Werner Seitz

Der «historische» 9. April: «Die Wahlen im Kanton Bern 2006»,
in Stadtblatt der SP der Stadt Bern, Nr. 2, 2006


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Diesen Wahlausgang hat wohl niemand erwartet, und entsprechend laut hallte es durch die Rathaushalle, als Staatsschreiber Kurt Nuspliger die Ergebnisse der Regierungswahlen vorlas. Nach zwanzig Jahren wird der Kanton Bern wieder von einer rot-grünen Mehrheit regiert. Und diesmal sieht es nicht nur nach einem bürgerlichen Betriebsunfall aus.

Das beste Wahlergebnis erreichte Barbara Egger-Jenzer. Sie lag vor den beiden wieder kandidierenden SVP-Regierungsräten Urs Gasche und Werner Luginbühl. Bisher war dieser Spitzenplatz stets den Bürgerlichen vorbehalten gewesen. Das gute Abschneiden von Rot-grün spiegelt sich aber auch im Wahlergebnis der neu Gewählten: Der Grüne Bernhard Pulver erhielt am meisten Stimmen, dicht gefolgt von Andreas Rickenbacher. Auf Platz sechs erst findet sich dann der erste und einzige neu Gewählte der Bürgerlichen, der Freisinnige Hans-Jürg Käser. Perfekt wurde die rot-grüne Wende mit der Wahl des Bernjurassiers Philippe Perrenoud: Dieser schlug seine Kontrahentin von der SVP, Annelise Vaucher, klar. Er distanzierte sie nicht nur im Kanton Bern, sondern auch in jedem der drei jurassischen Amtsbezirke.

Rot-grün geschlossen, Streichkonzert bei den Bürgerlichen

Wie ist der so deutliche Wahlsieg von Rot-grün zu erklären? Ein Blick auf die Wahlzettel zeigt, dass die Rot-grün-Wählenden viel geschlossener ihre Kandidierenden wählten als die Bürgerlichen. Laut einer Studie des GfS-Forschungsinstituts wurden Barbara Egger-Jenzer und Andreas Rickenbacher auf 94 Prozent bzw. 92 Prozent aller rot-grünen Wahllisten gewählt; die Namen von Bernhard Pulver und Philippe Perrenoud wurden auf vier von fünf Wahlzetteln genannt. Deutlich schlechter war dagegen diese «innere Mobilisierung» bei den Bürgerlichen: Die beiden Spitzenreiter Urs Gasche und Werner Luginbühl tauchten zwar noch auf rund 80 Prozent der bürgerlichen Wahlzettel auf; die vier nichtgewählten Bürgerlichen aber wurden auf fast jedem dritten bürgerlichen Wahlzettel gestrichen.

Damit ist eingetroffen, vor dem die Bürgerlichen gewarnt waren: Das bürgerliche Projekt der «Sechserliste» wurde von der eigenen Basis nicht goutiert und es setzte ein Streichkonzert ein, von dem alle bürgerlichen neu Kandidierenden betroffen waren. Doch damit nicht genug: «Sixpack» vermochte Rot-grün optimal zu mobilisieren, wie es aufgrund der Wahlauftritte nicht erwartet werden konnte. Die Kombination diese beiden Effekte führte zusammen mit dem schweizweiten Aufwärtstrend der Grünen zum rot-grünen Wahlerfolg.

Bürgerliche Strategie verfing auch auf dem Land nicht

In ersten Stellungsnahmen wurde von bürgerlicher Seite der Stadt-Land-Gegensatz bemüssigt, die Städte hätten dem Kanton die rot-grüne Regierung beschert. Es trifft zu, dass die Städte tendenziell rot-grüne Hochburgen sind: In Bern und Biel haben sämtliche Kandidierende der rot-grünen Liste Stimmenanteile in der Grössenordung von 51 bis 59 Prozent erhalten. Ähnliches war aber auch schon bei früheren Wahlen der Fall. Matchentscheidend war bei diesen Wahlen die Mobilisierungsschwäche der Bürgerlichen in den eher ländlichen Amtsbezirken: Die Rot-Grünen erzielten auch in diesen respektable Ergebnisse; so etwa hatte Barbara Egger neben Bern und Biel in acht Amtsbezirken die bessere Ergebnisse als alle vier bürgerlichen Neukandidierenden.

Grüner Vormarsch im Grossen Rat

Der rot-grüne Wahlsieg in der Berner Kantonsregierung ist – anders als 1986 – kein bürgerlicher Betriebsunfall. Er spiegelt sich denn auch in den Ergebnissen der Grossratswahlen, wenn auch nicht im selben Ausmass. Die SVP musste deutliche Stimmenverluste hinnehmen (–4,4 Prozentpunkte) und fiel erstmals in ihrer Geschichte unter die 30-Prozent-Grenze (27,4 Prozent). Dagegen legten die Grünen um 3,7 Punkte zu und verfügen nun über eine Parteistärke von 12,9 Prozent. Etwas zugelegt hat auch die EVP (auf 7,3 Prozent).

Die SP findet sich dagegen auf der Verliererseite: Sie verlor 2,4 Punkte. Die erreichte Parteistärke von 24 Prozent gehört zu den schlechtesten Ergebnissen in der Geschichte der Berner SP.

Im neu gewählten Grossen Rat kommen die Bürgerlichen von FDP und SVP noch auf 73 Sitze; das ist das erste Mal seit der ersten Proporzwahlen im Kanton von 1922, dass diese beiden Parteien nicht mehr über die Mehrheit der Mandate verfügen. Rot-Grün aber reicht es mit 61 Sitzen auch nicht für eine Mehrheit; selbst eine Einbindung der EVP würde noch keine Mehrheit bringen.

Die rot-grüne Regierung muss Mehrheiten suchen

Anders als die Stadtberner Regierung kann sich die neue Kantonsregierung nicht auf eine Mehrheit im Parlament abstützen, und auch die Berner Bevölkerung ist nicht über Nacht mehrheitlich rot-grün geworden. So muss die neue Regierung versuchen, eine Politik zu machen, welche dem Mandat, das sie entgegengenommen hat, entspricht, und welche doch mehrheitsfähig ist.

Ein Blick auf die personelle Zusammensetzung der neuen Regierung lässt vermuten, dass die politische Akzentverschiebung nicht mit der Brechstange vorgenommen werden dürfte. So sind einerseits die beiden wieder gewählten Bürgerlichen keine neoliberalen Hardliner und andrerseits wurden mit Andreas Rickenbacher und Bernhard Pulver zwei Persönlichkeiten gewählt, die ausgesprochen lösungsorientiert handeln.

 Interessieren dürfte in nächster Zeit vor allem das Verhalten der FDP: Wird sie nach diesem Wahldebakel über die Bücher gehen und sich von der SVP emanzipieren und eigenständiger politisieren als bisher? Und was bedeutete dies für die neue Regierung im Kanton Bern?