Werner Seitz
«Die Frau im schweizerischen Bildungswesen zwischen Gleichstellung und Diskriminierung»,
in Hablützel, Peter / Hirter, Hans / Junker, Beat (Hg.), Schweizerische Politik in Wissenschaft und Praxis. Festschrift für Peter Gilg, Bern 1988, S. 139–161.


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«Als eine Frau lesen lernte, trat die Frauenfrage in die Welt»
(Marie von Ebner-Eschenbach) 

 

Dass Frauen und Männer gleichwertig und gleichberechtigt sind, gehört heute zum Repertoire der meisten politischen Parteien – einige Kreise, welche noch den Mann als Haupt der Familie beschwören, einmal ausgenommen. Seit 1981 ist in der Schweiz die Gleichberechtigung von Mann und Frau auch verfassungsmässig garantiert. Trotzdem besteht noch eine Vielzahl von Unterschieden in der rechtlichen Stellung zwischen den Geschlechtern; der Bundesrat hat sie in seinem Bericht über das Rechtsetzungsprogramm «Gleiche Rechte für Mann und Frau» (BBl, 1986, I, S. 1144 ff.) aufgelistet.

Im Schulbereich gibt es, abgesehen vom Hauswirtschafts- und Werkunterricht, keine rechtliche Diskriminierung der Frau – und trotzdem verhalten sich die Frauen bei der Ausgestaltung ihres Bildungsganges als Diskriminierte: Sie erlernen Berufe, welche im weitesten Sinn dienend und pflegend sind und welche ein geringeres Prestige besitzen als die Tätigkeiten der Männer. Auch wenn die Frauen in den letzten zehn Jahren vermehrt höhere Schulen absolvierten, änderte sich die Einseitigkeit bei der Berufswahl kaum, sie reproduzierte sich vielmehr auch auf dieser Ebene. Im Grund erstaunt dies nicht, ist die Schule doch nur ein Bereich der (patriarchalischen) Gesellschaft. Es macht jedoch deutlich, dass es zur Gleichstellung der Frau nicht genügt, nur die formale, rechtliche Ungleichbehandlung aufzuheben; vielmehr müssen bewusst und gezielt Massnahmen ergriffen werden, um den geschlechterdiskriminierenden Geist überall in der Gesellschaft zu beseitigen.

Im folgenden Beitrag verzichte ich darauf, solche Massnahmen vorzustellen; dies wurde von der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen bereits in kompetenter Art geleistet (siehe dazu EKF 1979; EKF 1987; vgl. auch Studienkommission Wallis 1986). Ich möchte vielmehr aufzeigen, wie wenig sich das (qualitative) Verhalten der Geschlechter bezüglich der Wahl der Ausbildung in den vergangenen Jahrzehnten, namentlich zwischen 1976/77 und 1986/87, verändert hat, obwohl die quantitative Beteiligung der Frauen auf sämtlichen Schulstufen gewaltig angestiegen ist. Wenn ich dabei hauptsächlich von der «Diskriminierung der Geschlechter» und weniger von «Frauendiskriminierung» spreche, so deshalb, weil ich der Meinung bin, dass unter dem Patriarchat auch die Männer leiden, selbst wenn sie das nicht wahrnehmen wollen. Ich bin mir allerdings im klaren darüber, dass die Leidensarten der Geschlechter nur in letzter Instanz miteinander verglichen werden können; vordergründig sind die Männer trotz ihrer Leiden in der Gesellschaft offensichtlich privilegiert.

 

DER BILDUNGSSTAND DER ERWACHSENEN BEVÖLKERUNG IN DER SCHWEIZ (1980)  

Gemäss der letzten Volkszählung von 1980 (Tabelle 1 im Anhang) unterscheidet sich der (formale) Bildungsstand zwischen Frauen und Männern über 20 Jahren in der Schweiz beträchtlich: Knapp die Hälfte (48%) aller Frauen haben nur die obligatorische Schule besucht, während von den Männern fast zwei Drittel (64%) über eine berufliche oder schulische Weiterbildung verfügen. Die männliche Dominanz in der postobligatorischen Ausbildung zeigt sich bei der Berufsausbildung, den höheren Fachschulen 1) und den Hochschulen: 43% der Männer (gegenüber 31% der Frauen) absolvierten eine Berufsausbildung; das Abschlusszeugnis einer höheren Fachschule oder einer Hochschule/Universität erwarben 15% der Männer und 5% der Frauen. Demgegenüber sind die Frauen seit langem stärker vertreten in den Kategorien «höhere Mittelschule» und «andere allgemeinbildende Schulen»: Eine solche Ausbildung absolvierten – als höchste Schule – 11% aller Frauen und 6% aller Männer, welche über 20 Jahre alt sind.

Diese geschlechterspezifische Ungleichheit bezüglich der erhaltenen Ausbildung hat sich in den letzten Jahrzehnten – im Zuge der allgemeinen Hebung des Bildungsniveaus – verringert. Ein Vergleich der 20-29jährigen mit den 60-69jährigen Frauen im Jahr 1980 zeigt, dass sich der Anteil der Frauen mit beruflicher und höherer Bildung in den vierzig Jahren, die zwischen diesen beiden Altersgruppen liegen, mehr als verdoppelt hat (von 32% auf 66%). Den grössten Zulauf erhielt dabei die Berufsbildung, welche von 60-69jährigen Frauen zu 21%, von den 20-29jährigen dagegen zu 46% abgeschlossen wurde. Zudem verdoppelte sich der Anteil der Frauen mit dem – frauenspezifischen – Abschluss einer höheren Mittelschule oder einer anderen allgemeinbildenden Schule von 8% (der 60-69jährigen) auf 16% (der 20- 29jährigen).

Nur unwesentlich verändert haben sich – gegenüber diesem Trend der quantitativen Angleichung – die qualitativen Entscheide, die Orientierungsmuster der Geschlechter: Die Fächer- und Berufswahl ist auf allen Ausbildungsstufen immer noch stark von einer traditionellen, rollenspezifischen Einstellung geprägt. Die männlichen Jugendlichen ergreifen meistens Berufe oder absolvieren Schulen wirtschaftlicher oder technischer Richtung, während sich die jungen Frauen in übergrosser Zahl sozialen Tätigkeiten oder allgemeinbildenden Schulen zuwenden. Die Frauen üben ihren erlernten Beruf zudem nur wenige Jahre aus; für viele Frauen ist die Zeit der Berufsausübung eine «Zwischenlösung bis zur Heirat»; aufgrund der Schwierigkeiten, welche in der Gesellschaft jungen Müttern, sogenannten Doppelverdienerinnen und Wiedereinsteigerinnen, entgegengebracht werden, kann auch gesagt werden, dass eine solche Haltung gesellschaftlich von ihnen erwartet und abverlangt wird.

DAS VERHÄLTNIS DER GESCHLECHTER IM SCHWEIZERISCHEN BILDUNGSWESEN: QUANTITATIVE ANGLEICHUNG UND QUALITATIVE DIFFERENZ 2

1. Obligatorische Schule

Aus einleuchtenden Gründen ist das zahlenmässige Verhältnis zwischen Mädchen und Knaben im obligatorischen Schulbereich einigermassen ausgeglichen (49:51); die Anteile entsprechen der demographischen Verteilung. Im Selektionsprozess erzielen die Mädchen praktisch denselben Erfolg wie ihre männlichen Alterskollegen; wird hingegen der Anteil der Geschlechter an Sonderschulen (Schulen mit besonderem Lehrplan) als Massstab genommen, schneiden die Mädchen mit nur 38,7% (1986/87) deutlich besser ab. Dieser Sachverhalt, dass fast doppelt soviele Knaben wie Mädchen in Sonderschulen sind, sowie das Faktum, dass Knaben häufiger Sprachprobleme haben als Mädchen, kann auch als Folge des grösseren – geschlechterspezifischen – Erwartungs- und Leistungsdrucks auf Knaben interpretiert werden.

Gegen Ende der obligatorischen Schulzeit fallen für Schülerinnen und Schüler erste wichtige Entscheide, welche ihre Bildungskarriere und damit ihre künftige Lebensgestaltung betreffen – und diese Entscheidungen sind, wie bereits erwähnt wurde und unten noch weiter ausgeführt wird, deutlich geschlechterrollenspezifisch. Ursachen dafür sind neben der ungleichen Behandlung von Mädchen und Knaben durch die Schule auch der Einfluss von Elternhaus und peer-groups (Kreise Gleichaltriger). Die geschlechterrollenspezifischen Orientierungsmuster werden auch durch die ungleiche Verteilung der Lehrkräfte und anderer Exponenten der Schule tradiert: Lehrerinnen unterrichten grösstenteils an der Unterstufe, Lehrer sind hingegen mehrheitlich an der Mittel- und Oberstufe anzutreffen; noch unausgewogener ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern auf der Ebene der Bildungs- und Berufsberatung, der Schulleitung und der Aufsichtsbehörde. Diese einseitige geschlechterspezifische Verteilung engt die Möglichkeiten von Leitbildern für die Jugendlichen ein und bestärkt das traditionelle Rollendenken. Ein weiterer Grund für diese Orientierungsmuster der Jugendlichen bezüglich der Weiterbildung liegt auch im geschlechterdiskriminierenden Geist, der in Schulbüchern und Lehrplänen herrscht: Die althergebrachten Bilder und Themen schaffen und bestätigen entsprechende Vorurteile, Rollen und Bilder.


 
 

EXKURS zu den Vorstössen für eine Gleichstellung der Geschlechter im schweizerischen Bildungswesen (obligatorische Schule)

Seit mit der Revision der Bundesverfassung 1874 die allgemeine Schulpflicht eingeführt wurde (Artikel 27 Absatz 2), sind Knaben und Mädchen im schweizerischen Bildungswesen grundsätzlich gleichgestellt; sie erfahren beide während der obligatorischen Schulzeit dieselbe Ausbildung 3). Unterschiede zeigten und zeigen sich allerdings bezüglich der «geschlechterspezifischen» Fächer Hauswirtschafts-, Handarbeits- und Werkunterricht: Die Mädchen haben mit den beiden erstgenannten Fächern eine grössere Stundenzahl zu absolvieren als die Knaben mit dem Werkunterricht – dies auf Kosten ihrer Freizeit oder einiger Schulstunden (vor allem in mathematisch- naturwissenschaftlichen Fächern). Die Bestrebungen zur Gleichstellung der Geschlechter im Bildungswesen konzentrierten sich daher in den letzten fünfzehn Jahren vor allem auf die Frage des nur für die Mädchen obligatorischen Hauswirtschaftsunterrichts.

1. Erste offizielle Empfehlungen zur Verminderung der schulischen Diskriminierung der Mädchen

1972 verabschiedete die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) «Grundsätze zur Mädchenbildung» betreffend Massnahmen zur Verminderung der Diskriminierung der Mädchen im obligatorischen Schulbereich. Dabei empfahl sie namentlich, Mädchenhandarbeit und Hauswirtschaftsunterricht nicht mehr auf Kosten der Promotionsfächer zu erteilen (EDK 1972). Sechs Jahre später zeigte allerdings eine Erhebung des Bundes schweizerischer Frauenorganisationen (BSF) auf, dass diese geschlechterspezifischen Unterschiede zwar vermindert worden waren, dass aber die Mädchen während der neun Grundschuljahre immer noch mit durchschnittlich 530 Stunden mehr belastet sind als die Knaben – dies macht pro Woche 1 1/2 Schulstunden aus. In ihrem ersten Bericht über die Stellung der Frau in der Schweiz (1979) empfahl die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF) daher, Mädchen und Knaben nach dem gleichen Lehrplan und mit der gleichen Stundenzahl zu unterrichten. Weiter regte sie an, die geschlechterspezifischen Rollenbilder in den Schulbüchern abzubauen, für eine ausgeglichene Vertretung der Geschlechter im Lehrkörper sämtlicher Schulstufen zu sorgen, die Schülerinnen und Schüler für nicht-geschlechterspezifische Berufe zu motivieren sowie Eltern und Lehrende in Bezug auf ihre geschlechterspezifischen Normvorstellungen zu sensibilisieren (EKF 1979).

2. Der Verfassungsartikel «Gleiche Rechte für Mann und Frau»

Ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung der Geschlechter erfolgte 1981 – zehn Jahre nach der Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen auf Bundesebene – mit der Zustimmung von Volk und Ständen zur Verfassungsbestimmung über die gleichen Rechte für Mann und Frau: Der genehmigte Artikel 4 Absatz 2 der Bundesverfassung hält die Gleichstellung der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen fest und erteilt dem Gesetzgeber einen umfassenden Gleichstellungsauftrag, namentlich für die Bereiche Familie, Ausbildung und Arbeit.

Nach der Annahme des Gleichheitsartikels verabschiedete die EDK unter anderem folgende Empfehlungen zur Gleichstellung der Geschlechter im Bildungswesen: dieselbe Ausbildung für Knaben und Mädchen während der obligatorischen Schulzeit, identische Lehrpläne und Stundentafeln in den Promotionsfächern, Einführung beziehungsweise Ausdehnung der Koedukation auf allen Schulstufen, Vermeidung von einseitigen Rollenvorstellungen bei der Entwicklung von Lehrplänen und Lehrmitteln, Berücksichtigung der Geschlechtergleichheit bei den Lehrkräften sowie vermehrte Zusammenarbeit in der Schul- und Berufsberatung zwischen Eltern, Lehrkräften und Berufsberatern, um die Untervertretung der Mädchen im Bereich der beruflichen Ausbildung zu vermindern (EDK 1981).

3. Politische und juristische Schritte zur Gleichstellung der Schülerinnen

Gestützt auf den Verfassungsartikel über die gleichen Rechte von Mann und Frau wurden auch von verschiedenen Seiten und auf verschiedenen Ebenen Vorstösse gegen die ungleiche Behandlung der Mädchen in der obligatorischen Schule unternommen: So lancierten in den Kantonen Luzern und Solothurn gewerkschaftliche Kreise respektive die Sozialdemokratische Partei entsprechende Volksinitiativen; in der Abstimmung wurde aber nur jene in Solothurn gutgeheissen. Ihrem Unbehagen über das Hauswirtschaftsobligatorium gaben direktbetroffene junge Frauen mit Petitionen und Boykotten Ausdruck. Im Jura wurde daraufhin eine «Verweigerin» mit Gefängnis bestraft, während im Kanton Neuenburg 1983 zwei betroffene Frauen gerichtlich ihre Dispensierung vom Haushaltungskurs erreichten.

Verschiedentlich wurde auch das Bundesgericht angerufen: Es trat jedoch auf Klagen aus den Kantonen Luzern und Zürich aus formellen Gründen nicht ein und bestätigte bei einer Beschwerde gegen den Beschluss der Nidwaldner Landsgemeinde, die Ausbildung nur als gleichwertige, nicht aber als gleiche festzulegen, lediglich dessen Verfassungsmässigkeit. Während «Lausanne» bisher zur Frage, ob die Ausbildung für Mädchen und Knaben gemäss Art. 4 Abs. 2 BV identisch oder nur gleichwertig zu sein habe, nicht Stellung genommen hat, wird der Hauswirtschaftsunterricht in den meisten Kantonen für Knaben und Mädchen verschieden gehandhabt; nur gerade Baselland, Bern, Genf und Schaffhausen haben die formalen geschlechterspezifischen Unterschiede im Bildungswesen ganz beseitigt  4)

Weitere geschlechterspezifische Unterschiede – wenn auch weniger beachtet als das Hauswirtschaftsobligatorium – bestehen im Bereich Turnen und Sport. Aus zulässigen, aber keineswegs zwingenden Gründen werden diese Fächer zwar von einem gewissen Alter an getrennt abgehalten, meistens aber differieren auch die vermittelten Inhalte geschlechterspezifisch; das Knabenturnen ist tendenziell wettkampfmässiger, aggressiver als das Mädchenturnen. Eine Folge solch einseitiger Wertvermittlung und -bestätigung ist für die «Studienkommission zur Abklärung der Stellung der Frau im Wallis» die häufig durch Unfalltod bewirkte, zwei- bis dreimal höhere Sterblichkeitsziffer bei Männern zwischen 15 und 29 Jahren (Studienkommission Wallis 1986, S. 60).

 

 

 
2. Postobligatorische Schule: Sekundarstufe II

Eingangs wurde bereits erwähnt, dass sich der Anteil der Frauen auf der Sekundarstufe II in den vergangenen vier Jahrzehnten stark vergrössert hat (von 29% bei den 60-69jährigen Frauen auf 61% bei den 20-29jährigen). Der Trend der verstärkten Beteiligung der Frauen im Bereich der postobligatorischen Schulen zeigt sich auch beim Vergleich der Schülerinnenzahlen von 1976/77 und 1986/87 (Tabellen 2a und 3a): In diesen zehn Jahren stieg die weibliche Beteiligungsrate an der Sekundarstufe II von 18% auf 27%, wodurch sich das Verhältnis der Geschlechter in dieser Sparte auf 4:5 verbesserte. Namentlich erhöhte sich die Beteiligung der Frauen in der Berufsausbildung (von 67% auf 70%) und an den Mittelschulen (von 15% auf 18%); rückläufig war hingegen der Anteil der Frauen an den Diplommittelschulen, anderen allgemeinbildenden Schulen und den «Lehrer»-Seminaren (von insgesamt 18% auf 12%). Diese Entwicklung – weg von den traditionellen Frauenberufen, hin zu Berufsbildung und Maturität – könnte prima vista ein Indiz für ein verändertes Orientierungsmuster der Frauen bei der Berufswahl sein.

2.1. Berufsausbildung

Im Schuljahr 1986/87 waren 41% aller Lehrlinge weiblich; gegenüber 1976/77 war dies eine Steigerung um 4.5% (Tabelle 3.1b). Die weiblichen Lehrlinge ergriffen und ergreifen jedoch überwiegend kürzere Ausbildungen als ihre männlichen Kollegen: 1986/87 absolvierten 83% der weiblichen Lehrlinge eine 1 1/2 – 3jährige Lehre, während 92% ihrer männlichen Kollegen in Lehrverhältnissen standen, die sich über 2 1/2 – 4 Jahre erstrecken (Tabelle 3.1c). Diese verschiedene Dauer der Lehrzeit verweist auf die von den jungen Frauen und jungen Männern unterschiedlich angestrebten Berufe – und gerade dabei zeigen sich die Geschlechter erstaunlich konstant und konservativ: 1976/77 waren 54% aller weiblichen Lehrlinge im Bereich Handel und Verwaltung tätig, 1986/87 betrug dieser Anteil immer noch 54% (Tabelle 3.1a). An zweiter Stelle wählten die Frauen Berufslehren, welche zur Berufsgruppe Heilbehandlung gehören: In diesem Bereich absolvierten 1976/77 17%, zehn Jahre später 14% der weiblichen Lehrlinge ihre Ausbildung. Genauso unflexibel und auf geschlechtertypische Berufe orientiert zeigten sich die männlichen Lehrlinge: 1976/77 erlernten 59% von ihnen einen Beruf der Gruppe Industrie und Handwerk, 1986/87 betrug dieser Anteil 58%.

2.2. Schulen für Unterrichtsberufe

Eine traditionelle Frauendomäne sind die «Lehrer»-Seminare. Angesichts des massiven SchülerInnenrückgangs in den vergangenen fünfzehn Jahren verlor der Unterrichtsberuf an Anziehungskraft und die Beteiligung der Frauen (der Sekundarstufe II) an diesen Schulen sank von 11% auf 5%. Da sich aber in dieser Zeit bedeutend mehr Männer als Frauen nach anderen Berufen umsahen, stieg der Anteil der Frauen innerhalb der Schulen für Unterrichtsberufe 1986/87 auf über 80%. Damit erhält die «Lehrer»-Arbeitslosigkeit eine geschlechterspezifische Seite; sie wird zur Lehrerinnenarbeitslosigkeit. Geraten heute schon praktizierende verheiratete Lehrerinnen in den Verruf, «Doppelverdienerinnen» zu sein, so dürften angesichts der steigenden Überkapazität an Lehrkräften in den kommenden Jahren viele der frisch ausgebildeten Lehrerinnen keine Stelle finden; sie werden gezwungen sein, in andere Berufe zu wechseln, oder mit der Zeit wohl den Weg an den Herd antreten  5).

Eine weitere Diskriminierung der praktizierenden Lehrerinnen zeigt sich auch in der bereits oben erwähnten Verteilung der Lehrkräfte über die verschiedenen Schulstufen: Mit zunehmendem Unterrichtsniveau nimmt die weibliche Präsenz ab. An den Primarschulen unterrichteten 1984 im nationalen Durchschnitt 57% Frauen, bereits auf der Sekundarstufe aber sind Lehrerinnen nur noch mit 29% vertreten; davon waren 20% (auf Primarstufe) respektive 50% (auf Sekundarstufe) nicht fest angestellt (Schweiz. Dokumentationsstelle für Schul- und Bildungsfragen 1987). Mit dem Bild der Pyramide könnte dieser Sachverhalt folgendermassen dargestellt werden: Der Sockel, die Ebene des Kindergartens und der ersten Primarklassen, wird fast ausschliesslich von Frauen besetzt, die Spitze hingegen, die Universität, ist zu 98% Männern vorbehalten.

2.3. Maturitätsschulen

Während die Berufsbildung einen kontinuierlichen Zulauf durch junge Frauen und Männer erfährt, erreichte die Beteiligung an den Maturitätsschulen 1983/84 ihren Höhepunkt und ist seither leicht rückläufig. Die Maturandinnenquote (bezüglich der Frauen der Sekundarstufe II) kulminierte bereits 1981/82 mit 18.3%; 1986/87 betrug sie 17.6% (Tabelle 3.2c). Da die Männerbeteiligung an diesen Schulen stärker am Sinken ist, stieg hier der Frauenanteil 1986/87 auf 46%.

Der Besuch der Maturitätsschulen differiert stark nach Regionen. Namentlich romanische und Hochschulkantone weisen «Maturanden»-Quoten (Anteile der Maturandinnen und Maturanden an der 19jährigen Wohnbevölkerung) auf, die deutlich über dem nationalen Durchschnitt von 12% liegen (1984: Genf: 26%, Basel: 22%, Tessin: 19%). Entsprechend unterschiedlich sind auch die Frauenanteile: In den Kantonen Genf, Jura, Neuenburg und Waadt erwarben mehr Frauen als Männer ein Maturitätszeugnis, in ländlichen, deutschsprachigen Gegenden lag der Frauenanteil dagegen unter einem Drittel  6)

Während sich das Verhältnis der Geschlechter an den Maturitätsschulen auf 5:6 (1986/87) verbesserte, scheinen sich die Orientierungsmuster der Geschlechter nur wenig verändert zu haben: 1976 gehörten 67% der von Maturandinnen erworbenen Abschlusszeugnisse zu den sprachlichen Typen B und D, 1986 waren es 61%. In diesen beiden Typen waren 1986 die Frauen mit 51% respektive 70% stärker vertreten als die Männer, die ihrerseits mit 80.8% (1986; 1976: 84.4%) den mathematisch-naturwissenschaftlichen Typus C für sich gepachtet zu haben scheinen (Tabellen 3.2a, 3.2b).

Die Zahl jener Maturandinnen und Maturanden, welche nach bestandener Maturität direkt an der Hochschule ein Studium aufnehmen, ist seit einigen Jahren rückläufig (1985 erreichte die sogenannte Sofortstudienquote 50%). Unter jenen MaturandInnen, welche einen Beruf im ausseruniversitären Bereich anstreben, ist die Zahl der Frauen besonders hoch.

 

3. Postobligatorische Schule: Tertiärstufe

Auf dieser (formal) höchsten Ausbildungsstufe ist die quantitative Verteilung von Frauen und Männern mit 1:2 (1986/87) noch am einseitigsten; dies ebenso als Folge der oben dargestellten geschlechterspezifischen Orientierungs- und Verhaltensmuster. Immerhin kann auch im tertiären Bildungssektor eine verstärkte Präsenz der Frauen festgestellt werden: Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich hier die Beteiligung der Frauen von 3.5% auf 7% verdoppelt, so dass ihr Anteil innerhalb dieser Stufe von einem guten Viertel (27%) auf einen knappen Drittel (32%) angestiegen ist (Tabellen 2a und 2b).

Drei Viertel der Frauen im Tertiärbereich besuchen eine Hochschule; dieser Anteil war in den letzten zehn Jahren nur gering rückläufig. Wie auf der Sekundarstufe II ist auch hier bei den Frauen eine Verlagerung von den Unterrichtsberufen (1976: 11%; 1986: 5%) zur höheren Berufsbildung (1976: 12%; 1986: 22%) festzustellen. Das Geschlechterverhältnis innerhalb der (höheren) Schulen für Unterrichtsberufe blieb allerdings konstant bei 3:2 zugunsten der Frauen (Tabellen 4a und 4b).

3.1. Höhere Berufsbildung

Trotz der verstärkten Beteiligung der Frauen können in der höheren Berufsbildung prima vista die alten geschlechterspezifischen Orientierungsmuster festgestellt werden (Tabellen 4.1a und 4.1b). Namentlich die Männer zeigen sich ausgesprochen fixiert auf die technischen Berufe und auf jene aus dem Bereich Handel und Verwaltung: 81% (1976/77) respektive 76% (1986/87) der Männer im Bereich der höheren Berufsbildung absolvierten eine Ausbildung in diesen beiden Fächergruppen; innerhalb der technischen Berufe lag der Männeranteil sowohl 1976/77 wie 1986/87 über 95%. Bei den Frauen hat sich hingegen das Verhalten in den letzten zehn Jahren geändert: Ihre Beteiligung in den Fächern Heilbehandlung, Bibliotheken, künstlerische Berufe sowie Seelsorge und Fürsorge sank von 82% (1976/77) auf 46% (1986/87); demgegenüber stieg sie in den Bereichen Handel und Verwaltung sowie Gastgewerbe und Hauswirtschaft von 10% (1976/77) auf 44% (1986/87). Trotz dieser Orientierungsverschiebung bleiben die Frauen in den traditionellen Frauenfächern (Heilbehandlung, Bibliotheken, künstlerische Berufe, Seelsorge und Fürsorge) vorläufig noch in der Überzahl.

3.2. Hochschulen/Universitäten

Die Öffnung der Hochschulen für Frauen ist zwar bereits ein gut 100jähriger Prozess; markant beschleunigt aber wurde er erst seit den 60er Jahren im Zuge der allgemeinen Förderung der Bildung: 1960/61 betrug der Frauenanteil an den Hochschulen 17%, 1970/71 23%, 1976/77 28% und 1986/87 36%.

Wie bei den Maturitätsschulen bestehen auch zwischen den Hochschulen deutliche regionale Unterschiede betreffend die Frauenbeteiligung: An den vier Westschweizer Universitäten – die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Lausanne ausgenommen – betrugen 1986/87 die Frauenanteile 40% oder mehr; an der Universität Genf studierten mehr Frauen (51%) als Männer. Weniger als 20% Frauen wiesen hingegen die ETH in Zürich (17%) und Lausanne (14%) sowie die Hochschule St. Gallen (15%) auf 7)

Augenfällig ist auch auf der Hochschulebene die geschlechterspezifische Wahl der Studienrichtung. Mehr als zwei Drittel der Studentinnen absolvierten 1986/87 eine Ausbildung im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften 8), die Hälfte davon in Philosophie, Sprach- und Kulturwissenschaften (21%) oder Psychologie, Erziehungswissenschaften und Sport (12%). Nur 14% der Studentinnen – gegenüber 35% der Studenten – standen 1986/87 in einem Studium der Ingenieur- und exakten Wissenschaften; zehn Jahre zuvor war die Beteiligung der Geschlechter nur wenig tiefer. Innerhalb der Studienrichtungen überstieg der Frauenanteil während der vergangenen Dekade 40% bei den Geistes- und Sozialwissenschaften und in der Medizin. Aber auch bei den Ingenieur- und exakten Wissenschaften war ein Anwachsen der Frauenrate auf 14% (+8%) respektive 22% (+3.5%) festzustellen (Tabellen 4.2a und 4.2b).

Ein weiterer geschlechterspezifischer Unterschied zeigt sich beim Studienverhalten: Von denjenigen Studierenden, die sich 1976 an einer Hochschule oder Universität immatrikulierten, schieden nach fünf Semestern 25% der Männer aus; bei den Frauen war diese Studienabbruchsquote bereits nach zwei Semestern erreicht. Weiter verfügten von diesen Studierenden sieben Jahre nach Studienbeginn 40% der Männer über ein Abschlussexamen; bei den Frauen hatten selbst nach neun Jahren noch weniger als 40% ihr Studium abgeschlossen. Eine Erklärung – zumindest für die unterschiedliche Ausbildungsdauer – mag die Studienwahl sein: Da die Männer an den ETH, welche die Ausbildung streng reglementieren, deutlich übervertreten sind, ist es evident, dass diese Studenten die Hochschule nach der vorgegebenen, relativ kurzen Zeit mit einem Diplom verlassen. Studien in den Geistes- und Sozialwissenschaften, welche von den Frauen 1986/87 zu fast 70% absolviert wurden, dauern hingegen generell länger. Auf eine weitere Ursache des geschlechterspezifisch verschiedenen Studienverhaltens – namentlich dafür, dass jede fünfte Studentin, aber nur jeder neunte Student das Studium abbricht – verweist eine Untersuchung über den Studienabbruch bei Frauen (VSS 1984). Darin registrieren die Autorinnen einen Rollenkonflikt der Frauen an den Hochschulen zwischen den Haltungen, welche die Frauen – sozialisationsbedingt – an die Universität mitbringen, und den Anforderungen der (auf die Männer zugeschnittenen) Universität, welche dem weiblichen Rollenstereotyp zuwiderlaufen. Frauen scheinen auch weniger berufsorientiert ein Studium aufzunehmen und zeigen weniger Lust, sich am männlichem Imponiergehabe in den Lehrveranstaltungen zu beteiligen. Neben solchen Gründen dürfte eine Schwangerschaft eher ein sekundäres Argument für einen Studienabbruch bei Frauen sein.

Jenen Frauen, welche ihr Studium abschliessen, stellen sich auf dem Arbeitsmarkt bei der Stellensuche grössere Probleme als den Hochschulabsolventen. Eine Erhebung über die Beschäftigungssituation der NeuabsolventInnen der Schweizer Hochschulen (1985) zeigte, dass die Arbeitslosigkeit bei den geisteswissenschaftlichen Disziplinen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich zugenommen hat – gerade hier aber findet sich die Mehrzahl der Hochschulabsolventinnen. Hinzu kommt, dass in der Westschweiz, wo die Studentinnenbeteiligung am grössten ist, mehr Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt bestehen als in der übrigen Schweiz. Aber auch an den Universitäten und Hochschulen selber finden Frauen weniger häufig eine Anstellung als ihre Kollegen. 1984 machten die Assistentinnen nur gerade einen Fünftel aus, wobei ihre Verteilung nach Fächern die weibliche Präsenz im Studium gedämpft widerspiegelt: Bei den Geistes- und Sozialwissenschaften machte der Frauenanteil 35% aus, in der Medizin 22% und bei den Ingenieurwissenschaften 7%. Nach Universitäten und Hochschulen aufgeschlüsselt lag 1984 die Frauenquote auf der Ebene des Mittelbaus in Genf, Lausanne (Universität) und Neuenburg zwischen 28 und 31%, an den ETH (Lausanne und Zürich) und der Hochschule St. Gallen war sie kleiner als 10%. Noch krasser sind die Geschlechterunterschiede auf der «Dozenten»-Ebene: Im universitären Lehrkörper sind nurmehr 2.3% Frauen anzutreffen. Diese verteilen sich hauptsächlich auf die Geistes- und Sozialwissenschaften und die Westschweizer Universitäten.

 

ABSCHLIESSENDE ÜBERLEGUNGEN

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Frauen im Zug der allgemein forcierten Förderung der Bildung in den letzten Jahrzehnten ihre Beteiligung auf allen Bildungsstufen gewaltig verstärkt haben. Hintergrund der Bildungsexplosion der sechziger Jahre war die Hochkonjunktur, als ein Mangel an Arbeitskräften bestand; interessant ist nun die Feststellung, dass die Beteiligung der Frauen auch in der zweiten Hälfte der 70er und in den 80er Jahren, der Zeit der wirtschaftlichen Krise und Umstrukturierung, weiter angestiegen ist.

Die erhöhte Teilnahmerate von Frauen im sekundären und tertiären Bildungssektor aber änderte bisher nur wenig an der Konzentration der Frauen in traditionell-weiblichen Berufs- und Bildungsfeldern; die Frauen – wie auch die Männer – haben sich bezüglich ihrer Orientierungs- und Verhaltensmuster noch nicht vom alten geschlechterspezifischen Rollendenken emanzipiert. Damit ist eine gesellschaftliche Dimension angesprochen: Veränderungen bezüglich der Orientierungs- und Verhaltensmuster der Geschlechter im Bildungswesen können nicht ohne einen entsprechenden Wandel in der Gesellschaft vor sich gehen; ein solcher aber ist erst ansatzweise erkennbar. Immerhin kann angenommen werden, dass mit der (quantitativ) gesteigerten Beteiligung der Frauen im Bildungswesen – wenn auch vorwiegend in traditionell-weiblichen Berufen – eine (qualitative) Bewusstseinsänderung eintreten kann, die die bisherigen geschlechterspezifischen Rollen und Bilder in der Gesellschaft aufweicht. Ein Indiz dafür sind jene Frauen, welche sich, zwar noch in geringer Zahl, in traditionell-männliche Berufe wagen; dies ist in sämtlichen Bildungssparten festzustellen, am deutlichsten aber bei den Frauen in der höheren Berufsbildung.

Ausbildung ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Voraussetzung für Emanzipation, für eine freiere Existenz. Um soziale Ungleichheiten zu überwinden, muss die Hebung des Bildungs- und Ausbildungsniveaus auch mit anderen Massnahmen verbunden werden. Erst dann etwa zeigt die verstärkte Frauenbildung Wirkung, wenn den Frauen unter anderem auch entsprechende Betätigungsmöglichkeiten offenstehen; es muss eine funktionale Beziehung zwischen Bildung und Berufschance bestehen. Bezüglich der Berufsausübung von Frauen bestehen jedoch noch mannigfaltige Widerstände; als Beispiel sei auf das Schimpfwort «Doppelverdienerin» verwiesen, worunter verheiratete Frauen gemeint sind, die – häufig in Berufssparten mit Arbeitsplatzmangel – ihrer erlernten Tätigkeit nachgehen und unerwünscht sind. Das Bild von Frauen als «Konjunkturpuffer» steht auch hinter dem Aufruf der «Konferenz der Vorsteher der Berufsberatung der welschen Schweiz und des Tessins (CCO)», welche angesichts der sinkenden SchülerInnenzahlen rät, vermehrt junge Frauen für die Berufsbildung zu begeistern: «Die Öffnung zu beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten für die Mädchen scheint nützlich zu sein, um zu verhindern, dass sich weniger Anwärter zur Berufslehre stellen. Dies wird nicht ohne Schwierigkeiten gehen. Es müssen, so scheint es uns, vor allem Umstellungen der Gewohnheiten und der traditionellen Anschauungen angestrebt werden» (zitiert nach Studienkommission Wallis 1986, S. 14). Pauschal könnte gesagt werden, dass im Bildungsbereich den Frauen heute grundsätzlich alle Tore offenstehen, dass diese auf dem Beschäftigungs- und Arbeitsmarkt je nach konjunktureller Lage aber geöffnet und zugeschlagen werden. Ebenfalls gegen die Emanzipationsbestrebungen der Frauen wirken die heute noch weitgehend starren Arbeitszeiten. Für ein Paar mit Kindern wird es dadurch einem der beiden Elternteile – «normalerweise» der Frau – verunmöglicht, der erlernten Tätigkeit nachzugehen, zumindest für die Zeit, da die Kinder klein sind. Flexiblere Arbeitszeiten hingegen würden eine gerechte Teilung der anfallenden Hausarbeit zwischen Mann und Frau ermöglichen und verhindern, dass eben meistens die Frauen ihre Berufstätigkeit für mehr als zehn Jahre unterbrechen und damit den Anschluss verpassen. Versucht aber heute eine Frau und Mutter weiterhin ihrer Berufstätigkeit nachzugehen, bedeutet dies für sie erfahrungsgemäss eine Doppelbelastung.

Frauen absolvieren heute – zum Teil noch ähnlich den (Bildungs-) Bürgerfrauen im 19. Jahrhundert – häufiger als Männer eine Ausbildung ohne konkrete Berufsziele; dies deutet auf eine weniger ausgeprägte Beziehung zum Arbeitsmarkt, was aber angesichts der geschlechterrollenspezifischen Sozialisierung nicht überrascht. Aus demselben Grund reagieren Frauen auf Veränderungen des Arbeitsmarktes nicht so direkt wie die Männer: In den letzten fünfzehn Jahren zogen sich die Frauen aus dem arbeitslosigkeitsträchtigen «Lehrer»-Beruf in geringerem Ausmass als die Männer zurück und bei den Geistes- und Sozialwissenschaften ist ihre Beteiligung gar noch steigend. Die Männer hingegen wenden sich, den Erfordernissen der technologischen Entwicklung entsprechend, mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern zu. Es kann behauptet werden, dass die Männer in die neuen wichtigen Berufe einsteigen, während die entstandenen Lücken in den alten Berufen im Übermass von den Frauen ausgefüllt werden.

Die Feststellung des «mangelhaften Praxisbezugs» der Frauen basiert auf der Meinung, dass die Emanzipation der Frau darin bestehe, sich dem Mann gleichzustellen. Diese Vorstellung von Emanzipation wird jedoch nicht von allen Frauen geteilt. Namentlich die neue Frauenbewegung, welche die bestehende (patriarchalische) Gesellschaft mit ihren Kategorien von Macht, Unterdrückung und Ausbeutung ablehnt, weigert sich, die Gleichberechtigung der Frau um den Preis ihrer «Vermännlichung» zu erkaufen; einige Vertreterinnen finden es nicht mehr erstrebenswert, in der heutigen patriarchalischen Gesellschaft – quasi als Nothelferinnen – mitzuwirken. Als Beispiel mögen die bundesdeutschen Soziologinnen Christel Neusüss und Claudia von Werlhof genannt werden, welche sich weigern, eine ökologisch heruntergefuhrwerkte Gesellschaft von AKW, Pershings und Chemie mitzuverwalten. Hinterfragt werden muss in diesem Zusammenhang auch das Postulat der Funktionalität von Ausbildung und Arbeitsmarkt. Ohne die Debatte zwischen dem Sekretär der Schweizerischen Hochschulkonferenz, Rolf Deppeler, und dem neoliberalen Freiburger Ökonomen Walter Wittmann über die Ausbildung als Wert an sich oder als Funktion in Bezug auf den Arbeitsmarkt zu rezipieren (siehe dazu SPJ 1984, S. 154), kann dieses nicht-funktionale, humanistische Verhalten der Frauen auch als Chance für die Gesellschaft gesehen werden: «Weibliche» Werte stellen zur herrschenden instrumentellen und formalisierten Vernunft (Max Horkheimer) eine Alternative dar und könnten eine Basis sein für eine neue Gesellschaft, die dem Individuum einen Wert an sich zugesteht und in der die freie Entwicklung jedes einzelnen Menschen die Bedingung für die freie Entfaltung aller ist.

 

Anmerkungen

1) Erklärung der Kategorien bei Tabelle 1 im Anhang.

2) Zur Struktur des schweizerischen Schulsystems siehe Egger 1976 und EDK 1984.

3) Zur Geschichte der Frauenbildung siehe Joris/Witzig 1986 und Thurler 1985.

4) SPJ 1981, S. 153 und 198; 1982, S. 144 und 194; 1983, S. 162 f.; 1984, S. 156 und 208; 1985, S. 170 und 228; 1986, S. 180 f. und 246. Überblick über den Stand in den verschiedenen Kantonen: Erziehungsdirektion ZH 1982; Luzerner Neueste Nachrichten, 12.4.85; 24 Heures, 22.5.85.

5) SPJ, 1984, S. 156; 1985, S. 170 f.; 1986, S. 181

6) Bundesamt für Statistik (BfS), Hochschulstatistischer Überblick 1985; dass., Bildungsstatistik, Nr. 1, 1986.

7) BfS, Studenten an den schweizerischen Hochschulen, 1987.

8) Erklärung der Kategorien bei Tabelle 4.2a im Anhang.


 
 
 VERWENDETE UND ZITIERTE LITERATUR 

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