Werner Seitz

Zwanzig Jahre Grüne Bern: 
«Als Umweltschützer politisch wurden. Eine kurze Geschichte der Grünen, die im Kanton Bern vor 20 Jahren, im Juni 1987, gegründet worden sind», in Der Bund, 27. Juni  2007.


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 Die Grünen werden immer stärker – das zeigen Wahlergebnisse in den Kantonen, aber auch Umfragen im Vorfeld der kommenden Nationalratswahlen. Auch im Kanton Bern sind sie im Aufwind. 

Die Grünen im Kanton Bern haben sich bei den Nationalratswahlen 2003 um 1,5 Punkte auf über 9 Prozent der Stimmen gesteigert. Noch besser erging es ihnen letztes Jahr bei den kantonalen Wahlen, wo sie sich gar um fast 4 Punkte auf knapp 13 Prozent verbesserten. Ausdruck des grünen Aufschwungs im Kanton Bern war sicher die Wahl des Grünen Bernhard Pulver in die Kantonsregierung. Besonders aber in der Stadt Bern haben sie enorm zugelegt: Hier erhielten sie bei den letzten Stadtrats- und Grossratswahlen gar 25 bis 30 Prozent der Stimmen. Damit ist Bern schweizweit die Stadt mit dem grössten Anteil an Grün Wählenden. Diese Gewinne im Kanton Bern gingen übrigens nicht alle auf Kosten der SP: Namentlich auch FDP und SVP sowie die kleinen rechten Parteien mussten Verluste hinnehmen.

 

 

Zweitstärkste Kantonalpartei

Die Berner Grünen sind wählermässig die zweitstärkste Kantonalpartei der Grünen Partei der Schweiz (GPS). Sie tragen rund einen Sechstel der Stimmen zur gesamtschweizerischen Parteistärke bei. So verlaufen denn auch die «Fieberkurven» von Berner und Schweizer Grünen sehr ähnlich (siehe Grafik), wobei die Wahlergebnisse der Berner Grünen konstant über dem gesamtschweizerischen Ergebnis der GPS liegen.

Grosse Ähnlichkeiten gibt es zwischen Schweizer und Berner Grünen auch hinsichtlich ihrer Geschichte und Struktur. Beide waren – mehr oder weniger lange – durch Konkurrenz und Abgrenzung von Liberalgrünen («Gurken») und Alternativgrünen («Melonen») geprägt. Auf schweizerischer Ebene setzten sich in den Achtzigerjahren die Liberalgrünen klar durch und etablierten mit der GPS eine nationale Organisation. Weil das nationale Projekt der Alternativgrünen Schiffbruch erlitt, schlossen sich Ende der Achtzigerjahre die grösseren alternativgrünen Kantonalparteien (Luzern, Baselland, St. Gallen und Aargau) der GPS an.

Als sich die GPS in den Neunzigerjahren im Zuge der Wirtschaftskrise vermehrt auch für sozialpolitische Themen öffnete, traten ihr auch die noch verbliebenen linksgrünen Formationen bei, namentlich «BastA!» aus Basel und das «Grüne Bündnis» Bern. Mit dem kürzlich erfolgten Beitritt der Zuger «Alternative» gehören nun sämtliche relevanten grünen Kantonalparteien der GPS an. Antizyklisch zu diesem Prozess steht die Abspaltung der Grünliberalen in Zürich und in der Stadt St. Gallen. In Bern steht ein entsprechendes Projekt noch auf wackligen Füssen.

Im Kanton Bern machten die Grünen jedoch lange keinerlei Anstalten, sich zu vereinigen. Sie präsentierten sich während der Achtziger- und Neunzigerjahren gleich in drei Farbtönen: im Liberalgrün der Grünen Freien Liste (GFL), im Linksgrün des Grünen Bündnisses (GB) und im Urgrün der Grünen Partei Bern von Daniele Jenni und Luzius Theiler.

Als aber im Jahr 2002 das Grüne Bündnis der GPS beitrat, kam unweigerlich die Frage nach dem Zusammenschluss der Grünen im Kanton Bern auf den Tisch, gehörten doch GFL und GPB seit den frühen Achtzigerjahren zur GPS.

Während das GB in einer Vernehmlassung klar für einen Zusammenschluss votierte, sprachen sich nur zwei Drittel der GFL-Ortsgruppen dafür aus; zum ablehnenden Drittel gehörte die GFL Stadt Bern. Damit war klar, dass andere Formen der Zusammenarbeit gefunden werden mussten. Nicht von der Partie bei der Gründung der «Grünen Kanton Bern» war die eigenwillige kleine GPB.

Als sich 2005 in Biel das GB und die GFL bereits zusammengeschlossen hatten, wurde 2006 das Projekt einer «Föderation der Grünen Parteien» der Urabstimmung unterbreitet. Dieses überliess es den Regionalparteien, entweder zu fusionieren oder in einer Föderation autonom zu bleiben. Konkret ging es dabei um das GB und die GFL der Stadt Bern, bei denen die ideologischen Unterschiede ausgeprägt waren. Der Vorschlag der Föderation wurde vom GB einstimmig, von der GFL zu fast 80 Prozent gutgeheissen. Am niedrigsten war mit knapp siebzig Prozent die Zustimmung bei der GFL in der Stadt Bern und im Oberland.

Die Grünen in der Stadt Bern

Wie das Ergebnis der Urabstimmung zeigt, nehmen GB und GFL der Stadt Bern innerhalb der Grünen des Kanton Bern eine besondere Stellung ein. Sie unterscheiden sich auch bezüglich Politikstil und inhaltlicher Schwerpunktsetzung (siehe Text unten). So wollten sie denn auch nicht fusionieren, sondern sich nur im Rahmen der Föderation verbinden.

 

Was GB und GFL eint und trennt. Eine Analyse in vier Bereichen

Freie Liste haben je ihre eigene Geschichte: Die GFL hat einen nonkonformistisch-liberalen Hintergrund, das GB war in der Achtundsechziger-Bewegung und der neomarxistischen Szene verwurzelt. Einige politische Unterschiede zwischen GB und GFL sind geblieben, letztlich aber gibt es viel mehr Gemeinsames als Trennendes.

Die Unterschiede zwischen GB und GFL gründen vor allem in der Geschichte der beiden Parteien: Als sich die Freie Liste 1983 konstituierte und bei den Nationalratswahlen äusserst erfolgreich war, trat sie als kantonale Formation der GPS bei. Die Stadt Bern aber überliess die GFL dem Jungen Bern (JB), einer nonkonformistischen Gruppierung aus den Fünfzigerjahren, in deren Reihen originelle Köpfe wie Klaus Schädelin oder Mani Matter politisierten.

Erst 1991 fusionierte die Freie Liste mit dem JB zu JB/FL. 1997 benannte sie sich in GFL um. Positionierte sich JB/FL aufgrund ihrer Geschichte, aber auch aufgrund der Konkurrenz durch das äusserst aktive linksgrüne GB, klar im liberalgrünen Segment, so wurde das Liberalgrüne bei der GFL 1998 noch gestärkt, als sich der LDU auflöste und mehrheitlich zur GFL übertrat.
Demgegenüber profilierte sich das GB, auch aufgrund seiner Verwurzelung in der Achtundsechziger- und neomarxistischen Szene, als linksgrüne Kraft mit engen Beziehungen zu den Gewerkschaften. Aufgrund dieser Konkurrenzsituation war es selbstredend, dass sich beim GB vor allem Linksgrüne einfanden und bei der GFL Liberalgrüne und dass ein – auch kultureller – Graben diese beiden Formationen trennte. Doch: Wie verhält es sich in der Stadt Bern? Sind die beiden Grünen so verschieden, wie behauptet wird? Dies soll in vierfacher Hinsicht überprüft werden.

1. Abstimmungsparolen

Bei den 120 kommunalen Volksabstimmungen, die von 1995 bis 2005 in der Stadt Bern stattfanden, gaben GB und GFL zehnmal unterschiedliche Abstimmungsparolen aus; sechsmal differierten die Empfehlungen grundsätzlich (Ja/Nein). Bei den kantonalen (29) und eidgenössischen (106) Abstimmungsvorlagen gab es drei bzw. zwei grundlegende Abweichungen. Insgesamt wurden also zu weniger als fünf Prozent grundlegend andere Abstimmungsparolen ausgegeben. Die Unterschiede betrafen die Themen Finanz-, Bau- und Planungspolitik, Sozialpolitik und Wirtschaftsliberalisierung (Angaben nach Züst*).

2. Mitgliederbefragung

Anhand von Umfragedaten, die Peter Züst, ehemaliger GFL-Fraktionssekretär, in seiner Lizentiatsarbeit im Frühjahr 2006 bei den Mitgliedern von GFL und GB erhoben hat, können – für die Stadt Bern nochmals ausgewertet – viele Gemeinsamkeiten festgestellt werden, namentlich im ökologischen Bereich. Graduelle Unterschiede bestehen in Fragen von Law and Order, der Ausländerpolitik und der wirtschaftlichen Liberalisierung sowie betreffend den weiteren Ausbau des Sozialstaates. Dies manifestiert sich, wie die Grafik zeigt, auch in der Selbsteinschätzung der Mitglieder von GB und GFL auf der Links-rechts-Skala (von 0 bis 10): Auf dieser verorten sich die GB-Mitglieder der Stadt Bern im Durchschnitt bei 1,5, die GFL-Mitglieder bei 3,2 (im Kanton: GB 1,7; GFL 3,0).

3. Wählerschaft

Unterschiede bei der Wählerschaft werden allenfalls durch regionale Hochburgen sichtbar. Vergleichen wir die Hochburgen von GB und GFL bei den letzten Stadtratswahlen, so zeigt sich in den Zählkreisen ein sehr ähnliches Profil. Besonders stark mit über zehn Prozent Wählerstärke sind beide in den Zählkreisen Länggasse/Felsenau, Mattenhof/Weissenbühl und Breitenrain/Lorraine, wobei das GB in letzterem Zählkreis eine um rund vier Prozentpunkte grössere Parteistärke hat als die GFL. Sie ist dafür im Zählkreis Kirchenfeld/ Schosshalde etwas stärker. In Bümpliz/Oberbottigen sind GB und GFL sehr schwach; ihre Parteistärken liegen seit 20 Jahren zwischen 2,5 und 5 Prozent.

4. Panaschierstatistik

Die Panaschierstatistiken für die Nationalrats-, Grossrats- und Stadtratswahlen zeigen nicht nur, dass das GB einen regen Panaschierstimmentausch mit anderen linken Parteien und Gruppierungen hat, sie zeigen auch, dass die GFL seit zwanzig Jahren die weitaus meisten Panaschierstimmen aus dem linken Lager erhalten hat und auch die meisten Panaschierstimmen an das linke Lager abgegeben hat. Immerhin erhält GFL von den rot-grünen Parteien am ehesten Panaschierstimmen von den bürgerlichen Parteien, vor allem von den FDP-Frauen-Listen.
Zwischen Grünem Bündnis und Grüner Frier Liste gibt es viel Gemeinsames, aber auch Unterschiede: Vereinfacht gesagt, positioniert sich das GB in bestimmten Themen links und die GFL rechts der SP. In der Stadt Bern materialisieren sich diese Flügel in GB und GFL. Da beide eigene historische Wurzeln haben, wirkt die Geschichte besonders stark nach.

 

 

*Peter Züst, «Die Grüne Freie Liste und das Grüne Bündnis im Kanton Bern: Parteimitgliedschaft und Politikeinstellung der Mitglieder im Vergleich», Lizentiatsarbeit, Institut für Politikwissenschaft, Bern, 2006.