Werner Seitz

    «Umsetzungsmodelle zur eidgenössischen ‘Quoten-Initiative‘»,
    in Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (Hg.), Frauenfragen / Questions au féminin / Problemi al Femminile, 1998, Nr. 1, S. 10–22. 


      ==> en français: «Modèles destines à concretiser ‘l’initiative des quotas‘»  

    Die eidg. Volksinitiative «Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Initiative 3. März)» wurde am 21. März 1995 mit rund 110'000 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. Sie fordert eine verfassungsmässig garantierte «gerechte Vertretung der Frauen» in folgenden fünf Bereichen: in der Bundesverwaltung, im Nationalrat, im Ständerat, im Bundesrat und im Bundesgericht. Im folgenden soll der Frage nach der «wahltechnischen» Umsetzbarkeit der Forderungen der «Quoten-Initiative» nachgegangen werden, und zwar zuerst in jenen vier Bereichen, in denen keine komplizierten Eingriffe nötig sind (Bundesverwaltung, Bundesrat, Bundesgericht und Ständerat), und anschliessend in jenem Bereich, in dem das Wahlprozedere stärker verändert wird (Nationalrat).

    1. Bundesverwaltung (Artikel 4, Absatz 2, 5. Satz der Bundesverfassung)

    Die erste Bestimmung der «Quoten-Initiative» sagt, dass «das Gesetz ... für eine ausgewogene Vertretung der Frauen in den Verwaltungen (zu sorgen habe), insbesondere in der allgemeinen Bundesverwaltung, in den Regiebetrieben und an den Hochschulen». Anders als bei den anderen vier anvisierten Bereichen macht die «Quoten-Initiative» bei der Bundesverwaltung keine präzisen Angaben über die zahlenmässige Vertretung der Frauen. Es kann somit angenommen werden, dass hier dem Gesetzgeber ein gewisser Ermessensspielraum zugestanden wird und dass diese erste Bestimmung der Volksinitiative primär darauf abzielt, die Umsetzung des Gleichstellungsgesetzes und von bereits beschlossenen Massnahmen zu forcieren; solche sind namentlich die Weisungen des Bundesrates «über die Verbesserung der Vertretung und der beruflichen Stellung des weiblichen Personals in der allgemeinen Bundesverwaltung» (1991).

    2. Bundesrat (Art. 95 BV)

    Nach dem Vorschlag der «Quoten-Initiative» soll die Bundesregierung weiterhin aus sieben Mitgliedern bestehen, wobei «mindestens drei von ihnen ... Frauen» sein sollen. Da es schon heute eine verfassungsmässige und zwei informelle Quoten gibt, vergrössert sich mit dieser Mindestquote die Zahl der bereits bestehenden Quoten für die Wahl in den Bundesrat. In der Bundesverfassung verankert ist die sogenannte Kantonsklausel: Artikel 96 bestimmt, dass pro Kanton nur eine Person wählbar ist. Diese Quote ist – gewissermassen als «Negativquote» – weniger einschränkend als die angestrebte Geschlechterquote  Informeller Art sind sodann die sprachregionale und die parteipolitische Quote: Der Anspruch der lateinischen Schweiz auf mindestens zwei Sitze im Bundesrat wurde seit der Gründung des Bundesstaates von 1848 fast ausnahmslos eingehalten, die «Zauberformel» betreffend die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrates (2 FDP, 2 CVP, 2 SPS und 1 SVP) gilt seit 1959.
    Wahltechnisch gesehen bietet die Einführung der Geschlechterquote für den Bundesrat keine besonderen Probleme: Zu den erwähnten bereits bestehenden Quoten gesellte sich neu die Quote «mindestens drei Frauen». Da die Wahl in den Bundesrat nach dem Majorzsystem erfolgt, würden nach einer Annahme der «Quoten-Initiative» diejenigen Personen als gewählt gelten, welche die vorgegebenen Quoten erfüllten und am meisten Stimmen erhielten.
    Mit der Einführung einer Geschlechterquote würde die Manövrierfähigkeit der vereinigten Bundesversammlung (National- und Ständerat) bei der Wahl des Bundesrates eingeschränkt. Gleichzeitig würde aber auch der Druck auf die Bundesratsparteien verstärkt, fähige Kandidatinnen in möglichst vielen Kantonen zu suchen und für solche Ämter aufzubauen.

    3. Bundesgericht (Art. 107 BV)

    Für das Bundesgericht bestimmt die «Quoten-Initiative», dass «der Anteil der weiblichen Mitglieder und Ersatzmitglieder ... je mindestens 40 Prozent» betragen soll. Wie bei der Wahl in den Bundesrat wird hier eine nach oben offene Mindestquote für die Frauen festgelegt.
    Auch für die Wahl in das Bundesgericht bestehen bereits heute eine verfassungsmässige und eine informelle Quote; diese sind jedoch ebenfalls weniger rigide als die vorgesehene Geschlechterquote. In der Bundesverfassung festgelegt ist die Bestimmung, dass «darauf Bedacht genommen werden (soll), dass alle drei Amtssprachen des Bundes vertreten seien» (Art. 107). Informeller Art ist die weitgehend eingehaltene Praxis bezüglich der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesgerichts; fast alle Gewählten gehören – nach einem gewissen Verteilungsschlüssel – einer Bundesratspartei an.
    Wie bei der Wahl in den Bundesrat müsste nach Annahme der «Quoten-Initiative» das Verfahren für die Wahl in das Bundesgericht nicht stark geändert werden. Die Quote «mindestens 40 Prozent» müsste strikte, die sprachregionale und die parteipolitische Quote nach Möglichkeit eingehalten werden. Wahltechnisch gesehen sind diese Quoten problemlos zu bewältigen – vor allem, weil die Wahl ins Bundesgericht nach dem Majorzsystem erfolgt. Es gelten einfach diejenigen Personen als gewählt, welche die vorgegebenen Quoten erfüllen und am meisten Stimmen erhalten haben. Wie bei der Wahl in den Bundesrat schränkt die Geschlechterquote die Auswahlmöglichkeit der vereinigten Bundesversammlung ein und verstärkt den Druck auf die Bundesratsparteien, mehr Frauen politisch zu rekrutieren.

    4. Ständerat (Art. 80 Abs. 1, 2. und 3. Satz, sowie Abs. 2 BV)

    Die Wahl des Ständerates ist weitgehend Sache der Kantone; die Bundesverfassung bestimmt nur, dass jeder Kanton zwei und jeder Halbkanton eine Person in den Ständerat delegiert. Die «Quoten-Initiative» will nun diese Verfassungsbestimmung ergänzen um den Zusatz, dass «jeder Kanton ... eine Frau und einen Mann (wählt). In den geteilten Kantonen wählt jeder Landesteil eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten». Die Initiative überlässt die Ausführungsbestimmungen den Kantonen, in deren Kompetenz die Wahl in den Ständerat liegt. Gegenwärtig wählen alle Kantone, mit Ausnahme des Kantons Jura, ihre Ständeratsdelegation nach dem Majorzsystem.
    Nach Annahme der «Quoten-Initiative» müssten die Wahlen für den Ständerat in den Kantonen dahingehend geändert werden, dass nicht mehr jene beiden Kandidierenden mit den meisten Stimmen, sondern je die Kandidatin und der Kandidat mit den meisten Stimmen gewählt sind. (Für den Kanton Jura, der das Proporzsystem kennt, gelten die Ausführungen zu den Nationalratswahlen; siehe dazu unten, Kapitel 5).
    Die Bestimmung der «Quoten-Initiative», wonach die sechs Halbkantone (OW, NW, BS, BL, AI, AR) «eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten» wählen können, lässt es zu, dass im Ständerat nach einer allfälligen Einführung der Geschlechterquote keine strikte Geschlechterparität herrschen wird. Die sechs Halbkantone werden nämlich durch die Bestimmung, dass sie «eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten» wählen können, gewissermassen von der Geschlechterquote entbunden. So könnte es selbst nach Annahme der «Quoten-Initiative» vorkommen, dass im 46köpfigen Ständerat ein Geschlecht mit bis zu 6 Sitzen mehr als das andere Geschlecht vertreten wäre – dann nämlich, wenn die 20 Vollkantone, wie vorgegeben, je eine Frau und je einen Mann in den Ständerat delegierten, die 6 Halbkantone jedoch alle nur je eine Frau bzw. einen Mann. Der Frauen- bzw. Männeranteil im Ständerat könnte sich somit zwischen 43,5% und 56,5% bewegen.

    5. Nationalrat (Art. 73 Abs. 1 BV)

    Die eigentliche Knacknuss bei der Umsetzung der «Quoten-Initiative» stellen – aus wahltechnischer Sicht – die Nationalratswahlen dar. Für die Wahlen in den Nationalrat verlangt die «Quoten-Initiative», dass «die Differenz zwischen der weiblichen und der männlichen Vertretung in einem Kanton ... nicht mehr als eins» betragen darf.
    Anders als bei den Wahlen in den Bundesrat, ins Bundesgericht oder in den Ständerat, welche alle nach dem Majorzsystem durchgeführt werden (und daher die Forderungen der «Quoten-Initiative» ohne grosse Probleme umsetzen können), stellen sich bei den Wahlen in den Nationalrat, aufgrund des herrschenden Proporzsystems, knifflige Probleme. Diese sind jedoch lösbar. Zwar existieren keine erprobten Umsetzungsmodelle, es bestehen jedoch Modelle, welche die Berner Stadtregierung für eine Volksabstimmung über die Einführung einer Geschlechterquote für das Stadtparlament (1995) vom Advokaturburo Daniel Arn und Ueli Friederich entwickeln liess. Weitere Modelle wurden von einer ExpertInnengruppe zuhanden des Vereins «Quoten-Inititative» diskutiert, ausgearbeitet und überprüft.
     

    5.1. Keine Umkrempelung, nur eine Ergänzung des Wahlsystems

    Weil die «Quoten-Initiative» nicht die bestehenden Bestimmungen für die Nationalratswahlen verändert, sondern diese nur mit der Geschlechterquote ergänzen will, fallen einige der möglichen Modelle ausser Betracht. Als Umsetzungsmodelle für die «Quoten-Initiative» kommen nur jene in Frage, welche folgenden drei Verfassungsbestimmungen (Art. 72 und 73) Rechnung tragen:

      1. der Nationalrat besteht aus 200 Personen;
      2. die Kantone bilden die Wahlkreise;
      3. die Wahl in den Nationalrat erfolgt nach dem Proporzsystem.
    Zu diesen bestehenden Verfassungsbestimmungen kommt nun die neue Bestimmung der «Quoten-Initiative», wonach die Differenz pro Wahlkreis zwischen den gewählten Frauen und Männern nicht grösser als 1 sein darf.
     
      Texttabelle 1: Umsetzung der «Quoten-Initiative» im Nationalrat
     Wie Texttabelle 1 zeigt, lässt es die Bestimmung der «Quoten-Initiative» zu, dass im 200köpfigen Nationalrat – wie schon im Ständerat – keine strikte Geschlechterparität herrscht: Es besteht die Möglichkeit, dass ein Geschlecht mit 16 Sitzen übervertreten ist. Der Grund dafür liegt einerseits bei den 5 Majorzkantonen (UR, GL, OW, NW, AI), in denen nur 1 Sitz zu vergeben ist und die von der Geschlechterquotierung ausgenommen sind, und andrerseits bei jenen 11 Proporzkantonen, in denen eine ungerade Sitzzahl zu vergeben ist (solche Kantone sind gegenwärtig BE, SZ, ZG, SO, BL, GR, AG, VD, VS, NE, GE). Der Frauen- bzw. Männeranteil im Nationalrat könnte sich somit nach Einführung der Geschlechterquote zwischen 46% und 54% bewegen (in einigen Kantonsdelegationen ist die Spannweite zwischen dem maximalen und dem minimalen Anteil noch grösser).
     
      Texttabelle 2 : Nötige Umverteilungen
    5.2. Die Bestimmungen der Quoten-Initiative anhand der Nationalratswahlen 1995

    Bei den Nationalratswahlen 1995 wurden 43 Frauen und 157 Männer gewählt. Betrachten wir – wie dies die «Quoten-Initiative» vorschlägt – die Frauenanteile in den einzelnen Wahlkreisen, so hatten 1995 nur gerade drei Kantone die Vorgabe der «Quoten-Initiative» erfüllt: Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden (beide je eine Frau und ein Mann) und Graubünden (zwei Frauen und drei Männer). Wie Texttabelle 2 zeigt, hätten in 18 Vollkantonen 49 Mandate von den Männern zu den Frauen umverteilt werden müssen: Die meisten Mandate in den Kantonen Bern (8), Aargau, Tessin und Waadt (je 4). Nach dieser Umverteilung hätte der Frauenanteil im Nationalrat 46% betragen.
    Die Frage ist nun, nach welchen Kriterien diese Umverteilungen innerhalb der Kantone vorgenommen werden sollen. Die ExpertInnenkommission des Vereins «Quoten-Initiative» hat zwei mögliche Modelle vorgeschlagen:

      1. «Proporzwahl mit Korrektur»
      2. «Listenvorschrift mit Korrektur»
    5.3. «Proporzwahl mit Korrektur»

    Bei diesem Umverteilungsmodell behalten die bisherigen Bestimmungen des Wahlrechts bis zur Mandatsverteilung auf die Wahllisten ihre Gültigkeit. So bleiben einerseits sämtliche Rechte im Vorfeld der Wahlen ungeschmälert: Die Parteien sind frei bzgl. der Listengestaltung und der abzuschliessenden Listenverbindungen, und die Wählenden haben weiterhin die Möglichkeit, die Wahllisten zu verändern (kumulieren, panaschieren, streichen). Andrerseits behalten auch die gesetzlichen Bestimmungen betreffend das Sitzverteilungsverfahren ihre Gültigkeit: Die Mandate werden, wie bisher, pro Wahlliste und aufgrund der erhaltenen Stimmen und gemäss den Proporzregeln ermittelt.
    Neu ist jedoch, dass die Personen mit den besten individuellen Ergebnissen vorerst nur provisorisch als gewählt betrachtet werden. Zuerst muss nämlich abgeklärt werden, ob die Geschlechterquote im Kanton – die Differenz zwischen gewählten Männern und Frauen darf nicht grösser als 1 sein – erreicht worden ist oder nicht. Ist dies nicht der Fall, so muss eine Umverteilung vorgenommen werden.
    Das Modell «Proporzwahl mit Korrektur», das dabei zur Anwendung kommt, berücksichtigt zwei Elemente: den Stimmenanteil, den das untervertretene Geschlecht (das sind meistens die Frauen) auf einer Wahlliste erreicht hat, und den Anteil, den die Frauen unter den Gewählten ausmachen. Diese beiden Elemente werden in der Formel des «Doppelquotienten» miteinander in eine Beziehung gesetzt.
     
     

       
                                      Stimmen des untervertretenen Geschlechts
                                         (Sitze des untervertretenen Geschlechts +1) 
      Doppelquotient   =  ----------------------------------------------------------------------
                                       Stimmen des übervertretenen Geschlechts 
                                          Sitze des übervertretenen Geschlechts 


    Der Doppelquotient, der für jede Wahlliste berechnet wird, zeigt an, wieviele Stimmen die Frauen und wieviele die Männer für ihre Mandate aufbringen mussten. Dort wo die Frauen viel zum Gesamtergebnis der Wahlliste beigetragen haben, ohne mandatsmässig entsprechend davon zu profitieren (im Verhältnis zu den Männern), wo also die Frauen am stärksten «Wasserträgerinnen» für die Männer waren – dort ist der Doppelquotient am grössten, und dort wird korrigiert: Der am schlechtesten gewählte Mann muss der am besten nicht gewählten Frau Platz machen.
    Ist nach einer solchen Korrektur die Quote im Kanton noch nicht erreicht, wird der Doppelquotient für jede Liste erneut berechnet. Es wird solange umverteilt, bis die kantonale Geschlechter-Quote erreicht ist.
     
     
     

       
      Abkürzungen der Parteien 

      FDP  Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz
      CVP  Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz
      SPS  Sozialdemokratische Partei der Schweiz
      SVP  Schweizerische Volkspartei 

      LPS   Liberale Partei der Schweiz
      LdU   Landesring der Unabhängigen
      EVP   Evangelische Volkspartei der Schweiz

      PdA   Partei der Arbeit der Schweiz
      FGA   Feministische und grün-alternative Gruppierungen (Sammelbegriff)
      GPS   Grüne Partei der Schweiz

      SD    Schweizer Demokraten (früher Nationale Aktion)
      FPS  Freiheitspartei der Schweiz (früher : Schweizer Auto-Partei)

      Übrige Splittergruppen
       


     
      Texttabelle 3 (Solothurn)

     

     

    Anhangtabelle 1 (Bern) und Anhangtabelle 3 (Tessin) illustrieren die Funktionsweise des Modells «Proporzwahl mit Korrektur», wobei die Texttabelle 3 das einfachste Beispiel darstellt.

    • Ausgangspunkt des Solothurner Beispiels in Texttabelle 3 ist das Faktum, dass bei den Nationalratswahlen 1995 eine Frau und sechs Männer gewählt wurden. Gemäss «Quoten-Initiative» müssen somit zwei Mandate von den Männern zu den Frauen umverteilt werden. Die erste Umverteilung erfolgt bei der FDP, welche mit 2,13 den höchsten Doppelquotienten hat, die zweite bei der SP (Doppelquotient 2,03). Bei diesen beiden Parteien ist der Doppelquotient besonders gross, weil einerseits die Kandidatinnen sogar mehr Stimmen erzielten als die Männer  und weil andrerseits je beide Sitze an die Männer gingen. Nach dieser Umverteilung sind die Delegationen von FDP, CVP und SP paritätisch zusammengesetzt; die FP bleibt rein männlich.
    • Beim Beispiel des Kantons Bern (Anhangtabelle 1) müssen bedeutend mehr Umverteilungen – insgesamt deren 8 – vorgenommen werden, da sich unter den 27 Gewählten nur gerade 5 Frauen befinden. Betroffen von dieser Umverteilung sind die SVP (3), die SP (2), die FDP, die CVP und die GP (alle je 1). Nach der Umverteilung sind namentlich die rot-grünen Parteien mehrheitlich weiblich: Bei den Grünen (FGA und GP) gehen beide Mandate an Frauen, und bei der SP sind die Frauen mit 5 gegen 3 Männer in der Mehrheit; ebenfalls in Frauenhand ist das einzige Mandat der CVP. Paritätisch ist sodann die FDP-Delegation zusammengesetzt (2:2), während die SVP mit 5:3 eine Männermehrheit aufweist. Keine Änderungen wurden – neben dem Grünen Bündnis (FGA), welches bereits nach der (provisorischen) Sitzverteilung eine Frau delegierte, – bei der EVP und bei den Rechtsparteien (SD, EDU, FP) vorgenommen: Diese bleiben weiterhin mit je einem Mann im Nationalrat vertreten.
    • Im Kanton Tessin (Anhangtabelle 3), in dem die Männer gleich alle 8 Mandate innehaben, ist aufgrund der geraden Sitzzahl eine paritätische Verteilung auf die Geschlechter möglich. Am stärksten betroffen von der Umverteilung ist die CVP, deren beide Männer durch zwei Frauen ersetzt werden. Dieser Eingriff bei der CVP ist deshalb so massiv, weil die CVP-Frauen gegenüber den Frauen auf den anderen Wahllisten am besten abgeschnitten haben: Sie erhielten fast doppelt soviele Stimmen wie die FDP-Frauen und gar fast 4mal mehr als die SP-Frauen. Nach der Umverteilung ist die CVP-Delegation also rein weiblich, die SP-Delegation ist paritätisch zusammengesetzt, und bei der FDP ist eine Männermehrheit anzutreffen (2:1). Nur ganz knapp einem Umverteilungseingriff entging die Lega dei ticinesi: Ihr vierter Doppelquotient unterscheidet sich erst bei der zweiten Stelle nach dem Komma von jenem der CVP – und weil der Doppelquotient der CVP leicht grösser war als jener der Lega, wurde, wie erwähnt, die vierte Umverteilung bei der CVP vorgenommen.

     

    5.4. «Listenvorschrift mit Korrektur»

    Während sich das Modell «Proporzwahl mit Korrektur» damit begnügt, – wie es die «Quoten-Initiative» vorschreibt – die Delegation der Kantone insgesamt ausgewogen zu machen, versucht das zweite Modell «Listenvorschrift mit Korrektur», auch bei den Parteien selber möglichst ausgewogene Vertretungen herzustellen; das heisst, es garantiert, dass pro Partei die Zahl der gewählten Frauen gleich bzw. maximal um 1 kleiner ist als die Zahl der gewählten Männer. Dies bedingt eine Kombination von verschiedenen Umverteilungsverfahren und erfordert stärkere Eingriffe.
    Vorbedingung ist, dass bei den Parteien genügend Frauen auf den Wahllisten kandidieren. Ansonsten wird – wie beim ersten Umsetzungsmodell – bis zur Verteilung der Mandate auf die Wahllisten nichts am bisherigen Wahlprozedere geändert.
    Als ersten Schritt bei der Verteilung der Mandate auf die Wahllisten sieht das Modell «Listenvorschrift mit Korrektur» vor, dass pro Wahlliste je eine Rangliste mit den Kandidatinnen und mit den Kandidaten erstellt wird.

      Texttabelle 4: «Listenvorschrift mit Korrektur» Beispiel (SO)
    Texttabelle 4 (Solothurn) und Anhangstabelle 2 (Bern) zeigen die Funktionsweise des Modells «Listenvorschrift mit Korrektur».
    Unabhängig von der konkret erhaltenen Stimmenzahl werden nun die Mandate abwechselnd der Kandidatin und dem Kandidaten mit den je meisten Stimmen zugesprochen («Halbe–Halbe»-System). Weil einige Wahllisten eine ungerade Zahl von Mandaten erreichen, wird mit diesem Umverteilungssystem die kantonale Ge- schlechterquote nicht immer erreicht. In solchen Fällen muss zum Umverteilungsverfahren gemäss Doppelquotient übergegangen werden (siehe dazu oben 5.3.). Weil einerseits die Rechtsparteien häufig nur ein Mandat erreichen und weil andrerseits der Doppelquotient aufgrund der wenigen Stimmen, welche die Frauen bei den Rechtsparteien normalerweise erhalten, tendenziell bei den rotgrünen Parteien eingreift, kann es nun vorkommen, dass bei den rotgrünen Parteien schliesslich die Zahl der gewählten Frauen die Zahl der gewählten Männer um mehr als 1 übersteigt (vgl. dazu unten, Anhangtabelle 2: die SP).  Texttabelle 4 (Solothurn), Anhangtabelle 2 (Bern) und Anhangtabelle 4 (Tessin) illustrieren die Funktionsweise des Modells «Listenvorschrift mit Korrektur».
    •  Da im Kanton Solothurn (Texttabelle 4) bei den Nationalratswahlen 1995 von den 7 Mandaten je 2 an die FDP, CVP und SP verteilt wurden, kommt das «Halbe–Halbe»-Modell auf fast simple Art zum Zug: Je ein Mandat geht an die Kandidatinnen und je eines an die Kandidaten der drei genannten Parteien. Nach dieser ersten Verteilungsrunde ist die kantonale Quote bereits erreicht, die FP bleibt weiterhin allein durch einen Mann vertreten.
    • Beim Beispiel des Kantons Bern (Anhangtabelle 2), bei dem 8 Mandate umzuverteilen sind, kann das «Halbe–Halbe»-Modell bei 3 Parteien korrigierend eingreifen. Die Umverteilung der restlichen zwei Mandate erfolgt mit dem oben erwähnten Doppelquotienten (siehe Kapitel 5.3). Dieser korrigiert zuerst bei der Grünen Freien Liste (GP), darauf bei der SP. Nach dieser Umverteilung sind die Delegationen der rot-grünen Parteien mehrheitlich weiblich: bei den Grünen (FGA wie GP) zu 100%, bei der SP zu 62% (5:3). Paritätisch ist das Geschlechterverhältnis bei der FDP (2:2) und bei der SVP (4:4). Keine Änderungen gibt es bei der CVP, der EVP und bei den Rechtsparteien (SD, EDU, FP); sie bleiben weiterhin mit je einem Mann im Nationalrat vertreten.
    • Im Kanton Tessin (Anhangtabelle 4) nimmt das «Halbe–Halbe»-Modell bereits drei der vier nötigen Korrekturen vor (bei der FDP, der CVP und der SP). Für die vierte Umverteilung wird für jede Wahlliste der Doppelquotient berechnet, der bei CVP und Lega gerundet 0,15 beträgt; erst mit der dritten Stelle nach dem Komma wird deutlich, dass bei der CVP korrigiert werden muss. Nach dieser Umverteilung präsentiert sich die parteipolitische Repräsentation der Frauen und Männer gleich wie nach der Umverteilung nach dem Modell «Proporzwahl mit Korrektur».

     

    5.5. Vergleich der beiden Modelle

    Beide Umverteilungsmodelle sind sinnvoll und praktikabel. Sie unterscheiden sich folgendermassen voneinander.

    • Das Modell «Proporzwahl mit Korrektur» strebt direkt die kantonale Geschlechterquote an und stört sich nicht an den geschlechterspezifischen Unterschieden zwischen den Parteien (überdurchschnittlich viele Frauen bei den rot-grünen Parteien, unterdurchschnittlich wenige bei den Bürgerlichen, keine Frauen bei den Rechtsparteien). Es greift vor allem bei jenen Parteien ein, die relativ ausgewogene Wahllisten haben und bei denen die Frauen wenige oder gar keine Sitze errungen haben – das sind meistens die «liberalen bürgerlichen» Parteien. Da damit jedoch kaum die kantonale Quote erreicht wird, geraten in der Folge besonders die rot-grünen Parteien unter Druck, bei denen die Frauen bereits gute Ergebnisse erzielt haben. Jene Parteien aber, welche kaum Frauen auf ihren Wahllisten haben (Rechtsparteien), bleiben vor Eingriffen meistens «verschont».
    • Das Modell «Listenvorschrift mit Korrektur» strebt dagegen nicht nur Geschlechter-Parität unter den Gewählten pro Kanton an, sondern auch pro Partei. Es garantiert einerseits, dass pro Wahlliste die Zahl der gewählten Frauen gleich bzw. maximal um 1 kleiner ist als die Zahl der gewählten Männer. Es lässt andrerseits aber zu, dass die Zahl der gewählten Frauen – als Unterrepräsentierte im Kanton – auf einigen Listen die Zahl der gewählten Männer um mehr als 1 übersteigt, wenn dies zum Erreichen der kantonalen Geschlechterquote nötig ist. Das Modell «Listenvorschrift mit Korrektur» wirkt namentlich auch bei den grossen bürgerlichen Parteien, bei denen es Geschlechterparität herstellt (max. Differenz: 1).
    Bei den Rechtsparteien, die nur in Ausnahmefällen pro Kanton auf 2 Mandate kommen, kann auch dieses Modell kaum Korrekturen vornehmen.
     

    Fazit

    1) Quoten sind in der schweizerischen Politik nichts Neues: In den obigen Ausführungen konnte in jedem Bereich, den die eidg. Volksinitiative «Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Initiative 3. März)» anspricht, auf bereits bestehende Quoten hingewiesen werden, wobei diese im allgemeinen weniger strikt sind als die geforderte Geschlechterquote.

    2) In den obigen Ausführungen ging es nicht um eine inhaltliche oder politische Einschätzung der «Quoten-Initiative». Es ging hauptsächlich um die Frage, ob die Forderungen der «Quoten-Initiative» wahltechnisch umsetzbar seien. Und diese Frage konnte in sämtlichen Punkten bejaht werden:

    • Für vier der fünf Bereiche ist die Umsetzung der «Quoten-Initiative» problemlos. Es sind dies die Bundesverwaltung sowie jene Gremien, welche mittels Majorzwahl bestellt werden (Bundesrat, Bundesgericht und Ständerat).
    • Auch für den Nationalrat, der nach dem Proporz gewählt wird, ist die Umsetzung der Geschlechterquote möglich; es gibt mehrere Modelle dazu. Keines vermag jedoch Geschlechterparität bei allen Wahllisten herzustellen (was ja von der «Quoten-Initiative» auch gar nicht verlangt wird). Die Umsetzungsmodelle sind in ihrer Stossrichtung transparent, in den einzelnen Schritten jedoch sind sie, zugegebenermassen, nicht besonders verständlich. Sie teilen damit das Schicksal der meisten Wahlsysteme, besonders des Proporzsystems.


    Schlussbemerkung

    Das Stichwort der «Proporzsysteme» aufnehmend sei abschliessend daran erinnert, dass sich die Schweiz 1918 den «Luxus» leistete, das Proporzsystem einzuführen, um jenen Parteien, die von der politischen Machtverwaltung ausgeschlossen waren, mehr Gerechtigkeit bei den Wahlen widerfahren zu lassen. Dieser Schritt hat – neben anderen Faktoren – dazu beigetragen, dass die politische Landschaft der Schweiz sich von der Einparteien-Herrschaft weg zu einer auf Integration und Konsens angelegten Regierungsweise hinentwickelt hat, und auch heute noch haben kleinere Parteien mit ihren Anliegen eine Chance, ins Parlament gewählt zu werden.
    Proporz und Listenverbindungen gehören heute in der Schweiz zu den unbestrittenen politischen Gütern. Trotzdem sei die Behauptung gewagt, dass nur ganz wenige wissen, wie die Stimmen ab Wahlzettel via Proporz und Listenverbindungen in Mandate umgerechnet werden. Ähnlich verhält es sich mit dem Anliegen der «Quoten-Initiative»: Dieses zielt auch auf mehr Gerechtigkeit ab; die Instrumente sind jedoch nicht besonders transparent, und es wird auch darüber gestritten, ob diese nicht noch andere Güter tangierten. Zu solchen Fragen wurde in diesem Aufsatz nicht Stellung genommen. Zweck der Ausführungen war einzig, allfällige Bedenken bezüglich der wahltechnischen Umsetzbarkeit der Quoten-Initiative auszuräumen.
     

    Anmerkungen
    1) Eine «Negativquote» ist die Kantonsklausel deshalb, weil sie die doppelte Repräsentation eines Kantons im Bundesrat ausschliesst. Sie ist insofern weniger einschränkend, weil sie von den 26 Kantonen nur deren 6 als Herkunftskantone verbietet.

    2) Wie beim Bundesrat und beim Bundesgericht sind auch beim Nationalrat Quoten bereits heute nichts Unbekanntes. Der 200köpfige Na-tionalrat ist bekanntlich jene Parlamentskammer, in der die Gesamtbevölkerung der Schweiz vertreten ist. Jedem Kanton steht eine bestimmte Anzahl von Sitzen zu Verfügung, wobei die Zahl der Nationalratssitze proportional zur Grösse der Bevölkerungszahl variiert: Je grösser die Bevölkerungszahl eines Kantons, desto mehr Sitze stehen diesem im Nationalrat zu (das Quorum pro Sitz beträgt 1/200 der Gesamtbevölkerung in der Schweiz).
    Artikel 72 der Bundesverfassung bestimmt nun aber, dass im Natio-nalrat jeder Kanton oder Halbkanton mindestens mit einem Sitz ver-treten sein muss (obwohl für die Kantonsvertretung der Ständerat besteht). Gemäss Bundesverfassung steht somit auch jenen Kantonen ein Sitz im Nationalrat zu, die eine Bevölkerungszahl aufweisen, die niedriger ist als 1/200 der Gesamtbevölkerung. Solche kantonalen «Quoten-Sitze» im Nationalrat sind gegenwärtig die Sitze aus den Kantonen Uri, Obwalden, Nidwalden und Appenzell Innerrhoden.

    3) Mitglieder dieser ExpertInnengruppe waren Kathrin Arioli, Claudia Balocco, Astrid Epiney, Hans Hirter, Regula Mader, Patricia Schulz, Werner Seitz, Christina Stoll.

    4) Auf der SP- und der FDP-Liste kandidierten je 4 Frauen und 3 Männer.

    5) Noch (politisch) geklärt werden muss die Frage der Frauenlisten, welche in einigen Kantonen seit über zehn Jahren Bestand haben. Für diese könnte eine Ausnahmebestimmung aufgestellt werden, wonach sie gegebenenfalls auch 2 Frauen alleine in den Nationalrat delegieren können. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, dass die Frauenlisten eine – ihr ideologisch nahestehende – gemischte Wahlliste bestimmen, mit der sie allenfalls ihre 2 Mandate teilen würden.