt vor allem Statisches, Negatives zum Ausdruck – das Gegenteil von dem, was das GB in seinen ersten 10 Jahren verkörpert hat: Dynamik, Selbstbewusstsein und gute Ideen. Meines Erachtens befindet sich das GB heute in guter Form und es ist durchaus in der Lage, darüber zu diskutieren, wohin seine Reise gehen soll, ob eine Ausdehnung auf die nationale Ebene gewünscht wird oder nicht, und – falls ja – in welche der beiden nationalen Formationen, die SPS oder die GPS, das GB eintreten soll. Diese beiden Optionen lassen sich mit der Wahl zwischen zwei Häusern vergleichen: Mit einer roten Villa, in der ein Zimmer bezogen werden kann, und mit einem grünen Haus, das in einem schlechten Zustand ist, das aber mit FreundInnen renoviert und neu eingerichtet werden kann. Falls das GB etwas anderes sein möchte als eine linke Nachfolgeorganisation des «Jungen Bern», muss es sich von der «Äquidistanz», das kein politisches Konzept ist, verabschieden. In «Äquidistanz» zu zwei Heuhaufen stand auch jener Esel aus der Philosophie, der sich – in gleicher Distanz zu zwei gleich grossen Heuhaufen – für keinen von beiden entscheiden konnte und schliesslich elendiglich verhungerte.
     

    Anmerkungen:

    1) Damit spreche ich vor allem den ausserordentlichen Einsatz des GB für das Zustandekommen und die Festigung des RGM-Bündnisses an. Damit das RGM-Bündnis schliesslich möglich wurde, brauchte es selbstverständlich die Mitarbeit aller beteiligten Parteien sowie – und vor allem – den RGM-loyalen Verzicht der SP-Frauen auf eine eigene (dritte) SP-Kandidatur.

    2) Zur Geschichte der Grünen Partei der Schweiz (GPS) siehe: Laurent Rebaud, Die Grünen in der Schweiz, Zyglogge Verlag, Bern 1987 sowie Werner Seitz, «Portrait der Grünen Partei der Schweiz (GPS): Wie oppositionell, wie grün, wie links», in Wochen-Zeitung (WoZ), 16, 20.4.1990.
    Zur parteipolitischen Entwicklung im grünen und links-grünen Segment siehe Hans Hirter (Hg.), Année Politique Suisse / Schweizerische Politik im Jahre..., Bern (erscheint jährlich) sowie Bundesamt für Statistik, Nationalratswahlen 1995: Der Wandel der Parteienlandschaft seit 1971, Bern 1995.

    3) Vgl. dazu auch die Diskussion über die Thesen von Bodenmann/Daguet über die Zukunft der Linken in der Schweiz: Werner Seitz, «Vielfalt statt sozialdemokratische Einheitspartei», in Berner Tagwacht, 14. Mai 1996.
     
     
     

    Werner Seitz
    Politologe, Mitglied der Beratungsgruppe der RGM-Parteien in der Stadt Bern, wissenschaftlicher Adjunkt im Bundesamt für Statistik.