Werner Seitz*

Vox-Analyse der Nationalratswahlen 1991: «Asylpolitik im Zentrum»,
in Bresche, 1992, Nr. 4, S. XXI–XXV.


   
Das Wahlthema

Zentrales Thema, welches die Nationalratswahlen 1991 bestimmte, war die Asylpolitik. Für einen Viertel der Wählenden war dies die entscheidende Frage. Erst an zweiter und dritter Stelle folgen die Themen der europäischen Integration und des Umweltschutzes. Am besten zu nutzen vermochte die negative Stimmung in der Bevölkerung bezüglich der Asylpolitik die Autopartei (AP), welche zur eigentlichen Wahlsiegerin avancierte; ebenfalls profitieren konnten davon die Schweizer Demokraten und – als TrittbrettfahrerInnen – Teile der SVP.

Ein weiteres Merkmal dieser Wahlen war das weiterhin sinkende Vertrauen in den Bundesrat. Dieser Prozess läuft seit den achtziger Jahren und manifestiert sich unter anderem im für schweizerische Verhältnisse massiven Einbruch der vier Bundesratsparteien in der Gunst der Wählenden: Votierten 1979 noch über 81% der Wählenden für eine Bundesratspartei, so lag dieser Anteil bei den jüngsten Wahlen unter 70%. Unter den Befragten stellte die Vox-Analyse nur gerade bei den SVP, den FDP und CVP-WählerInnen mehrheitlich ein Vertrauen in den Bundesrat fest (zwischen 54 und 66%); unter den SPS- und GPS-WählerInnen vertrauten noch 42% resp. 39% der Politik des Bundesrates. Grösstes Misstrauen äusserten die AP-WählerInnen: 76% haben kein Vertrauen in den Bundesrat.
 

Die Ergebnisse in Kürze

Die Nationalratswahlen brachten einen zweifachen «Rechtsrutsch», einen ersten im Verhältnis zwischen dem rot-grünen Lager und dem bürgerlich-rechten Lager, und einen zweiten innerhalb des Lagers der Bürgerlichen und Rechtsparteien:

1 Das Lager der Bürgerlichen und der Rechtsparteien gewann gegenüber den letzen Wahlen 2,4 Prozentpunkte und erreichte insgesamt 65%, während SPS, Grüne und die Parteien der Mitte 2,2 Punkte verloren (32.6%).

2 Innerhalb des bürgerlich-rechten Lagers verloren FDP und CVP 3,4 Punkte, während die kleinen Rechtsparteien (AP, Lega, SD und EDU) 4,8 Punkte an Stimmen zulegten und zusammen insgesamt 10,8% erreichten. Der Rechtsrutsch zeigte sich auch innerhalb der SVP, der einzigen bürgerlichen Bundesratspartei, welche gesamtschweizerisch ein knappes Prozent zulegen konnte (auf 11,9%); dabei realisierte die SVP ihre Gewinne vor allem in jenen Kantonen, wo sie sich mit ihren Positionen der AP angenähert hatte.

Im rot-grünen Lager ist die faktische Verabschiedung der Grünalternativen als nationale Kraft zu konstatieren: Die sieben im Bündnis der DACH zusammengeschlossenen grünalternativen Gruppen (inkl. POB) erreichten nur noch eine nationale Stärke von 1,5% (1987: 3,7%). Nutzniesserinnen der Verluste der Grünalternativen waren die SPS, welche ihren seit 1975 anhaltenden elektoralen Abstieg erstmals aufhalten konnte (18,5%), und die GPS, welche mit 6,1% zur stärksten oppositionellen Kraft avancierte. Ohne die Stimmen jener Sektionen des alternativen Grünen Bündnisses aber, die im Verlaufe der letzten Legislatur zur GPS gewechselt hatten (LU, BL, SG und AG), hätte die GPS wohl nicht einmal das Niveau der Wahlen von 1987 (4.9%) halten können.
 

Die Wahlbeteiligung

Bei den Nationalratswahlen 1991 hat die Wahlabstinenz weiter zugenommen; nur 46% der Wahlberechtigten gingen an die Urne, was einen weiteren Tiefpunkt in der Geschichte der schweizerischen Wahlbeteiligung darstellt. Für die – gegenüber anderen westeuropäischen Staaten – niedrige Wahlbeteiligung gibt es zwei Gründe, die mit dem schweizerischen politischen System zusammmenhängen: Einerseits haben die Nationalratswahlen in der Schweiz keinen direkten Einfluss auf die Regierungsbildung und können auch keinen Regierungswechsel bewirken, und andrerseits finden wichtige politische Auseinandersetzungen «hinter den Kulissen» und in Volksabstimmungen statt. Dazu kommt als weiterer Grund, dass sich politische Enttäuschung weniger durch das Wechseln einer Partei ausdrückt als vielmehr durch Wahlabstinenz.

Nach der Vox-Analyse wächst mit steigender Bindung an eine Partei auch die Bereitschaft, sich an Wahlen zu beteiligen (dies gilt nicht unbedingt für die Abstimmungen): Wahlen sind vor allem eine Angelegenheit von Parteien. Bei der Befragung bezeichneten sich von den Wahlberechtigten 12-14% als Parteimitglieder und weitere 45% identifizierten sich mit einer Partei; die übrigen haben nur eine lose oder gar keine Parteibindung. Es ist gewissermassen eine Bestätigung der Charakterisierung der Wahlen als eine Sache der Parteien, wenn die Vox-Analyse feststellt, dass sich die Parteimitglieder an den Nationalratswahlen 1991 stark beteiligten (zu 91%) und dass von den dauerhaften SympathisantInnen noch 70% an die Urne gingen; von den nur losen AnhängerInnen gingen noch knapp 50% wählen. Am wenigsten konnten die Ungebundenen zum Urnengang bewegt werden. Da die Zahl der Ungebunden – absolut gesehen – recht gross ist, ist ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen.

Bei ihren Befragungen stellte die Vox-Analyse ferner - wie bereits in früheren Untersuchungen - fest, dass HauseigentümerInnen und Ortsansässige häufiger zur Urne gehen als MieterInnen und ZuzügerInnen. Bezüglich des Alters der Wahlberechtigten zeichnete sich hingegen eine Trendwende ab. Galt bisher für Wahlen - nicht aber für Abstimmungen - die These, dass die Wahlbeteiligung mit zunehmendem Alter (bis 75) steigt, konnte bei den jüngsten Nationalratswahlen ein Knick beim Beginn des Rentenalters festgestellt werden: Erstmals waren die RentnerInnen nicht mehr die am besten mobilisierte Gruppe.
 

Die Mobilisierungsfähigkeit

Die Politologie unterscheidet zwischen der inneren und der äusseren Mobilisierungsfähigkeit einer Partei. Die innere Mobilisierungsfähigkeit bezeichnet die Fähigkeit einer Partei, ihre Mitglieder und engen SympathisantInnen, die ja nicht mehr von der Programmatik überzeugt werden müssen, zum Gang an die Urne bewegen zu können. Die äussere Mobilisierungsfähigkeit wiederum bezeichnet die Ausstrahlung einer Partei auf die Nicht-Festgelegten und die gelegentlichen UrnengängerInnen, welche nur noch zur Stimmabgabe zugunsten der Partei angehalten werden müssen.

Bei den jüngsten Nationalratswahlen vermochten die grossen Parteien ihre Mitglieder und SympathisantInnen bedeutend besser zu mobilisieren als die kleineren Parteien: Am besten schnitten CVP und SVP ab (mit 75% resp. 74%), etwas schlechter die FDP (71%) und die SPS (67%). Angesichts dieser hohen inneren Mobilisierungsfähigkeit sind die Verluste von CVP und FDP nicht bei ihren (eventuell unzufrieden gewordenen) Mitgliedern und SympathisantInnen zu suchen, sondern bei ihrer gesunkenen Attraktivität für diejenigen, die sich weniger stark an eine Partei gebunden fühlen. Schlecht zu mobilisieren vermochten ihre Leute auch die GPS und AP: Nur gerade 50% (GPS) resp. 38% (AP) von denen, welche eine Bindung zu diesen Parteien haben, gingen an die Urne.
Bei den Verbänden wiederum mobilisierten die Gewerkschaften mit nur 62% ihre Mitglieder am schlechtesten, im Gegensatz zu den Umweltschutz-, Angestellten- und Frauenorganisationen, deren Mitglieder zu über 70% an die Urne gingen.

Wachsende Bedeutung kommt den immer zahlreich werdenden WechselwählerInnen, den Nicht-Festgelegten und den gelegentlichen UrnengängerInnen zu. Unattraktiv für WechselwählerInnen waren bei den Nationalratswahlen 1991 FDP und CVP, die beiden Wahlverliererinnen; demgegenüber wählten 1991 22% von jenen, die 1987 noch eine bürgerliche Bundesratspartei unterstützt hatten, AP, die damit zur eigentlichen Wahlgewinnerin avancierte. Im rot-grünen Spektrum war die Attraktivität für die WechselwählerInnen recht gross; allerdings beschränkte sie sich vor allem auf das eigene Lager, wobei die GPS mehr Stimmen von ehemaligen SPS-WählerInnen holte (12%) als umgekehrt (4%). Die GPS war auch erfolgreicher als die SPS bei den Wählenden ausserhalb des rot-grünen Lagers: Sie vermochte 10% von ehemaligen bürgerlichen WählerInnen zu gewinnen, während sich unter den SPS-WählerInnen von 1991 nur 1% ehemalige bürgerliche WählerInnen befinden.
Zum Bereich der äusseren Mobilisierung gehören auch die JungwählerInnen, welche sich erstmals an eidgenössischen Wahlen beteiligten: Den grössten JungwählerInnen-Anteil hatten die GPS (13%) und die SPS (8%). Im bürgerlichen Lager wirkte die CVP mit 6% am attraktivsten. Die SVP hatte 3% JungwählerInnen und die FDP 1%. Unter den AP-WählerInnen von 1991 waren 4% JungwählerInnen.

 

Die WählerInnen-Profile

Die bürgerlichen und Rechtsparteien
FDP und CVP-Wählende identifizieren sich mit ihrer Partei nach wie vor aufgrund des politisch-ideologischen Standortes – der Weltanschauung –  sind also noch sog. «Milieu-Parteien». Themenorientierte Politik wird demgegenüber unterdurchschnittlich gewichtet. Die WählerInnenschaft der beiden Parteien FDP und CVP haben sich angeglichen. Beide haben hohe WählerInnenanteile bei EigentumsbesitzerInnen und denjenigen, die länger als fünf Jahre am selben Ort wohnen. Weiter gestiegen ist bei beiden der Anteil jener Wählenden, die sich bereits im Rentenalter befinden.
In einem starken Wandel bezüglich ihrer sozialen Zusammensetzung befindet sich demgegenüber die SVP, die einzige bürgerliche Bundesratspartei, die bei den jüngsten Wahlen keine Verluste hinnehmen musste. Grundlegend verändert sowohl bezüglich ihrer thematischen Ausrichtung wie auch bezüglich ihrer WählerInnenschaft hat sich die AP: Galt sie bei den Nationalratswahlen 1987 als die Partei der politisch desinteressierten, jugendlichen Autorambos, welche sich vor allem mit den Grünen anlegten, so verkörperte sie diesmal die asylantenfeindliche Protestpartei, welche den politischen Behörden grosses Misstrauen entgegenbringt und die Bürgerlichen gleichermassen wie die Rot-grünen attackiert.

FDP: Schlagseite zu höheren Schichten
Die FDP verliert zunehmend den Charakter einer breit abgestützten Volkspartei und ist zu einer Partei der mittleren und höheren Schichten geworden. Rückläufig und vergleichsweise untervertreten sind heute bei der FDP - die in den siebziger Jahren noch am ehesten alle Berufsgruppen repräsentierte - die ArbeiterInnen, die einfachen Angestellten und die LandwirtInnen. FDP-WählerInnen stammen heute vor allem aus mittleren und leitenden Positionen im Dienstleistungsbereich. Auch altersmässig hat sich die FDP vereinseitigt: Zwei Drittel der FDP-WählerInnen sind über 40 Jahre alt, ein Viertel ist gar im Rentenalter.

CVP: Partei der LandbewohnerInnen
Die soziologische Struktur der CVP-Wählenden ist jener der FDP ähnlich; sie unterscheidet sich von ihr jedoch in zweifacher Hinsicht markant: 1. Die CVP ist – mehr noch als die SVP – die Partei der ländlichen Gebiete. 2. Wichtigste Voraussetzung für die Wahl der CVP ist der katholische Glaube; die CVP ist eine ausgesprochene Partei der KatholikInnen. KatholikInnen finden sich mittlerweile auch in anderen Parteien; der umgekehrte Schluss aber ist nicht denkbar. Wie keine andere Partei ist die CVP überaltert: Fast ein Viertel aller CVP-WählerInnen sind im Rentenalter, ein guter Viertel nur sind jünger als vierzig Jahre alt.

SVP: Partei im Wandel
Ihre WählerInnenschaft hat sich am auffälligsten gewandelt: Das ehemalige Image als Bauernpartei stimmt nicht mehr, gewichtiger sind heute mittlere Angestellte und Beamte sowie BürgerInnen mit guter, aber nicht akademischer Bildung. Dieser Erneuerungsprozess zeigt sich auch in der Alterszusammensetzung: Von den bürgerlichen Parteien hat die SVP die durchschnittlich jüngste WählerInnenschaft: 36% sind zwischen 18 und 39 Jahre, 48% zwischen 40 und 64 Jahre alt. Zentral ist für SVP-WählerInnen die Asylfrage, der eigentliche Renner bei den Wahlen. Bezogen auf die Konfession ist ein deutlicher Überhang an ProtestantInnen festzustellen.

AP: Die siegreiche Protestpartei
Am deutlichsten drückt sich der gegenwärtige Protest der WählerInnenschaft bei der AP aus, die zur eigentlichen Protestpartei geworden ist. Entstanden aus dem Protest gegen die Ökologisierung der Politik im Bundesrat, in der Verwaltung und in den bürgerlichen Parteien hatte die AP bei den Nationalratswahlen 1987 vor allem junge Männer mit meist geringem politischem Engagement mobilisiert. Diese antiökologische Fragestellung hat sich mittlerweile geändert: Bei den Nationalratswahlen 1991 dominierte klar die Asylfrage. Die Hälfte der AP-WählerInnen stimmte für die AP, weil sie mit der aktuellen Asylpolitik unzufrieden ist.
Entsprechend dieser thematischen Verschiebung hat sich auch das Potential der AP verändert: Sie expandierte fast auf das ganze Mittelland und vor allem auf die Agglomerationen. Dabei ist auch geschlechtermässig ein Ausgleich eingetreten. Immer noch ist aber die AP eine Partei der «Jungen»; fast 50% der AP-WählerInnen sind unter 40 Jahre alt. Schichtpezifisch ergaben sich zwei Eigenheiten: Leitende Positionen und VertreterInnen selbständiger oder handwerklicher Berufe einerseits und der ArbeiterInnenschaft andrerseits sind im AP-Elektorat besonders stark vertreten.
Die AP verkörpert auch den Protest gegen die Politik des Bundesrates: Drei Viertel der AP-Wählenden werfen dem Bundesrat Versagen vor und haben kein Vertrauen in ihn. Die meisten AP-WählerInnen sind WechselwählerInnen, die aus dem bürgerlichen Lager kommen. 28% der AP-Wählenden waren ferner bei den letzten Nationalratswahlen von 1987 nicht wählen gegangen. Jede(r) 4. AP Wählende stuft sich als rechtsextrem ein.
 

Das rot-grüne Lager
Im Gegensatz zu FDP und CVP, die noch weitgehend sogenannte Milieu-Parteien sind - das heisst, die Wählenden fühlen sich mit ihren Parteien vor allem aufgrund einer gemeinsamen Weltanschauung und einem Gruppenzugehörigkeitsgefühl verbunden -, sprechen SPS und GPS ihre WählerInnen vor allem mit ihren Positionen zu aktuellen Sachfragen an; Gruppenbezüge und Ideologien sind bei SPS- und GPS-WählerInnen fast vollständig verschwunden.

Im rot-grünen Lager ergeben sich zunehmend Tendenzen der Angleichung. Die gesamte WählerInnenschaft der GPS ist durch den Beitritt grosser ehemaliger Kantonalparteien der Grünalternativen deutlich nach links gerutscht; gestiegen ist auch der Anteil der gewerkschaftlich Organisierten (21%). Umgekehrt ist die SPS nicht mehr die Partei der RentnerInnen und ArbeiterInnen: In diesen Segmenten musste die SPS erneut Verluste hinnehmen, welche aber mit Gewinnen in den Mittelschichten erstmals ausgeglichen werden konnten. SPS- und GPS-WählerInnen stimmen in der Prioritätenliste überein: 1. Umweltpolitik, 2. Europapolitik und 3. Flüchtlingspolitik. Angeglichen haben sich die Parteien auch bezüglich ihrer soziologischen Zusammensetzung: Beide haben unter den Wählenden einen relativ hohen Anteil junger WählerInnen, Frauen und BürgerInnen mit hoher Bildung; bei den Grünen ist dieser Akzent etwas ausgeprägter. Den Hauptharst der rot-grün-Wählenden stellen die Mittelschichten, Angestellten, BeamtInnen in mittleren oder einfachen Positionen. Der Anteil der ArbeiterInnen beträgt bei SPS wie GPS einen Fünftel.

SPS: Verjüngung und mehr Angestellte
Die SPS hat sich von den Regierungsparteien in den letzten fünfzehn Jahren am stärksten verändert; dies hat sozioökonomische Gründe, ist aber auch Folge des selber eingeleiteten Umbaus der Partei. Die Angestellten machen in der SPS-WählerInnenschaft mittlerweile zwei Drittel aus; in den letzten acht Jahren hat sich ihr Anteil verdreifacht. Weiter gesunken ist der Anteil der RentnerInnen; er beträgt jetzt noch 13%, nachdem er vor zehn Jahren noch 25% betragen hatte.

GPS: Die Partei der Frauen und Jungen
Die GPS wird als einzige Partei von mehr Frauen (54%) als Männern gewählt und hat die jüngste WählerInnenschaft; 59% sind unter 40, 35% sind zwischen 40 und 64 Jahre und nur 6% sind über 64 Jahre alt. Soziologisches Merkmal der GPS-Wählenden ist ihre hohe Mobilität und ihre geringe gesellschaftliche Integration. Einen vorläufigen Höhepunkt scheint die GPS in den grosstädtischen Agglomerationen erreicht zu haben; in Zürich und Genf stagnierten die Anteil deutlich. Dies wird jedoch wettgemacht durch ein Ansteigen in der ländlichen Bevölkerung.
 
 
 

Die Vox-Analyse

Zwei bis drei Monate nach den eidgenössischen Abstimmungen und Wahlen publiziert die Schweizerische Gesellschaft für praktische Sozialforschung (GFS) in Zusammenarbeit mit einem der politologischen Institute der Universitäten Bern, Zürich oder Genf jeweils die Vox-Analysen, welche versuchen, mit einer Meinungsbefragung die Gründe für das Abstimmungs- und Wahlverhalten zu eruieren und zu beleuchten. Die Meinungsbefragung wird in den drei Wochen nach dem Urnengang durchgeführt, wobei rund 1000 repräsentativ ausgewählte Personen angegangen werden. Repräsentativ ist die Befragung insofern, als sie versucht, die stimmberechtigte Schweizer Bevölkerung im Kleinen abzubilden, und zwar in Bezug auf folgende personen- und ortsbezogene Merkmale: Geschlecht, Alter, Konfession, Schulbildung, Erwerbsgrad, berufliche Stellung, Lebensstandard, Wohnverhältnisse, Ortsansässigkeit, Siedlungsart, Sprachregion und Kanton. Ob es der Vox-Analyse dabei auch wirklich gelingt, die Beweggründe für das Wahlverhalten von Herrn und Frau Schweizer zu eruieren, wurde in den sechzehn Jahren ihres Bestehens manchmal in Zweifel gezogen; meistens allerdings, wenn Ergebnisse zu Tage kamen, welche gewissen Kreisen nicht in den Kram passten. Ernst zu nehmen aber ist sicher die Kritik, dass die Zahl von 1000 Befragungen für eine Analyse dieser Art zu klein ist; diesem Einwand stimmen selbst die AutorInnen des Berichts über die Nationalratswahlen 1991, Claude Longchamp und Sibylle Hardmeier, zu (vgl. den technischen Anhang zur Vox-Analyse). Eine Vergrösserung der Zahl von Befragungen von 700 auf 1000 erfolgte 1986 dank einer Erhöhung der finanziellen Beiträge des Bundes; angebrachte Wünsche für eine weitere Vergrösserung scheiterten bislang an der Frage des Geldes. Solange aber die Vox-Analysen die einzigen wissenschaftlichen Nachuntersuchungen auf der Basis von Meinungsbefragungen darstellen, sind sie für an der schweizerischen Politik Interessierte ein unentbehrliches Arbeitsinstrument.

Die Vox-Analyse über die Nationalratswahlen 1991 wurde von den Berner PolitologInnen Claude Longchamp und Sibylle Hardmeier verfasst und umfasst rund 70 Seiten. Sie gliedert sich in sechs Kapitel, welche je verschiedene Aspekte des Wahlgeschehens beleuchten (z. B. die Mobilisierungsfähigkeit der Parteien, die Kriterien der Personenwahl und die Faktoren der Meinungsbildung). Das Kernstück der Vox-Analyse ist das Kapitel mit den soziologischen WählerInnenprofile der Parteien. Aufgrund der geringen Befragungsbasis konnten in der Vox-Analyse nur folgende sechs Parteien berücksichtigt werden: FDP, CVP, SPS, SVP, GPS und AP.
 


 
 
* Werner Seitz 
studierte Philosophie, Schweizergeschichte und Staatsrecht an der Universität Bern. Von 1983 bis 1990 war Werner Seitz Assistent am Forschungszentrum für schweizerische Politik und am Soziologischen Institut der Uni Bern. Seit 1990 ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter  am Bundesamt für Statistik tätig und wertet dort die Nationalratswahlen 1991 aus.