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Werner Seitz

«Frauen als Stimmenlieferantinnen für Männer. Eine Analyse zur Frauenvertretung im Nationalrat», in Neue Zürcher Zeitung, 8. März  2007.


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Am 8. März, dem internationalen Tag der Frau, machen die Parteien jeweils lautstark auf ihr Engagement für das weibliche Geschlecht aufmerksam; sie nutzen also den Tag für die Mobilisierung ihrer weiblichen Basis. Nach wie vor gelingt es aber nicht allen Parteien gleich gut, ihren Kandidatinnen auch effektiv zu Sitzgewinnen zu verhelfen, wie eine differenzierte Auswertung zu den Nationalratswahlen 2003 ergibt.


Die Frauen sind in den politischen Institutionen untervertreten. Dieses Faktum ist auch im Vorfeld der Nationalratswahlen vom kommenden Oktober wieder Gegenstand von Analysen und Diskussionen. Allerdings ist der Wettlauf der Parteien für eine Verbesserung der politischen Repräsentation der Frauen abgeflaut. Grüne und SPS haben mittlerweile Parität zwischen gewählten Frauen und Männern erreicht. Die SVP beteiligt sich nicht an einem solchen Wettlauf. Demgegenüber planen im Vorfeld der Nationalratswahlen 2007 namentlich die FDP-Frauen, ihre Vertretung im Parlament zu verbessern, ist ihr Anteil doch bei den Nationalratswahlen 2003 unter 20 Prozent gesunken.

Männer profitieren von Frauenstimmen

Analysen der Nationalratswahlen 2003 zeigen, dass Frauen auf den Wahllisten zu 35 Prozent vertreten waren und auch 32 Prozent der Stimmen erhielten, aber lediglich 26 Prozent der Gewählten ausmachen. Dies lässt sich, worauf in jüngster Zeit verschiedentlich hingewiesen wurde, dahingehend interpretieren, dass die Kandidatinnen mit jeder vierten ihrer Stimmen die Mandate der Männer ihrer Listen «subventionierten». Dem Problem der Untervertretung der Frauen ist jedoch noch näherzukommen, wenn man nach Parteien differenziert. Denn zahlreiche Studien über die Frauenrepräsentation in den politischen Institutionen haben gezeigt, dass seit den 1990er Jahren hinsichtlich der Frauenvertretung markante Unterschiede entlang der Links-Rechts-Achse zwischen den Parteien bestehen. - Bei den Nationalratswahlen 2003 waren Frauen und Männer auf den Wahllisten der Grünen und der SPS paritätisch vertreten. Die Kandidatinnen der FDP erreichten einen Anteil von 35 Prozent, jene der CVP 27 Prozent und der SVP 19 Prozent. Die Stimmenanteile, welche die Kandidatinnen erhalten haben, entsprechen für die meisten Parteien diesen Listenanteilen. Bei der FDP resultierten aus den 35 Prozent der Listenplätze jedoch lediglich 27 Prozent der Stimmen für die Kandidatinnen.

Vorteil für «Bisherige»

Der Vergleich der Anteile der Kandidatinnen auf den Wahllisten mit den Anteilen der Stimmen, welche die Kandidatinnen erhalten haben, ergibt die sogenannte Stimmenquote. Diese zeigt an, wie gut die Kandidatinnen auf den Wahllisten im Allgemeinen abgeschnitten haben. Die Stimmenquote der Kandidatinnen der Grünen, der SPS und der CVP war 2003 überdurchschnittlich hoch. Diese Kandidatinnen haben nicht nur einen Stimmenanteil erhalten, der grösser war als ihr Anteil auf den Wahllisten, sie haben auch relativ oder sogar absolut mehr Stimmen erhalten als ihre männlichen Mitkandidaten. Deutlich niedriger war dagegen die Stimmenquote der Kandidatinnen der SVP und vor allem der FDP.
Die Stimmenquote kann nicht nur nach Geschlecht und Parteien berechnet werden, sie kann weiter auch noch nach «Bisherige» und «übrige Kandidierende» differenziert werden. Diese Aufteilung bestätigt, dass vor allem die Kandidatinnen der Grünen, aber auch - etwas weniger ausgeprägt - die Kandidatinnen der CVP in beiden Gruppen bessere Stimmensammlerinnen waren als ihre Mitkandidaten. Bei der SPS erhielten vor allem die übrigen Kandidatinnen überdurchschnittlich viele Stimmen.

Was zählt, sind die Sitze

Die Kandidatinnen der FDP, die als Bisherige antraten, schnitten nur leicht schlechter ab als die männlichen Bisherigen. Zur schlechten FDP-Stimmenquote trugen jedoch die übrigen Kandidatinnen auf den FDP-Wahllisten bei. Sie brachten prozentual so wenige Stimmen ein wie keine andere Partei bei den Nationalratswahlen 2003. Es scheint, dass sich unter den 35 Prozent FDP-Kandidatinnen viele «Listenfüllerinnen» befunden haben. - Die Stimmenquote sagt nichts aus über das entscheidende Kriterium der Wahl. Dieses wird mit der sogenannten Stimmenverwertungsquote berechnet, welche das Verhältnis der gewählten Frauen zu den Stimmen, welche die Kandidatinnen erhalten haben, ausdrückt. Sie zeigt auf, ob die Kandidatinnen beim Mandatsgewinn der Wahlliste eher von den Stimmen der Kandidaten profitierten oder ob sie eher «Stimmen-Lieferantinnen» für gewählte Männer waren. Oder, mit anderen Worten: Sie zeigt, ob und in welchem Ausmass es Frauen geschafft haben, sich mit einem überdurchschnittlichen Stimmenergebnis an die Spitze der Wahlliste zu stellen und ein Mandat zu erobern. - Die Stimmenverwertungsquote bestätigt, dass die Kandidatinnen bei den Nationalratswahlen 2003 gesamtschweizerisch relativ mehr Stimmen für ihre Partei einbrachten, als sie selbst Mandate erhielten. Diese Quote hat sich allerdings seit 1971 deutlich verbessert. War die Stimmenverwertungsquote der Frauen 1971 dreimal niedriger als jene der Männer, so steigerten sich die Frauen kontinuierlich: 2003 war ihre Quote noch 1,4-mal niedriger.

Differenziert nach Parteien, wurden 2003 einzig die Kandidatinnen der CVP in höherem Ausmass gewählt, als sie Stimmen erhalten haben. Erstmals bei den Nationalratswahlen profitierten die CVP-Kandidatinnen von den Stimmen der CVP-Kandidaten. Dieses gute Wahlergebnis der CVP-Frauen äusserte sich darin, dass sämtliche Mandatsverluste der CVP zulasten der Männer gingen, während die Frauen sogar noch ein Mandat dazugewinnen konnten. Damit stieg der Frauenanteil unter den Gewählten der CVP auf stolze 32 Prozent. Etwas niedriger als bei der CVP war die Stimmenverwertungsquote der Frauen bei der SPS und bei den Grünen.

Bei der FDP und vor allem bei der SVP hingegen trugen die Frauen deutlich mehr Stimmen zum Parteiergebnis bei, als sie mandatsmässig profitieren konnten. Bei der FDP betrug der Stimmenanteil der Kandidatinnen 27 Prozent, der Frauenanteil unter den Gewählten 19 Prozent, bei der SVP waren es 19 Prozent Stimmenanteil und 5,5 Prozent Gewählte.

Mannigfache Hürden

Um bei den Parlamentswahlen erfolgreich zu sein, müssen die Frauen mehrere Hürden nehmen: Sie müssen den Sprung auf die Wahllisten schaffen, und sie müssen viele Stimmen erhalten. Speziell aber müssen einige von ihnen Spitzenergebnisse erzielen. Dass Frauen unter den Kandidierenden zahlenmässig sichtbar sind, ist vor allem auch auf der symbolischen Ebene wichtig. Die quantitative Präsenz der Kandidatinnen auf den Wahllisten führt jedoch nicht automatisch zur Wahl, wie das Beispiel der FDP-Frauen von 2003 gezeigt hat. Es braucht dazu ein Bündel von Massnahmen und Bedingungen, die erfüllt sein müssen. Die eidgenössische Frauenkommission hat diese mehrfach aufgelistet und den politischen Akteuren zugänglich gemacht. Insbesondere die FDP-Frauen haben für die kommenden Wahlen mit ihrem professionellen Auftritt daraus ihre Schlüsse gezogen.

 

* Der Autor leitet die Sektion Politik, Kultur und Medien im Bundesamt für Statistik (BfS).
   Vgl. auch BfS: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 2003. Entwicklung seit 1971. Neuenburg 2004.