Werner Seitz

    «Die Nationalratswahlen 1999: Eine Analyse der gesamtschweizerischen Ergebnisse und der Ergebnisse im Kanton Bern»,

    Referat, gehalten an der Delegiertenversammlung der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Bern, am 24. November 1999. 


     

    Liebe Anwesende

    Nachdem die Nationalratswahlen 1999 von Ursula Koch aus der Sicht der SP-Schweiz und von Rudolf Käser und Guda Hess, den beiden PräsidentInnen der SP-Bern, aus der Sicht der SP des Kantons Bern analysiert wurden, werde ich mich in meinen Ausführungen darauf beschränken, die wichtigsten Veränderungen bei den jüngsten Wahlen zu beschreiben und in die grösseren Entwicklungen der schweizerischen Parteienlandschaft einbetten.
    Dabei gliedert sich mein Referat in folgende drei Teile:

      1) Die gesamtschweizerischen Ergebnisse der Nationalratswahlen 1999
      2) Die SPS bei den Nationalratswahlen 1999
      3) Die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1999im Kanton Bern
     
     

1 Die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1999

    A: Das Wesentliche der Nationalratswahlen 1999 in Kürze

    Folie 1: Die Parteien bei den Nationalratswahlen 1995/99

    1) Die SVP ist die unbestrittene Wahlsiegerin
    Bei den Nationalratswahlen 1999 steigerte sich die SVP von 14,9% (1995) auf 22,54% (1999), was einem Zuwachs um gute 50% gleichkommt. Noch nie seit der Einführung der Proporzwahl von 1919 vermochte sich eine Partei bei den Nationalratswahlen derart zu steigern (+7 Prozentpunkte). Die SVP wird damit zur stärksten Bundesratspartei, knapp vor der SPS (22,47%), und deutlich vor der FDP (19,9%).
    Ein Blick in die Kantone zeigt, dass sich die SVP in fast allen Kantonen markant verbesserte. In neun Proporzkantonen beträgt die Steigerung – im Vergleich zu 1991 – mehr als 10 Prozentpunkte. Der gewaltige Stimmenzuwachs der SVP hat auch zur Folge, dass die SVP nun in acht Kantonen die stärkste Partei ist: in Zürich, Bern, Schwyz, Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen, Graubünden, Aargau und im Thurgau.

    2) Die SVP ist nun eine gesamtschweizerische Partei
    Mit diesen Wahlen wurde auch der häufig vorgebrachte Einwand, die SVP sei eine Deutschschweizer Partei, widerlegt: 1999 trat die SVP in 20 der 21 Proporzkantone zur Wahl an – es fehlte nur Neuenburg (wo es übrigens auch keine CVP gibt). Und selbst in 1 der 5 kleinen Majorzkantone (AI) bewarb sich die SVP um ein Mandat. In den französischsprachigen Kantonen bewegten sich die Stimmenanteile übrigens zwischen 7,2% (JU) und 11,4% (FR). Die SVP ist nun nicht mehr nur eine Deutschschweizer Partei, sondern sie ist wie die anderen drei Bundesratsparteien in fast allen Kantonen präsent.

    3) Den massiven Stimmengewinnen der SVP entsprechen starke Stimmenverluste der kleinen Rechtsparteien, namentlich der FPS (von 4% auf 0,9%), und der SD (von 3,1% auf 1,8%).

    4) Bei den übrigen Parteien kann nur eine geringe Veränderung im Vergleich zu 1995 festgestellt werden.

    • Leichte Verluste (ca. –1 Punkt) erlitten der LdU und die Grünen (GPS und FGA zusammen). Die Grünen haben noch 5,3% und der LdU noch 0,7%.
    • Die SPS verbesserte sich gegenüber 1991um 0,7 Punkte auf 22,47%
    • Die FDP verlor 0,3 Punkte und erzielte erstmals in ihrer Geschichte eine Parteistärke von weniger als 20% (19,9%)
    • Die CVP verlor 0,9 Punkte und ist nun mit 15,9% die schwächste Bundesratspartei.


    Ich möchte nun die Wahlergebnisse von 1999 noch aus einer etwas grösseren zeitlichen Distanz beleuchten, indem ich sie in die Entwicklung der Parteien in den letzten 20 bzw. 30 Jahren einbette.

     

    B: Veränderung im bürgerlichen Lager in den letzten 20 Jahren

    Folie 2: Nationalratswahlen 1979/99

    Grosse Wahlverliererinnen in den letzten 20 Jahren sind CVP und FDP; sie büssten zusammen fast 10 Punkte – soviel wie die SVP in derselben Zeit dazugewonnen hat.
    Der Rekordstimmengewinn der SVP hauptsächlich auf den Stimmenverlusten der FDP und der CVP der vergangenen zwanzig Jahre beruht, welche die SVP nun direkt oder indirekt – via die kleinen Rechtsparteien – 1999 bei sich zu sammeln vermochte.
    Es hat also eine Umverteilung nach rechts innerhalb der bürgerlichen Parteien stattgefunden.

     

    C: 1971–1999: Stabilität zwischen den Blöcken (links/Grün – bürgerlich/rechts)

    Folie 3: Die parteipolitischen Blöcke bei den Nationalratswahle  1995/99

    • Die bürgerlichen Bundesratsparteien (FDP, CVP und SVP), die LPS und die kleinen Rechtsparteien (SD, EDU, FPS, Lega und –  bis 1987 – Rep.) erreichten zwischen 1971 und 1999 zusammen eine nationale Parteistärke, die sich zwischen 61,3% bis 65,4% bewegt. Am höchsten war sie bei den Nationalratswahlen 1999 (65,4%), am niedrigsten 1983 (61,3%).

    • Die rot-grünen Parteien (SPS, PdA, Sol., FGA, GPS sowie PSA und POCH) wiederum vereinigten seit 1971 zwischen 25,8% und 29,8% aller Stimmen auf sich. Am höchsten war ihre Parteistärke 1995 (29,8%), am niedrigsten 1971 (25,8%).
    Das Verhältnis der Stärke der «linken und grünen Parteien» einerseits und der «bürgerlichen und rechten Parteien» andrerseits ist ausgesprochen stabil: Die Bandbreite der Gewinne und Verluste der beiden Lager beträgt von 1971 bis 1999 je rund 4 Prozentpunkte. Die Stabilität zwischen den Parteiblöcken ist Ausdruck davon, dass Stimmengewinne und -verluste weitgehend innerhalb des rot-grünen bzw. des bürgerlich-rechten Lagers stattfanden bzw. kompensiert wurden.


    Fazit zum allgemeine Überblick zu den Nationalratswahlen 1999

    • Die SVP ist die grosse Siegerin; Verliererinnen sind die kleinen Rechtsparteien, aber auch und besonders die CVP und die FDP

    • Letzteres zeigt sich vor allem, wenn wir die Stärke der CVP, FDP und SVP von heute mit jener von 1979 vergleichen: CVP und FDP büssten in diesen zwanzig Jahren zusammen fast 10 Punkte ein – soviel wie die SVP in derselben Zeit dazugewonnen hat (zu einem grossen Teil über den Umweg der Rechtsparteien in den achtziger Jahren). Es hat also eine Umverteilung nach rechts innerhalb der bürgerlichen Parteien stattgefunden

    • Zwischen dem rot-grünen und dem bürgerlich-rechten Lager besteht seit Jahrzehnten eine ausgesprochene Stabilität; allfällige Veränderungen spielen sich innerhalb dieser beiden Lager ab («Verluste der SP vs. Gewinne der Grünen» und umgekehrt; «Verluste von FDP und CVP vs. Gewinne der Rechtsparteien» und umgekehrt)

     

2 Die SPS bei den Nationalratswahlen 1999

    Analysieren wir die Wahlergebnisse der SP genauer, so können wir folgendes festhalten:
    Folie 1: 1995/99: Kantonale Ergebnisse (Parteistärken)
     

    • 1) Die SP gewann in 11 Kantonen Stimmen hinzu und verlor in 10 Kantonen
    • 2) Die SP ist in 5 Kantonen die stärkste Partei: in Solothurn, den beiden Basel, in Neuenburg und in Genf.


    Folie 2: 1995/99: Kantonale Ergebnisse (Mandate)
     

    • 3) Die SP verlor 6 Mandate und gewann 3 Mandate (= 3 Verluste)


    Folie 3: 1995/99: Restmandate)

    1995 hatte SP ein Proporzglück wie noch nie: Sie erhielt 14 Restmandate; 1999 war das Proporzglück der SP etwas geringer: Sie erhielt 11 Restmandate
    Analysieren wir die 3 gewonnenen und die 6 verlorenen Mandate der SP hinsichtlich der Ausgangslage (waren es 1995 Voll- oder Restmandate?), so erhalten wir folgendes:

    • Die 6 verlorenen Mandate waren alle Restmandate von 1995.
    • 2 der 3 gewonnenen Mandate wurde in Kantonen geholt, in denen 1995 keine Restmandate anfielen.

       
     

3 Die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1999 im Kanton Bern

    Folie 1: NRW 1995/99 (Kt. Bern)
    Die Berner Ergebnisse bei den Nationalratswahlen 1999 lassen sich wie folgt charakterisieren:

    • Alle Bundesratsparteien haben an Stimmen zugelegt: am stärksten die SP (+2,9Punkte) und die SVP (+2,5 Punkte), vor der FDP (+1,5 Punkte) und der CVP (+0,6 Punkte).
    • Massiv eingebrochen sind die Rechtsparteien (zusammen um mehr als 5 Prozentpunkte)
    • Die Verluste der anderen Parteien (Grüne, Splittergruppen) waren kleiner als 1 Prozentpunkt.


    Vergleichen wir diese Ergebnisse mit den am Anfang geschilderten auf der gesamtschweizerischen Ebene, so finden wir folgende Unterschiede zwischen dem schweizerischen Trend bei den NRW99 und jenem im Kanton Bern

    • 1) Die Gewinne der SVP sind weniger spektakulär als in der gesamten Schweiz (aber für Bern doch überraschend, wurden der Berner SVP doch Stimmenverluste prophezeit).
    • 2) Die SP-Bern hat deutlich mehr an Stimmen zugelegt als die SP-Schweiz
    • 3) Leichte Gewinne von FDP (und CVP)


    Gemeinsam zwischen dem schweizerischen Trend bei den NRW99 und jenem im Kanton Bern ist dagegen, dass das Verhältnis zwischen der Parteistärke des rot-grünen und des bürgerlich-rechten Lagers sehr stabil ist: Die rot-grünen Parteien bewegen sich um die 30% (Schwankungen: 4 Punkte), die bürgerlich-rechten Parteien bei 60% (Schwankungen: 60%). In den vergangene Jahren sind beide Lager etwas gewachsen (auf Kosten der Mitte; LdU)

    Das aktuelle Ergebnis der SP-Bern bewegt sich 1999 in der Mitte zwischen 1991 (20%) und den siebziger Jahren: 30% und mehr; beträchtlicher Zuwachs im Vergleich zu 1991 (+7 Punkte); die Parteistärke der SP-Bern verhält sich reziprok zu den kleinen linken Parteien und den Grünen: Diese hatten ihren Höchststand 1991 (als die SP ihren Tiefststand hatte); seither sinken ihre Stimmenanteile wieder (und jene der SP steigen).
     
     
        FAZIT

    • Zwischen dem links-grünen Lager und dem bürgerlich-rechten Lager besteht seit den letzten dreissig Jahren eine ausgesprochene Stabilität. In diesem Sinn kann daher nicht generell von einem Rechtsrutsch bei den Nationalratswahlen gesprochen werden.
    • Eine Verschiebung hat allerdings innerhalb der Polit-Blöcke stattgefunden: einerseits holte die SP verlorene Stimmen aus den achtziger Jahren (von den Grünen) zurück;  andrerseits – und hier hat ein Rechtsrutsch stattgefunden –übernimmt die SVP klar die Hegemonie im bürgerlichen Lager
    • Insofern die beiden Wahlsiegerinnen, die SVP und die SP,  für je zwei verschiedene gesellschaftliche Entwürfe stehen, dürften die politische Polarisierung in der Schweiz zunehmen. Wichtig dürfte nun sein, dass die SP weiterhin klar Farbe bekennt und versucht, CVP und FDP (neuerdings «Mitte-Parteien» genannt) in ein Bündnis gegen die SVP einzubinden.