Werner Seitz

    «Wo hat Madame Platz genommen? Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1991»,
    in Eidg. Kommission für Frauenfragen (Hg.), Frauenfragen / Questions au féminin / Problemi al Femminile, Nr. 3, Dezember 1992, S. 5–13.

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    Obwohl im Vorfeld der eidg. Wahlen 1991 viel von der Notwendigkeit einer besseren Representation der Frauen die Rede war, stieg der Frauenanteil im Parlament kaum merklich an. Der folgende Beitrag analysiert die Wahlergebnisse im Detail und untersucht, wo die Hindernisse lagen und welche Wirkungen mit Frauenförderungsmassnahmen erzielt werden können.

    Bei den Nationalratswahlen 1991 schnitten die Frauen enttäuschend ab: Nur 35 Kandidatinnen schafften den Sprung in die grosse Kammer, wo sie mit einem Anteil von 17.5% eine kleine Minderheit darstellen. Gegenüber den Nationalratswahlen 1987, bei denen 29 Frauen gewählt wurden, stieg die Frauenvertretung um 3 Prozentpunkte, was dem durchschnittlichen Wachstum des Frauenanteils in der grossen Kammer seit der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts von 1971 entspricht. Ziehen wir in Betracht, dass im Sommer 1991 auf Grund personeller Mutationen im Nationalrat 32 Frauen Einsitz hatten, so halbiert sich die Steigerung des Frauenanteils auf 1,5 Prozentpunkte. Die medienwirksamen «Frauenhappenings» im Februar und Juni 1991 (Frauensession und Frauenstreik) und die Aktivitäten der Eidg. Kommission für Frauenfragen scheinen auf die politische Repräsentation der Frauen im Bundeshaus keine Wirkung gezeitigt zu haben.
     

    1. DIE ALLGEMEINEN WAHLERGEBNISSE IN KÜRZE

    1.1 Die Stärke der Parteien
    Bei den Nationalratswahlen 1991, bei denen sich erstmals auch die 18- und 19jährigen beteiligen konnten, waren FDP und CVP die grossen Verliererinnen; klare Siegerinnen waren die Rechtsparteien, vor allem die AP.
    Die beiden bürgerlichen Bundesratsparteien FDP und CVP büssten gegenüber 1987 zusammen mehr als 3 Prozentpunkte ein und erreichten noch 21% respektive gut 18%. Positiv war demgegenüber die Bilanz für die dritte bürgerliche Bundesratspartei, die SVP, welche sich um einen knappen Prozentpunkt auf fast 12% steigerte. Die Rechtsparteien (SD, EDU, AP und Lega) legten zusammen 4,5% zu und erreichten knapp 11%. Zur stärksten Kraft unter den Rechtsparteien avancierte mit über 5% die AP. Aufsehen erregten die phänomenalen Stimmengewinne der Lega dei ticinesi. Diese 1991 gegründete rechtspopulistische Bewegung gewann im Kanton Tessin fast einen Viertel aller abgegebenen Stimmen.
    Das rotgrüne Lager büsste gegenüber 1987 1 knappen Prozentpunkt ein und erreichte eine Stärke von 27,5%: Die SPS als stärkste Partei in diesem Lager vermochte ihren seit 1975 anhaltenden Krebsgang bei 18,5% zu stoppen. Die GPS wiederum etablierte sich – auf Kosten der alternativen Grünen – mit gut 6% als stärkste oppositionelle Kraft im Parlament.

    1.2 Die Sitzverteilung im neuen Nationalrat
    Die Verteilung der Sitze im Nationalrat entsprach weitgehend der Stärke der einzelnen Parteien: Die FDP verlor gegenüber 19877 Mandate und die CVP 6. Mit 44 respektive 36 Sitzen erreichten diese beiden bürgerlichen Bundesratsparteien ihre geringste Sitzzahl seit der Einführung der Proporzwahl (1919). SPS und SVP vermochten ihre leichten Gewinne nicht in zusätzliche Sitze umzusetzen: Sie blieben bei ihrer bisherigen Mandatszahl von 41 respektive 25 stehen. Die Bundesratsparteien verfügen so im Nationalrat über 146 Sitze; das sind 26 Sitze weniger, als sie 1959 bei der Einführung der sogenannten Zauberformel für die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates hatten.
    Die Rechtsparteien vermochten ihre Sitzzahl von 5 auf 16 zu steigern: Den grössten Zuwachs erfuhr die AP, welche ihre Abordnung auf 8 Sitze vervierfachen konnte. Mit 2 zusätzlichen Sitzen erreichte auch die SD Fraktionstärke (5). Neu in den Nationalrat zogen zwei Abgeordnete der Tessiner Lega und ein Vertreter der EDU ein.
    Die GPS steigerte ihre Sitzzahl von 9 auf 14. Die alternativen Grünen, von denen die vier grössten Kantonalparteien im Verlaufe der vergangenen Legislatur zur GPS gewechselt hatten, verloren 3 Sitze und sind nur noch mit 1 Abgeordneten in der grossen Kammer vertreten.
    Grosser Verlierer war neben FDP und CVP der Landesring der Unabhängigen, der nach 3 Mandatsverlusten noch mit einer 5er-Vertretung im Nationalrat präsent ist; diese ist kleiner als ein Drittel der Abordnung, welche der LdU noch 1967 gestellt hatte.

    2. DIE FRAUEN BEI DEN NATIONALRATSWAHLEN 1991
    Im folgenden Text geht es um jene Frauen, die sich an den Nationalratswahlen 1991 als Kandidatinnen beteiligten. Über die Frauen als Wahlberechtigte wissen wir wenig; etwa das folgende:
    Aufgrund der Volkszählung von 1990 sind die Frauen unter den Wahlberechtigten mit fast 54% in der Mehrheit. Die Frauen machen jedoch von ihrem Stimm- und Wahlrecht weniger Gebrauch als die Männer: Gemäss Vox-Analyse gingen bei den Nationalratswahlen 1991 nur 41% der Frauen, aber 52% der Männer an die Urne. Von diesen Frauen stimmten rund 16% für SPS oder CVP, rund 10% für FDP oder SVP sowie 7% für GPS und 4% für die AP; am meisten Frauen – etwa 17% – legten jedoch eine Liste ohne Parteibezeichnung in die Urne. Differenzieren wir die Wählerinnen und Wähler dieser 6 Parteien, so war die GPS die einzige Partei, welche von mehr Frauen als Männern gewählt wurde: 54% der GPS-Stimmen wurden von Frauen abgegeben. Am zweitmeisten Frauen unter ihren Wählenden hatte die SPS mit 48%; bei CVP und SVP betrug dieser Anteil je 47% und bei der AP 46%. Den kleinsten Wählerinnenanteil verzeichnete von den erwähnten Parteien die FDP mit nur 41% Frauen.
    Die folgenden Ausführungen untersuchen – unter dem Aspekt der Frauenrepräsentation – zuerst, was sich im Vorfeld der Nationalratswahlen abspielte (das Aufstellen der Listen und das Bestimmen der Kandidaturen) und darauf die Ergebnisse der Wahlen. Abgeschlossen werden die Ausführungen mit Erörterungen über die Wirksamkeit von Frauenlisten sowie über die Wahlchancen der Frauen auf den verschiedenen Parteilisten.

    2.1 Im Vorfeld der Wahlen
    Bei den Nationalratswahlen 1991 wurden 248 Listen mit 2'561 Kandidierenden aufgestellt; 1987 waren es 222 Listen mit 2'400 Kandidierenden; dies ist eine Steigerung von 11.7% respektive 6.7% bei den Kandidierenden.

    2.1.1 Die eingereichten Listen
    Unter den den 248 eingereichten Listen waren 10 Frauenlisten, 1987 waren es 6. Insofern 1991 die Frauenlisten hauptsächlich von grösseren Parteien – namentlich von der SPS und den Grünen – aufgestellt wurden, kam ihnen ein grösserer Stellenwert zu als 1987, wo sie – mit Ausnahme der SP-Bern und der FDP-Solothurn – von sogenannten Splittergruppen stammten. Die SPS stellte in Zürich, Bern, Freiburg und Genf 4 nach Geschlechtern getrennte Listen auf. Die Grünen (GPS) traten in St. Gallen mit einer Frauen- und einer Männerliste an, in Solothurn nur mit einer Frauenliste. Eine weitere Frauenliste präsentierte die grünalternative FraP! aus Zürich. Wie bereits 1987 kandidierte die Solothurner FDP auch 1991 mit 2 nach Geschlechtern getrennten Listen. 2 weitere Frauenlisten stammten aus Zug («Komitee Frauen nach Bern») und Basel-Landschaft (SD).
    Diese Frauenlisten waren – mit Ausnahme derjenigen von Zug – mit anderen Parteilisten verbunden; in den meisten Fällen wurden noch Unterlistenverbindungen mit der Männerliste der eigenen Partei eingegangen.

    2.1.2 Die Kandidaturen
    Die Zahl der Kandidatinnen betrug 834 (1987: 696); das ist ein Anteil von 32.6% am Total der Kandidaturen (1987: 29%).
    Gegenüber 1987 vergrösserten die Frauen ihre Präsenz auf den Listen absolut wie anteilsmässig bei sämtlichen Parteien, ausser bei der AP. Am meisten Frauen kandidierten – in absoluten Zahlen – auf den Listen der SPS (121), der GPS (120) und der CVP (92), am wenigsten auf jenen der EDU (10) und der AP (9).
    Bei den beiden grünen Formationen waren die Frauen in der Mehrheit: Ihr Anteil lag bei den alternativen Grünen über 60% und bei der GPS über 50%. Über 40% betrugen die Frauenanteile bei der PdA und bei der SPS; auf den Listen des LdU waren die Frauen mit etwas weniger als 40% vertreten. Unterdurchschnittlich viele Frauen waren auf den Listen der bürgerlichen
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    und rechten Parteien vertreten. Am höchsten war ihr Anteil noch mit etwas über 30% bei der LPS. Bei der FDP und der CVP betrugen die Kandidatinnenanteile rund 27%. Ähnlich gross waren die Frauenanteile bei der Lega und der SD. Am wenigsten Frauen kandidierten bei der SVP (17%), der EDU (13%) und der AP (7%). Die AP portierte 1991 als einzige Partei absolut und anteilmässig weniger Frauen als bei den Nationalratswahlen 1987.
    Mehr als die Hälfte aller Kandidatinnen (57.6%) stellten sich in den grossen Kantonen Zürich und Bern zur Wahl. Keine, beziehungsweise nur eine Frau kandidierte in den kleinen Kantonen Appenzell-Ausserrhoden und Zug. Am höchsten war der Frauenanteil mit über einem Drittel in Solothurn. Unterdurchschnittlich vertreten waren die Frauen auf den Wahllisten in den französisch- und italienischsprachigen Kantonen.

    2.2 Gewählte Frauen im Nationalrat 1991
    Von den 834 Kandidatinnen schafften 35 den Sprung in die grosse Kammer. Diese stammen mehrheitlich aus dem rotgrünen Lager: 12 Frauen wurden auf den Listen der SPS gewählt, 9 auf jenen der Grünen (8 GPS, 1 alternative Grüne). Bei den bürgerlichen Bundesratsparteien waren insgesamt 12 Frauen erfolgreich: 5 bei der FDP, 4 bei der CVP und 3 bei der SVP. Je eine Frau im neu gewählten Nationalrat ist Mitglied der LPS respektive des LdU. Keine Nationalrätin stellen die kleinen Parteien EVP, PdA, PSU sowie die Rechtsparteien (AP, SD, EDU und Lega).
    Verglichen mit den Wahlen von 1987 erfuhr die Repräsentation der Frauen ihre grösste Steigerung bei der GPS (+5). Bei der SVP stieg sie um 2 und bei der FDP und der LPS um je 1 Frau. Um je eine Nationalrätin kleiner als 1987 sind die Abordnungen der CVP, des LdU und der alternativen Grünen. Bei der SPS stagnierte die Zahl der Nationalrätinnen bei 12.
    Bezogen auf die Abordnungen der Parteien zeigen sich grosse geschlechterspezifische Unterschiede: Bei den Grünen machen die Frauen die Mehrheit unter den Gewählten aus, bei der SPS erreicht ihr Anteil knapp 30%. Bei den bürgerlichen Parteien dagegen sind die Frauen mit Anteilen von 10–12% krass untervertreten.
    Nach Kantonen war bei den Nationalratswahlen 1991 die Frauenvertretung rückläufig: Wählten 1987 noch 13 Kantone Frauen in die grosse Kammer, so war dies 1991 nur noch in 12 Kantonen der Fall. In Freiburg und im Wallis
    Grafik 2
    wurden die bisherigen Nationalrätinnen abgewählt; neu vertreten sind hingegen die Frauen in der Abordnung von Genf. Der grösste Teil der gewählten Nationalrätinnen kommt aus der deutschsprachigen Schweiz; die Westschweiz ist nur noch mit 4 Nationalrätinnen vertreten (1987: 5). Fast die Hälfte aller Nationalrätinnen kommt aus den Kantonen Zürich (9) und Bern (7), wo auch die meisten Nationalratsmandate zu vergeben sind.

    2.3 Die personelle Erneuerung des Nationalrates 1991
    Im Vorfeld der Nationalratswahlen gaben 53 Bisherige – 4 Frauen und 49 Männer – ihren Rücktritt aus der grossen Kammer bekannt. Folgende 4 Nationalrätinnen verzichteten auf eine erneute Kandidatur: Susi Eppenberger (FDP, SG,) Susanne Leutenegger Oberholzer (BL, POCH-Grüne), Françoise Pitteloud (SP, VD) und Lilian Uchtenhagen (SP, ZH).
    Personell wurde der Nationalrat um 1/3 erneuert: 133 Bisherige wurden wiedergewählt (23 Frauen und 110 Männer); 3 Bisherige nahmen nach einem Unterbruch wieder Einsitz in die grosse Kammer (Leni Robert, GPS-BE, und 2 Männer).
    Abgewählt wurden 14 Bisherige; fast jede dritte (!) war eine Frau. Die 5 abgewählten Nationalrätinnen waren Rosmarie Antille (FDP, VS), Elisabeth Déglise (CVP, FR), Monique Paccolat (CVP, VS), Monika Stocker (GPS, ZH) und Ursula Ulrich (SP, SO).
    Neu gewählt wurden 11 Frauen und 53 Männer.

    3. DER ERFOLG DER FRAUENLISTEN
    Von den 10 Frauenlisten waren 6 erfolgreich: auf ihnen schafften 8 Frauen den Sprung nach Bern. Gewählt wurden 5 Frauen auf den Listen der SP (2 ZH, 2 BE, 1 GE), 2 auf den GPS-Listen (1 SO, 1 SG) und 1 auf der Liste der alternativen Grünen in Zürich (FraP!). Ohne jede Chance waren die übrigen 4 Frauenlisten.
    Vergleichen wir diese 6 erfolgreichen Listen mit den entsprechenden Parteilisten bei den Nationalratswahlen 1987, – die meisten waren damals nicht nach Geschlechtern getrennt – so stellen wir fest, dass sich die Zahl der gewählten Frauen bei diesen Parteien von 4 auf 8 verdoppelt hat. Auf den ersten Blick haben sich die Frauenlisten also bewährt.
    Dieser Erfolg kann zwei Gründe haben: Entweder haben die Parteien – dank der Frauenlisten (?) – gesamthaft an Stimmen zugelegt und mehr Sitze erreicht, oder die Frauen vermochten – bei gleichbleibender Parteistärke – einige Männer zu verdrängen. Letzteres war nicht der Fall: Die Zahl der gewählten Männer war bei diesen Parteien 1991 gleich gross wie 1987 (12).
    Betrachten wir die erstgenannte mögliche Ursache, so stellen wir fest, dass nicht alle Parteien, die Frauenlisten aufstellten, an Stimmen zulegten. Stimmengewinne erzielten die SP-Zürich (+1.4% auf 18.8%; 1 Sitzgewinn), die SP-Genf (+7.8% auf 26.4%; 1 Sitzgewinn) und die GP-St.Gallen (+0.9% auf 6.2%; 1 Sitzgewinn). Schwächer als 1987 war die SP-Bern (–2.3% auf 20.0%; 1 Sitzverlust). Die GP-Solothurn schnitt 1991 leicht schwächer ab als 1987 (–0.2% auf 7.3; 1 Sitzgewinn). Für die FraP!, welche 1.5% der Stimmen erhielt, lässt sich ein Vergleich mit 1987 nicht anstellen. Aufgrund dieser unterschiedlichen Veränderungen der Parteistärken und der Sitzzahlen kann auch der erstgenannte Grund nicht ohne weiteres zur Erklärung für die Sitzgewinne der Frauenlisten beigezogen werden. Wie ist der Erfolg der Frauenlisten also zu erklären?
    Die Wahlresultete der Grünen (GP-SO, GP-SG und FraP!) dürfen wohl nicht für eine Begründung beigezogen werden. Es drängt sich bei diesen vielmehr die Vermutung auf, dass die 3 Sitzgewinne dem Einfluss der Glücksgöttin zuzuschreiben sind: Alle 3 Mandate waren sogenannte Restmandate und kamen dank Proporzglück und der günstigen Konstellation in den eingegangenen Listenverbindungen zustande.
    Besser thematisieren lässt sich die Wirksamkeit der geschlechterspezifischen Listen anhand der SP-Frauenlisten. In Genf hat sich die Frauenliste offensichtlich ausbezahlt: Die massiven Stimmenverluste der GP (–4.8% auf 6.7%) und die ebenso spektakulären Stimmengewinne der SP dürfen wohl so erklärt werden, dass es der SP-Frauenliste gelang, ehemalige grüne Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen. Die Strategie der SP, gegen die GP-Liste, welche von einem eher konservativen Nationalrat angeführt wurde, eine kämpferische Frauenliste mit Christiane Brunner an der Spitze aufzustellen, ist voll aufgegangen.
    Anders verhält es sich in Zürich: Die beiden SP-Listen gewannen gegenüber 1987 1 Mandat (von 6 auf 7). Diesen Sitzgewinn machte die Männerliste, welche mit Moritz Leuenberger und Elmar Ledergerber 2 Top-Kandidaten hatte (Leuenberger erhielt alleine soviele Stimmen wie die beiden gewählten SP-Frauen zusammen). Die Frauen stagnierten jedoch bei ihren beiden Sitzen von 1987. Ziehen wir in Betracht, dass die SP-Vertretung von Zürich am Ende der vergangenen Legislatur aus 3 Frauen bestand, so kann gar von einem Sitzverlust gesprochen werden. Die nach Geschlechtern getrennten Listen haben in Zürich verhindert, dass die SP-Frauen an den Vorteilen einer starken Männer-Liste teilhaben konnten. Sie blieben auf ihren beiden Mandaten sitzen, während die SP-Männer nicht nur das zusätzliche Mandat gewannen, sondern auch noch denjenigen Sitz wieder zurückholten, der im Verlaufe der Legislatur zu einem Frauensitz geworden war.
    Bei der Frauenliste der SP-Bern haben wir eine direkte Vergleichsmöglichkeit mit 1987. Die SP kandidierte damals allerdings nicht nur mit einer Frauen- und einer Männerliste, sondern auch noch mit einer regionalen (Südjura-)Liste. Dies erschwert den Vergleich wiederum etwas. 1987 erreichte die Frauenliste 5.7% (2 Sitze), die Männerliste 15.1% (5 Sitze) und die Südjura-Liste 1.4% (0 Sitze). Bei den Nationalratswahlen 1991 gewann die Frauenliste gegenüber 1987 1.2 Prozentpunkte (gleich viele Mandate wie 1987) und die Männerliste verlor 2.1 Prozentpunkte (1 Mandatsverlust); mit der 1991 nicht mehr kandidierenden Südjura-Liste, auf der vor allem die Männer dominierten, gingen der SP weitere 1.4 Prozentpunkte verloren. Betrachten wir die Südjura-Liste als Männerliste, so haben die Männer über 3 Prozentpunkte verloren, die Frauen jedoch konnten sich von der seit 1979 anhaltenden Talfahrt der SP-Bern – 1979 hatte die SP noch über 30%, 1991 nur noch 20% – absetzen und an Stimmen zulegen. Der Frauenliste der SP-Bern ist es offensichtlich gelungen – auch dank der profilierten Spitzenkandidatin Gret Haller –, sich ein eigenständiges Profil zu geben, sowohl gegenüber der verlierenden SP-Liste der Männer und Gewerkschafter wie auch gegenüber der starken Kandidaturen aus den Reihen der Grünen.
    Wie diese drei Beispiele zeigen, kann die Frage nicht heissen: «Frauenlisten ja oder nein». Für bestimmte Situationen (Genf und Bern) kann eine Frauenliste erfolgversprechend sein, für andere (Zürich) wiederum nicht. Es ist also nötig, vorgängig eine Analyse der konkreten Verhältnisse zu machen. Für die Nationalratswahlen 1991 hätte eine solche ergeben können, dass die Bedingungen in Genf (und in Bern?) für eine SP-Frauenliste günstig waren, nicht aber in Zürich. Dort hätte nicht nur die attraktive Männerliste gegen einen Alleingang der Frauen gesprochen, es war auch keine besondere Zielgruppe der SP-Frauenliste erkennbar: FraP! und die Grünen deckten bereits grosse Teile dieses «Segmentes» ab.
    Bei den nach Geschlechtern getrennten Listen ist ferner auf den Nachteil hinzuweisen, dass diese verhindern, dass Frauen während der
    Grafik 3
    Legislatur auf Sitze von zurücktretenden Männern nachrutschen könnnen. Die SP-Zürich wird daher während der gesamten Legislatur nie mehr als 2 Frauen im Nationalrat haben. In der vergangenen Legislatur konnten die Zürcher SP-Frauen – dank den gemischten Listen von 1987 – ihre Präsenz im Nationalrat von 2 auf 3 steigern.

    4. DIE WAHLCHANCEN DER FRAUEN
    Auf dem Weg in den Nationalrat haben die interessierten Wahlberechtigten eine doppelte Selektion zu bestehen: Zuerst müssen sie unter den Wahlberechtigten als Kandidierende ausgewählt werden, und darauf haben sie sich gegen die anderen Mitkandidierenden durchzusetzen, um als Abgeordnete in die grosse Kammer gewählt zu werden.
    Bei diesem Selektionsprozess schneiden die Frauen, die in der Bevölkerung mit gut 51% und unter den Wahlberechtigten mit 54% die Mehrheit ausmachen, mit steigender Stufe schlechter ab. Bei den Nationalratswahlen 1991 waren die Männer unter den Kandidierenden rund doppelt so stark vertreten wie die Frauen; bei der Wahl schnitten sie wiederum nochmals mehr als doppelt so erfolgreich ab wie die Frauen; das Verhältnis der gewählten Frauen zu den gewähten Männern kam so auf rund 1:5 zu liegen.
    Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die zweite Selektionstufe von der Kandidatur zur Wahl und beleuchten das Phänomen, dass bei den Nationalratswahlen 1991 von den kandidierenden Männern 9.3% gewählt wurden (160 Gewählte auf 1'727 Kandidaten), von den Frauen aber nur 4.2% (35 Gewählte auf 834 Kandidatinnen), dass also die männlichen Kandidaturen mehr als doppelt so erfolgreich waren als die weiblichen.
    Indikator für den Erfolg der Kandidierenden ist die Wahlquote. Diese wird definiert als das Verhältnis der Zahl der Kandidaturen zur Zahl der Gewählten. Die Wahlquote sagt also nichts aus über die absolute Zahl der Gewählten, sie illustriert nur die Wahlchancen der Kandidierenden.

    4.1 Die Wahlquote der Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1991
    Seit der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts vergrösserten die Frauen ihre Vertretung kontinuierlich bei den Kandidierenden wie bei den Gewählten: Die Zahl der Kandidatinnen stieg von 268 (1971) auf 834 (1991); bezogen auf das Total der Kandidierenden bedeutet dies eine Vergrösserung des Frauenanteils von 15.9% auf 32.6%. Bei den Gewählten stieg die Frauenvertretung von 10 (1971) auf 35 (1991); in Prozenten ist dies eine Vergrösserung von 5 auf 17.5.
    In der folgenden Grafik 4 werden die Wahlchancen der Kandidatinnnen und Kandidaten bei den Nationalratswahlen von 1971 bis 1991 dargestellt. Die Werte in der Grafik sind indexierte Wahlquoten: Die durchschnittlichen Wahlquoten aller Kandiderenden bei den
    Grafik 4
    Grafik 5
    Nationalratswahlen wurden jeweils als Index=100 gesetzt; die Wahlquoten der Männer und der Frauen wurden mit diesem Index in eine Beziehung gesetzt, indem sie mit der durchschnittlichen Wahlquote gewichtet wurden. Ein Index der Kandidatinnen von 50 bedeutet so beispielsweise, dass die Wahlquote halb so gross ist wie der Durchschnitt aller Kandidaturen, ein Index der Kandidaten von 120 wiederum bedeutet eine Überrepräsentation gegenüber dem Durchschnitt von 20%. Wären die Wahlquoten der Frauen und der Männer identisch, so hätten beide den Index 100.
    In der Entwicklung der Wahlquoten der Geschlechter können zwei Phasen unterschieden werden: Zwischen 1971 und 1979 stiegen die Wahlchancen der Kandidatinnen kontinuierlich und jene der Kandidaten gingen leicht zurück. Nach 1979 erfolgte eine Zäsur: Die Wahlquote der Frauen sank 1983 ab und stieg anschliessend wieder leicht an; den Stand von 1979 aber hat sie bis zu den jüngsten Wahlen noch nicht erreicht. Bei den Männern stieg die Wahlquote seit 1983 kontinuierlich an und erreichte 1991 gar ihren Höchststand der letzten 20 Jahre.
    Zur Erklärung des Einbruchs von 1983 und die seither nur schleppend vorangehenden Vergrösserung der Wahlquote der Frauen ist auf das Faktum hinzuweisen, dass der Anteil der Frauen, die sich um ein Mandat im Nationalrat bewarben, stärker anstieg als der Anteil derjenigen Frauen, die einen Sitz errangen. Der Engpass der Frauen auf dem Weg in die grosse Kammer liegt daher seit 1983 weniger auf der Ebene der Selektion als Kandidatinnen als auf jener der Wahl. Sollten sich die Vertretungen der Frauen und Männer im Nationalrat angleichen, so müssen die Bemühungen der Parteien nicht nur auf eine weitere Vergrösserung der weiblichen Präsenz als Kandidierende abzielen, sondern sie müssen sich vor allem darauf konzentrieren, den Kandidatinnen zum Erfolg zu verhelfen.

    4.2 Die Wahlquote der Frauen nach Parteien (1991)
    Bei den Nationalratswahlen 1991 lag die Wahlquote bei 7.6%, das heisst, von den 2'561 Kandidatinnen und Kandidaten wurden 7.6% – oder jede 13. kandidierende Person – gewählt. Bei den Frauen betrug die Wahlquote 4.2, bei den Männern 9.3.
    Zur Interpretation von Grafik 5 verweisen wir auf die Ausführungen zu Grafik 4. Da im folgenden die Wahlquoten der Frauen bei den verschiedenen Parteien untersucht werden sollen, werden nur jene Parteien berücksichtigt, bei denen auch Frauen gewählt wurden. Ausser Betracht fallen somit EVP, CSP, PdA, PSU, SD, EDU, AP und Lega.
    Bei den Nationalratswahlen 1991 waren die beiden grünen Formationen (GPS und alternative Grüne) die einzigen Parteien, bei denen die Wahlquote der Frauen grösser war als jene der Männer. Die dritthöchste Wahlquote erreichten die Frauen auf den Listen der SVP. Hier ist allerdings darauf hinzuweisen, dass von der SVP nur 3 Frauen ins Parlament gewählt wurden; die hohe Wahlquote erklärt sich durch die geringe Zahl von nur 40 Kandidatinnen. Für eine sinnvolle Interpretation der Wahlquote – unter dem Aspekt der Vergrösserung des Frauenanteils im Nationalrat – unterscheiden wir zwei Gruppen von Parteien: jene mit einem Kandidatinnenanteil von 30% und mehr, und jene mit einem Kandidatinnenanteil von weniger als 30%. Zur ersten Gruppe gehören die Grünen, SPS, LdU und LPS, zur zweiten Gruppe die bürgerlichen Bundesratsparteien (FDP, CVP und SVP).
    Bei den Grünen (GPS und alternative Grüne) haben die Frauen, wie bereits erwähnt, bessere Wahlchancen als die Männer. Bei der SPS dagegen ist die Wahlquote der Männer bereits fast doppelt so gross wie jene der Frauen. Letzteres heisst zwar nicht, dass die SPS ihre Kandidatinnen als «Alibifrauen» behandelte, es weist aber darauf hin, dass die Frauen auf den Listen der SPS bedeutend schlechtere Wahlchancen haben als die Männer. Beim LdU, wo nur 1 Frau gewählt wurde, sind die Wahlquoten der Mäner gut 21/2mal grösser als jene der Frauen und bei der LPS – ebenfalls mit nur 1 gewählten Frau – beträgt das Verhältnis der Wahlchancen der Männer zu jenen der Frauen 4:1. Um der geschlechterparitätischen Repräsentation einen Schritt näherzu kommen, müssen SPS, LdU und LPS ihre Bemühungen vor allem auf die konkrete Förderung der Kandidatinnen richten.
    Die Wahlchancen der Frauen auf den Listen der CVP und FDP sind fast 3mal kleiner als jene der Männer. Der Flaschenhals für die Frauen dieser Parteien existiert also gleich doppelt: Einerseits schaffen sie den Sprung zur Kandidatur nur unterdurchschnittlich (ihr Anteil an den Kandidierenden beträgt je 27%), und andrerseits haben die Kandidatinnen bedeutend schlechtere Chancen auf eine Wahl in die grosse Kammer. Die hohe Wahlquote der Kandidatinnen SVP wurde bereits oben erwähnt; sie liegt nur etwa 1/3 unter jener der Kandidaten. Die wenigen Kandidatinnen der SVP (sie machten nur 17% aus) scheinen also recht gute Wahlchancen zu haben. Der Schwachpunkt der SVP – im Hinblick auf eine Verstärkung der Repräsentation der Frauen im Nationalrat – liegt somit primär bei der geringen Zahl der weiblichen Kandidaturen.

    5 SCHLÜSSE FÜR EINE VERBESSERUNG DER REPRÄSENTATION DER FRAUEN IM NATIONALRAT

       
      1. Im Erfolg der Frauen bei den Nationalratswahlen 1991 widerspiegelt sich die Konfliktachse «grün/links – bürgerlich/rechts». Die meisten Frauen wurden bei den Grünen und der SPS gewählt. Dabei stellen die Frauen bei den Grünen mit 9 Gewählten die Mehrheit dar; bei der SPS machen sie mit 12 Gewählten einen knappen Drittel aus. Bei den bürgerlichen Bundesratsparteien (FDP, CVP, SVP) wurden insgesamt ebenfalls 12 Frauen gewählt; ihr Anteil an den 105 Gewählten beträgt gut 11%. Keine Frau war bei den Rechtsparteien erfolgreich. Da bei den Nationalratswahlen 1991 die Rechtsparteien (und auch die SVP) die grossen Siegerinnen waren, veränderte sich im Nationalrat hinsichtlich einer Vergrösserung der Repräsentation der Frauen nur wenig.
      Bei den Nationalratswahlen 1991 errangen die bürgerlichen Bundesratsparteien (FDP, CVP und SVP) zusammen 105 Sitze; nur 12 davon wurden von Frauen besetzt. Es liegt daher vor allem an diesen 3 Parteien, sich vermehrt für die Förderung ihrer Frauen einzusetzen.

      2. Die erste Bedingung für die Vergrösserung der Repräsentation der Frauen im Nationalrat sind mehr Frauenkandidaturen: Eine solche wäre namentlich angesagt bei der AP und den übrigen Rechtsparteien, wo 1991 nur 18% Frauen kandidierten; auf den Wahllisten der AP machten die Kandidatinnen gar nur 7% aus. Weniger als 20% Frauen kandidierten bei der SVP, weniger als 30% bei FDP und CVP. Angesichts dieses enormen Kandidatinnen-Defizits liegt ein Schlüssel zur Verbesserung der Repräsentation im Nationalrat, bei den bürgerlichen Bundesratsparteien und den Rechtsparteien: Sie müssen die Frauen davon zu überzeugen, dass es sich lohnt, auf ihren Listen zu kandidieren, und müssen den Frauen auf ihren Listen auch Platz machen.

      3. Die zweite Bedingung betrifft die Unterstützung der kandidierenden Frauen. Ob diese Unterstützung in Form von eigenen Frauenlisten oder einer privilegierten Behandlung der Kandidatinnen bei der Listengestaltung besteht, kann nur aufgrund einer Analyse der besonderen Verhältnisse entschieden werden. Dabei sind Frauenlisten eine zweischneidige Massnahme: Sie können den Kandidatinnen zum Erfolg verhelfen wie bei der SP in Genf und Bern, sie können sie aber auch ghettoisieren (SP-Zürich). Erfolgversprechend ist die privilegierte Behandlung bei der Listengestaltung; die entsprechenden Stichworte dazu sind etwa «parteiinterne Quoten» und «Spitzenplätze» auf den Listen (beispielsweise mit einem «Frauenblock» an der Spitze der Liste oder hinter die Bisherigen). Die Listenplatzierung muss ferner mit Massnahmen wie der Unterstützung bei öffentlichen Auftritten im Wahlkampf und besonderen Aufrufen zur Wahl der Kandidatinnen begleitet werden.