Werner Seitz

    «Die Stadtrats- und Gemeinderatswahlen in der Stadt Bern von 1992. Analysen und Überlegungen zum Wahlsieg der Rot-Grün-Mitte-Parteien»,
    Referat, gehalten an der Delegiertenversammlung der SP-Bern vom 1. Februar 1993.

    Dieses Referat ist abgedruckt in Sigerist, Peter (Hg.), Die Geschichte von RotGrünMitte 1992 in Bern. Eine parteiische Übersicht, Bern 1993, S. 108–127.


      

    Liebe Anwesende

    Mein Referat über den Wahlsieg der Rot-Grün-Mitte-Parteien bei den Stadtrats- und Gemeinderatswahlen 1992 besteht aus drei Teilen:

      1) «Lüften des Geheimnisses» des Wahlsiegs des Rot-Grün-Mitte-Parteien
      2) Analyse der Gemeinderatswahlen
      3) Analyse der Stadtratswahlen.


    Anhand der Resultate der Stadtratswahlen werde ich die wichtigsten Linien der Parteienentwicklung aufzeigen:

      A) die Entwickung der Parteien in der Schweiz 1971-1991
      B) die Entwickung der Parteien in der Stadt Bern 1971-1991
      C) ein Vergleich dieser gesamtschweizerischen Entwickung der Parteien mit jener in der Stadt Bern
      D) Analyse der Resultate der Stadtratswahlen auf der Ebene der Zählkreise, 1980-1992
    Abschliessen werde ich meine Ausführungen über die Berner Gemeindewahlen mit einem kurzen Fazit aus der Analyse der Wahlergebnisse für die künftige politische Arbeit der RGM-Parteien.
     
     
     
    1) Zum «Geheimnis» des Wahlsiegs des Rot-Grün-Mitte-Parteien

    Wem ist es im Grunde zu verdanken, dass das RGM-Bündnis die Gemeinderats- und Stadtratswahlen gewann? –  Es sind die SP-Frauen!
    Ich will dies kurz erklären:
    Im Sommer 1991 mischten sich die SP-Frauen mit folgender Absichtserklärung und Bedingung in die Verhandlungen zwischen den Parteien ein:

    • Die SP-Frauen sind interessiert daran, den «bürgerlichen 4er mit» zu kippen und wollen ihren Beitrag dazu leisten
    • Die SP-Frauen kandidieren nur für den Gemeinderat, wenn sie mit ihrer Kandidatur den Sitz der bisherigen Gemeinderätin - Joy Matter - nicht gefährden.
    Für die damalige konkrete Situation bedeutete dies:
    • Die SP-Frauen streben eine gemeinsame Liste aller Parteien aus dem Rot-Grün-Mitte Spektrum an.
    • Damit alle Kandidierenden auf einer solchen gemeinsamen Liste eine Chance haben, darf die SP nicht mit mehr als 2 Personen vertreten sein. Tritt die SP also mit ihren beiden Bisherigen an, so wird von den SP-Frauen keine Kandidatur aufgestellt.


    Dank dem hartnäckigen Festhalten der SP-Frauen an diesen Bedingungen - was ein von verschiedenen SozialdemokratInnen nicht gerne gesehener Verzicht auf eine eigene Kandidatur bedeutete - konnten wir von der Expertengruppe (Claudia Kaufmann, Heinz Däpp und ich) - einen 5er Vorschlag erarbeiten, der um die 3 Bisherigen (2 SP, 1 JB/FL) den Mitte-Parteien (LdU, EVP) einerseits und den Grünen (GB, GP) andrerseits je 1 Platz auf der Liste anbot.

    Der Verzicht der SP-Frauen auf eine eigene Kandidatur für den Gemeinderat ermöglichte es den Parteien links und rechts von SP und JB/FL, sich mit berechtigten Chancen an der Einheitsliste zu beteiligen - und nur dank der Einheitsliste, so möchte ich behaupten, wurden die Wahlen gewonnen.
    Am Anfang des Wahlsieges der Rot-Grün-Mitte-Parteien standen also die SP-Frauen. Dieser Aspekt blieb meistens unerwähnt, wenn im Zusammenhang mit diesen Wahlen von «Frauenwahlen» die Rede war. Ich möchte dies hiermit nachholen. Denn da bin ich fast sicher: Hätte das Rot-Grün-Mitte-Projekt Schiffbruch erlitten, man hätte sich an diese «Verdienste» der Frauen sehr bald erinnert.
     
     
     

    2) Analyse der Gemeinderatswahlen

    Die Kommentare über den Ausgang der Gemeindewahlen von 1988 stiessen alle weitgehend in dieselbe Richtung: Da hatte ein massiver Rechtsrutsch stattgefunden.
    Auf der Ebene des Gemeinderates äusserte sich dieser Rechtsrutsch darin, dass die Bürgerliche Liste «4er mit» ein voller Erfolg war; sie verpasste das 5. Mandat - jenes von Heinz Bratschi - nur knapp.
    Betrachten wir die erhaltenen Stimmen der einzelnen Listen, so hat die bürgerliche Einheitsliste 51.8% der Stimmen erhalten und die 4 Listen aus dem rot-grünen Spektrum zusammen 48.2%.

    1992 waren die Zeichen umgekehrt: Die Parteien des Rot-Grün-Mitte-Spektrums schlossen sich zu einer Einheitsliste zusammen, die Bürgerlichen und die Rechtsparteien (AP, SD, Kleinverdiener, Rentner) hingegen marschierten getrennt. Die RGM-Liste gewann 4 Sitze, und in den Medien war die Rede von der rotgrünen Wende.
    Betrachten wir hier auch noch die Zahl der Stimmen, welche die einzelnen Listen erhielten, so entfielen auf die RGM-Liste 48.9% der Stimmen und auf die 5 Listen der Bürgerlichen und Rechten 51.1%.
    Die Parteien des Rot-Grün-Mitte-Spektrums haben also gegenüber dem Rechtsrutsch von 1988 nur 0.7% zugelegt (auf 48.9%); sie erhielten weniger Stimmen als die Bürgerlichen und Rechten zusammen (51.1%). Sie gewannen aber die Mehrheit der Sitze, weil das Wahlsystem die starken Listen bevorzugt. Gemäss dem Wahlsystem ist eine Liste mit 48.9% der Stimmen stärker als 5 Listen, welche zusammen 51.1% der Stimmen erhielten.

    Fazit:
    Die neue Rot-Grün-Mitte-Mehrheit im Gemeinderat kam zustande, weil die RGM-Parteien sich auf eine einzige Liste einigten und so die Vorteile des Wahlsystems für sich nutzen konnten. (Sie wurden aber nicht von der Mehrheit der Wählenden gewählt).

    Grafik: Die Berner Gemeinderatswahlen 1988/1992
     
     
     

    3) Analyse der Stadtratswahlen

     
     
    A) Die Entwickung der Parteien in der Schweiz in den letzten 20 Jahren den Nationalratswahlen

    In den achtziger Jahren erlitten die Bundesratsparteien einen für schweizerische Verhältnisse massiven Einbruch in der Gunst der Wählenden: Votierten bei den Nationalratswahlen 1979 noch über 81% für die Regierungsparteien, so gaben bei den Nationalratswahlen 1991 weniger als 70% der Wählenden ihre Stimme einer Bundesratspartei. An Attraktivität gewannen demgegenüber die Grünen, welche bei den Nationalratswahlen 1991 zusammen mit den kleinen Linksparteien 9% der Stimmen auf sich vereinigten, sowie die kleinen Rechtsparteien mit fast 11%. Opfer dieses Polarisierungsprozesses war neben den Bundesratsparteien das traditionelle politische Mittelfeld (Landesring der Unabhängigen), welches von seinem einstigen 9%-Stimmenanteil (1967) mehr als zwei Drittel einbüsste (heutiger Stand: weniger als 3%).

    Markante Verluste der Bundesratsparteien
    Der Stimmenverlust erfolgte bei den Bundesratsparteien nicht gleichzeitig, sondern traf zuerst die SPS und etwas später die bürgerlichen Parteien.

    Grafik 3.3.1 Stärke der Parteien 1971-1991: Bundesratsparteien
     

    Der elektorale Abstieg der SPS begann nach den Nationalratswahlen 1975, wo sie noch einen Stimmenanteil von knapp 25% verbuchen konnte: Innert zwölf Jahren (von 1975 bis 1987) verlor sie über einen Viertel der Stimmen, wobei der grosse Einbruch bei den Wahlen von 1987 stattfand. Damals erreichte die SPS mit einem Anteil von 18.4% ihren Tiefststand. Auf diesem Niveau konnte sie sich bei den jüngsten nationalen Wahlen stabilisieren (18.5%).
    Die bürgerlichen Bundesratsparteien erreichten ihren elektoralen Höchststand der letzten zwanzig Jahre bei den Nationalratswahlen 1979, wo sie zusammen gut 57% der Stimmen auf sich vereinigten. Bis 1991 schmolz ihr Anteil auf 51%. Bei diesen Parteien muss zwischen FDP und CVP einerseits und SVP andrerseits differenziert werden: Erstere verloren seit den nationalen Wahlen von 1979 kontinuierlich an Stimmen, die SVP hingegen konnte ihren Wähleranteil stabilisieren und sogar leicht ausbauen. FDP und CVP hatten ihr bestes Wahlergebnis bei den Nationalratwahlen 1979 mit gut 24% respektive 21.5% aller Stimmen. Seither büssten beide an Wählenden ein, wobei die CVP die grösseren Verluste hinnehmen musste (- 3 Prozentpunkte); bei den Nationalratswahlen 1991 lag ihr Stimmenanteil noch bei 18.3%. Die FDP erlitt in den vergangenen zwölf Jahren einen Stimmenverlust von 3 Prozentpunkte; als einzige Bundesratspartei verfügt sie mit 21% noch über einen Stimmenanteil, der über der 20%-Grenze liegt. Anders verlief die Entwicklung bei der SVP: Sie hatte ihren Tiefpunkt bei den Nationalratswahlen 1975, wo sie unter die 10%-Marke gefallen war. Bei den folgenden Nationalratswahlen bewegte sie sich zwischen 11% und knapp 12%. Das Ergebnis der jüngsten Wahlen (11.9%) stellte für die SVP ihr bestes Wahlergebnis seit 1955 dar.
     

    Erstarkte Opposition links und rechts der Bundesratsparteien
    Den Verlusten der Bundesratsparteien entsprachen wachsende Gewinne der rot-grünen und der rechten Opposition. Die primären Nutzniesser waren jedoch nicht die bisherigen Oppositionsparteien - die PdA oder die POCH respektive die Republikaner und die SD (ehem. NA) -, sondern neu gegründete Formationen: die Grünen und die Autopartei.

    Die rot-grüne Opposition
    Grafik 3.3.3 Stärke der Parteien 1971-1991: Linke und grüne Oppositionsparteien

    Die linke Opposition wurde in den siebziger Jahren vom traditionellen linken Bündnis von POCH, PdA und PSA getragen, welches in diesem Jahrzehnt einen Stimmenanteil zwischen 3% und knapp 5% (1979) aufwies. Mit der Öffnung der POCH in Richtung der Grünen, der Zuwendung des Tessiner PSA (PSU) zur SPS und dem allgemeinen Niedergang der kommunistischen Parteien schmolz dieses Potential in den achtziger Jahren dahin.
    Die Stimmengewinne der alternativen und gemässigten Grünen erfolgten vor allem in den achtziger Jahren und entsprachen weitgehend den Verlusten der SP und der Kommunisten (in der Westschweiz) sowie von jenen Sektionen der ehemaligen POCH, welche den Grünen beigetreten waren. Bei den Grünen setzte sich auf die Nationalratswahlen 1991 hin die gemässigte GPS durch, indem sie die meisten Sektionen der alternativen Grünen zum Eintritt bewegen konnte (namentlich die starken Sektionen in Luzern, Basel-Landschaft, St. Gallen und im Aargau).

    Die rechte Opposition
    Anders als bei der rot-grünen Opposition verlief die Entwicklung bei der rechten Opposition nicht stetig wachsend, sondern hatte zwei Höhepunkte: zu Beginn der siebziger Jahre (1971: 7.5%) und bei den letzten Nationalratswahlen (11%). Die nationalen Wahlen von 1979, bei denen die bürgerlichen Bundesratsparteien ihr bestes Wahlresultat der vergangenen zwanzig Jahre erzielten, stellten demgegenüber für die rechte Opposition ihren Tiefpunkt dar (2%).

    Grafik 3.3.4 Stärke der Parteien 1971-1991: Rechte Oppositionsparteien
     

    Ende der achtziger Jahre formierte sich neu die rechtspopulistische Autopartei, welche ähnlich spektakuläre Gewinne erzielte wie die Grünen (1987: 2.6%, 1991: 5.1%). Sie nahm - aufgrund ihrer ideologisch anderen Ausrichtung - nicht der SD (NA), sondern den Bundesratsparteien CVP und FDP Stimmen weg. SD (NA) und AP sind vor allem in der deutschen Schweiz präsent. Im Tessin erreichte die 1991 gegründete Lega dei ticinesi aus dem Stand heraus phänomenale 23.5%. Als Teil der rechten Opposition etablierte sich mit 1% WählerInnenanteil auch die 1975 gegründete, religiös fundamentalistische EDU.

    Der Zerfall der traditionellen politischen Mitte (LdU)

    Grafik 3.3.5 Stärke der Parteien 1971-1991: Übrige Nicht-Bundesratsparteien

    In diesem Polarisierungsprozess in Richtung Grüne einerseits und in Richtung rechte Opposition andrerseits brach das traditionelle politische Mittelfeld, welches bislang vor allem der Landesring der Unabhängigen darzustellen pflegte, massiv ein: Die gesamtschweizerische Stärke des LdU schmolz von 7.6% (1971; 1967: 9.1%) auf 2.8% (1991).

     


     

    B) Der Wandel der Parteienlandschaft in der Stadt Bern, seit 1967

    Grafik: Die Berner Stadtratswahlen 1971-1992
     

    1967/71 teilten sich in der Stadt Bern die SP, die Mitte-Parteien und die bürgerlichen Parteien den Kuchen wie folgt unter sich auf:

    •  SP: 40%,
    •  Junges Bern und LdU/EVP zusammen rund 20%
    •  die 3 bürgerlichen Parteien zusammen knapp 40%


    1967 und 1971 war die SP mit gut 40% Stimmen die mit Abstand stärkste Partei in der Stadt Bern; 1976 erlitt die Hegemonie der SP einen ersten Einbruch (-7.5 Prozentpunkte auf 33.4%); bis 1988 schmolz das Polster der SP weiter auf 23.5%; das sind 17 Prozentpunkte weniger als die SP zu Beginn der 70er Jahre hatte. 1992 errreichte sie mit 27.4% wieder das Niveau von 1984.
    Der Niedergang des LdU - 1967 mit 13.3% noch drittstärkste Partei - erfolgte vor allem in den frühen 70er Jahren: 1976 betrug seine Stärke nur noch 6.1%. Der Sturzflug des LdU hielt weiter an; bei den jüngsten Wahlen erreichte der LdU noch 2.5% der Stimmen. Dies ist das schlechteste Wahlergebnis in der über 50jährigen Geschichte des LdU in der Stadt Bern.
    Die bürgerlichen Parteien (FDP, SVP, CVP) vermochten ihre Stärke von insgesamt rund 37% bis 1980 zu halten; bei den Wahlen von 1984 und 1988 erhielten sie noch 35% (-2 Prozentpunkte) und bei den jüngsten Wahlen noch 31.5% (-4 Prozentpunkte). Stärkste Partei ist die FDP (1967-1988: gut 20%, 1992: 18.3%), die Stimmenanteile der SVP bewegten sich in den letzten 25 Jahren zwischen 9% und 11%, jene der CVP zwischen 4% und 6%
    Die nonkonformistische Formation Junges Bern/Freie Liste (seit den 80er Jahren auch mit grünem Einschlag) konnte ihren Anteil in den letzten 25 Jahren relativ stabil halten (zwischen 6-8%); JB 1967: 6.4%, 1992: JB/FL: 6.2%.

    1976 setzte in der Stadt Bern ein Wandel der Parteienlandschaft ein: An den linken und rechten Rändern bildeten sich oppositionelle Parteien, welche ihren Anteil kontinuierlich von knapp 10% (1976) auf 28.7% (1992) steigerten.
     

    • Am linken Rand entstanden in den 70er Jahren die Linksparteien (POCH, SAP, DA), welche sich in den 80er Jahren zu grünen Parteien mutierten (GB, GP). Das grün-rote Lager vermochte sich kontinuierlich von 4.9% (1976) auf 11.7% (1992) zu steigern. Stärkste Partei war bei den jüngsten Wahlen mit 6.6% das GB (GP: 3.2%).
    • Am rechten Rand stellte in den 70er Jahren im wesentlichen die fremdenfeindliche, konservative NA die Opposition dar, in den 80er Jahren gesellte sich die antiökologische, neoliberale AP dazu. Das rechte Lager vergrösserte sich stärker als die kleinen rot-grünen Parteien: Es steigerte seinen Anteil von 5% (1976) auf 17% (1992). Stärkste Partei war 1992 mit 6.9% die AP (SD /ehem. NA: 5.8%).


    Fazit:
    Sämtliche Parteien, welche sich 1971 an den Stadtratswahlen beteiligten, waren 1992 schwächer.
    Am grössten waren die Verluste bei der SP (-13.5 Prozentpunkte) und beim LdU (-6.4 Prozentpunkte); bei den übrigen Parteien bewegten sich die Verluste zwischen 0.4 Prozentpunkte und 2.5 Prozentpunkte.

    Die grossen Gewinnerinnen waren die rotgrünen Parteien (+11.7 Prozentpunkte) und - vor allem - die Rechts-Parteien (+17 Prozentpunkte).
    Ich möchte noch auf zwei Sachverhalte hinweisen:

    • Die Verluste der SP in den vergangenen 20 Jahren waren grösser als die Gewinne der kleinen rotgrünen Parteien (SP: -13.5 Prozentpunkte; rotgrüne Parteien: +11.7 Prozentpunkte); die Rechts-Parteien haben also nicht nur von den Verlusten der Bürgerlichen und Mitte-Parteien profitiert, sondern auch noch von jenen der SP.
    • Die Gewinne der Rechts-Parteien in den vergangenen 20 Jahren waren bedeutend grösser als jene der rotgrünen Parteien.

     

    Grafik: Die Berner Stadtratswahlen 1943-1992
     
     

    C) Vergleich der gesamtschweizerischen Entwickung der Parteien (Nationalratswahlen) mit jener in der Stadt Bern

    gemeinsam sind

    • der Niedergang des LdU
    • die massiven Verluste der SP (die SP hatte national jedoch nicht die Hegemonie inne wie in der Stadt Bern).
    • die Entstehung der rot-grünen und rechten Parteien an den sog. Rändern.
    • die Verluste der bürgerlichen Parteien, welche erst bei den jüngsten Wahlen so richtig einsetzten.


    spezifisch für Bern sind:

    • Die Gewinne der kleinen Rechtsparteien in Bern gingen in den 70er Jahren nicht auf Kosten der bürgerlichen Parteien, sondern voll auf Kosten von LdU und SP. Erst bei den jüngsten Wahlen bluteten auch die Bürgerlichen.
    • Die grossen nationalen Gewinne der Schwarzenbach-Republikaner von 1971 fanden in Bern keine Entsprechung. Die Stimmengewinne der Rechten waren in Bern ab 1976 stetig steigend, in der Schweiz hatten sie 1971 und 1992 je einen Höhepunkt und 1979 einen Tiefpunkt.

     

    D) Analyse der Resultate der Stadtratswahlen auf der Ebene der Zählkreise, 1980-1992

     Grafik: Stadtratswahlen 1980-1992, nach Zählkreisen (BZ)

    Innenstadt: Die zentrale Lage der Wahlbüros verbietet eine quartierspezifische Interpretation.
    Länggasse/Felsenau:

    • kleine Rot-Grüne gewinnen 5.7 Prozentpunkte (von 9.3% auf 15%)
    • SP verliert 6.4 Prozentpunkte (von 34% auf 27.6%)
    • Mitte-Parteien verlieren 3.5 Prozentpunkte (von 16.8% auf 13.3%)
    • Bürgerliche verlieren 5.2 Prozentpunkte (von 33.2% auf 28%)
    • Rechtsparteien gewinnen fast 10 Prozentpunkte (von 6.8% auf 16.1%)
    Mattenhof/Weissenbühl
    • kleine Rot-Grüne gewinnen 4.7 Prozentpunkte (von 7.8% auf 12.5%)
    • SP verliert 4.4 Prozentpunkte (von 34.4% auf 30%)
    • Mitte-Parteien verlieren 2.8 Prozentpunkte (von 15.7% auf 12.9%)
    • Bürgerliche verlieren 6.8 Prozentpunkte (35.1% auf 28.3%)
    • Rechtsparteien gewinnen 9.2 Prozentpunkte (von 7.1% auf 16.3%)
    Kirchenfeld/Schosshalde
    • kleine Rot-Grüne gewinnen 3.9 Prozentpunkte (von 6.2% auf 10.1%)
    • SP gewinnt +1.6 Prozentpunkte (von 20.1% auf 21.7%)
    • Mitte-Parteien: verlieren 4.8 Prozentpunkte (von 18.4% auf 13.6%)
    • Bürgerliche verlieren 9.2 Prozentpunkte (von 50.4% auf 41.2%)
    • Rechtsparteien gewinnen 8.6 Prozentpunkte (von 4.8% auf 13.4%)
    Breitenrain/Lorraine:
    • kleine Rot-Grüne gewinnen 5.4 Prozentpunkte (von 8.4% auf 13.8%)
    • SP verliert 5.1 Prozentpunkte (von 32.5% auf 27.4%)
    • Mitte-Parteien verlieren: 3.4 Prozentpunkte (von 14.8% auf 11.4%)
    • Bürgerliche verlieren 7.4 Prozentpunkte (von 36.8% auf 29.4%)
    • Rechtsparteien gewinnen10.4 Prozentpunkte (von 7.6% auf 18%)
    Bümpliz
    • kleine Rot-Grüne legen nur minim zu (+1 Prozentpunkt); von 5.5% auf 6.5%
    • SP verliert 11 Prozentpunkte (von 44.3% auf 33.3%)
    • Mitte-Parteien verlieren 4.4 Prozentpunkte (von 13.9% auf 9.5%)
    • Bürgerliche verlieren 2.3 Prozentpunkte (von 29.5% auf 27.2%)
    • Triumphzug der Rechtsparteien: +16.8 Prozentpunkte (von 6.7% auf 23.5%)

     

    Es können drei Typen von Veränderung unterscheiden werden:

    1. Die SP verliert Stimmen, die kleinen rotgrünen Parteien gewinnen. Die Mitte-Parteien und die Bürgerlichen geben Stimmen ab, die Rechtsparteien legen zu.
    Dies ist der Fall in den Zählkreisen

      1.1 Mattenhof/Weissenbühl und Breitenrain/Lorraine (die SP-Verluste entsprechen den Gewinnen der Rot-Grünen).
      1.2 Länggasse/Felsenau (die SP-Verluste sind leicht grösser als die Gewinne der Rot-Grünen)


    2. Die Mitte-Parteien und die Bürgerlichen verlieren Stimmen, die Rechtsparteien gewinnen Stimmen; ebenfalls zu den Gewinnern - wenn auch etwas weniger - gehören die SP und die kleinen rotgrünen Parteien.
    Dies ist der Fall im Zählkreis Kirchenfeld/Schosshalde.

    3. Die SP verliert enorm, ohne dass die kleinen rotgrünen Parteien wesentlich zulegen. Die Mitte-Parteien verlieren genauso wie die Bürgerlichen. Grosse Siegerinnen sind die Rechtsparteien.
    Dies ist der Fall im Zählkreis Bümpliz.
     

    Eine mögliche Erklärung 

    • Typ 1: entspricht dem nationalen Trend, nach dem die traditionellen Parteien verlieren und radikale kleine Parteien stärker werden, wobei die SP an die Rot-Grünen verliert, während die Bürgerlichen Stimmen an die Rechten abgeben.
    • Typ 2: das Kirchenfeld ist in Bern die Hochburg der Bürgerlichen (1980 hatten die bürgerlichen Parteien die «absolute Mehrheit» inne; bis 1992 büssten die Bürgerlichen 9 Prozentpunkte ein; sie verfügen noch über gut 40%; die Hegemonie der FDP bleibt mit knapp 28% allerdings bestehen. Ebenfalls Einbussen erlitten die Mitte-Parteien (-5 Prozentpunkte); Demgegenüber baute die SP baut ihre Stellung leicht aus auf knapp 22%; Rot-Grüne legen knapp 4 Prozentpunkte zu auf rund 10%.

    • Es entspricht dem erwähnten allgemeinen Trend, dass die traditionellen grossen Parteien - hier besonders die FDP - an Orientierungsfunktion einbüssen.
      Abweichend vom nationalen Trend, wonach die Stimmenverluste der Bürgerlichen und Mitte-Parteien den Gewinnen der Rechtsparteien entsprechen, profitierten im Kirchenfeld von den Verlusten der Bürgerlichen und der Mitte-Parteien nicht nur die kleinen Rechtsparteien (+9 Prozentpunkte), sondern auch die kleinen Rot--Grünen (+4 Prozentpunkte) und, etwas weniger, die SP (+2 Prozentpunkte).
    • Typ 3. Bümpliz ist die Hochburg der SP (1980 hatte sie alleine 44% inne; in 12 Jahren verlor sie 1/4 der Stimmen). Die SP hat weiter die Hegemonie, ihr Vorsprung auf die Bürgerlichen ist jedoch von 15% auf 5% geschmolzen. Aber nicht nur die SP verliert, sondern auch die Bürgerlichen und die Mitte-Parteien; die Rot-Grünen legen leicht zu(+1 Prozentpunkte).

    • Die Tatsache, dass von den enormen Verlusten der SP nicht die Rot-Grünen profitierten, lässt den Schluss zu, dass in Bümplitz die Hinwendung der SP zu den sog. «neuen Werten» nicht auf einen fruchtbaren Boden gefallen ist.
        Der Rechtsrutsch in Bümpliz könnte auf den Wandel der SP zurückzuführen sein: die SP ist heute nicht mehr die Arbeiter und Rentner-Partei; - in Bümpliz aber lebt noch eine relativ traditionelle SP-WählerInnenschaft.
        Indiz dafür ist etwa, dass die Grünen und Frauen in Bümpliz unterdurchschnittlich viele Stimmen erhielten, die Gewerkschafter und die Männer jedoch überdurchschnittlich viele Stimmen (zur Erinnerung: 1988 wurde Gret Haller - neben dem Kirchenfeld - in Bümpliz abgewählt; in allen anderen Zählkreisen erhielt sie mehr Stimmen als ihr parteiinterner Rivale Klaus Baumgartner).
        Gemäss Vox-Analyse hat sich die SP und die soziale Zusammensetzung ihrer Wählerschaft verändert: Waren 1980 noch ein Viertel der SP-WählerInnen im Pensionsalter, so sind es heute noch knapp ein Achtel. Die ArbeiterInnen machen heute noch unter den SP-Wählenden noch einen Fünftel aus, die Angestellten hingegen zwei Drittel.
        Ich vermute, dass ein Teil der ehem. SP-Wähler zu den SD, den Kleinverdienern und den Rentner übergewechselt haben. Ein oberflächlicher Blick auf die Panaschierströme weist auf eine Affinität der SP-Wählenden mit diesen Rechtsparteien hin.

     
     
     
    Schlüsse für die künftige politische Arbeit der RGM-Parteien

    1. Der erste Schluss basiert auf der Feststellung, dass der Wahlsieg der Rot-Grün-Mitte-Parteien von 1992 knapp ausfiel:

      • 48.9% der Wählenden stimmten für die RGM-Gemeinderatsliste
      • 51.4% der Wählenden stimmten bei den Stadtratswahlen für eine der RGM-Listen
    Die Basis der RGM-Mehrheit in der Bevölkerung ist also relativ schmal. Die RGM-Politik muss daher der Bevölkerung gut vermittelt werden - immerhin müssen etliche Entscheide in Volksabstimmungen gutgeheissen werden.

    2. Die RGM-Parteien verfügen im Stadtrat über 42 Sitze: das sind 3 Sitze mehr als 1988 und gleich viele wie 1984 (wobei diesmal die Mitte-Parteien mit den roten und grünen Parteien in einer Allianz stehen); komfortabel kann man eine solche Mehrheit in Parlament nicht nennen. Dazu kommt, dass drei Parteien der RGM-Allianz nicht in der Regierung vertreten sind (GP, LdU und EVP).
    Um im Stadtrat die RGM-Politik umsetzen zu können, sind alle RGM-Parteien nötig - auch und vor allem die kleinen Parteien LdU, EVP und GP, welche nicht im Gemeinderat Einsitz haben. Mit ihnen muss sorgfältig umgegangen werden.

    Mit diesen beiden Schlussfolgerungen für die künftige RGM-Politik möchte ich schliessen.