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    Werner Seitz

    Dreissig Jahre Frauenstimmrecht in der Schweiz:
    Die Vertretung der Frauen in den politischen Institutionen: Entwicklung seit 1971 und aktueller Stand.
    Referat vorgetragen an der Veranstaltung des Verbandes für Frauenrechte in Neuchâtel, 10. Februar 2001


    Ich möchte meine Ausführungen mit einem historischen Rückblick über die politischen Auseinandersetzungen in der Schweiz für das Frauenstimmrecht anfangen, und dann die allgemeine Entwicklung der Frauenvertretung in den verschiedenen politischen Institutionen der Schweiz skizzieren. In einem zweiten Teil will ich dann zwei Faktoren beleuchten, welche die Frauenpräsenz in der Politk beeinflussen können: die politische Kultur und die Parteien.

    1  Der Kampf um das Frauenstimmrecht in der Schweiz
    Als vor dreissig Jahren die Schweizer Männer an der Urne mehrheitlich Ja zum Frauenstimmrecht sagten, vollzog die Schweiz einen Schritt, den die meisten europäischen Länder bereits Jahrzehnte zuvor gemacht hatten.

    Tabelle 1: Daten der Einführung des Frauenstimmrecht in den europäischen Staaten

    Als erstes europäisches Land war Finnland 1906 vorangegangen. Die anderen Staaten folgten in zwei Wellen:
    1. Zwischen 1913 und 1919, namentlich nach dem Ersten Weltkrieg, führten zwölf europäische Länder das Frauenstimmrecht ein (v.a. die nordischen Staaten, Deutschland, Österreich und England)
    In der Zwischenkriegszeit folgten Spanien und die Türkei
    2. Einen zweiten und finalen Schub erfuhr die Einführung des Frauenstimmrechts in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg (v.a. Frankreich, Italien, Belgien und die osteuropäischen Staaten.
    Ab 1952 kannten in Europa so neben der Schweiz nur noch Portugal und das Fürstentum Liechtenstein kein Frauenstimmrecht.

    Der Kampf um das Frauenstimmrecht in der Schweiz spielte sich auf eidgenössischer und kantonaler Ebene ab.

    1.1. Der Kampf auf der eidgenössischen Ebene
    Es ist jedoch nicht so, dass die politische Gleichstellung von Frauen und Männer in der Schweiz kein Thema gewesen wäre: Der politische Kampf für das Frauenstimmrecht wurde schon im 19. Jahrhundert geführt. Er äusserte sich in zahlreichen parlamentarischen Vorstössen und in verschiedenen ausserparlamentarischen Manifestationen.

    Die wichtigsten Eckdaten auf diesem Weg sind folgende:

    • 1918: Motionen von Hermann Greulich (SP, ZH) und Emil Göttisheim (FDP-BS) für die Einführung des Stimm- und Wahlrecht; 1919 als Postulate überwiesen.
    • Einen Meilenstein stellt die Petition des Schweizerischen Verbandes für Frauenstimmrecht von 1929 dar: sie wurde von 170'000 Frauen und 79'000 Männern unterzeichnet.
    • Der Bundesrat liess sich jedoch bis in die Fünfziger Jahre Zeit, bis er einen Bericht an das Parlament vorlegte (1951) und eine Botschaft zur Einführung des Frauenstimmrechts verfasste (1957).
      Interessantes Detail: Diese Botschaft des Bundesrates kam zu jenem Zeitpunkt ins Parlament, als eine Vorlage betreffend den Zivilschutz anstand, die auch ein Frauenobligatorium für die Hauswehren vorsah.
    • Am 1. Februar 1959 fand die erste eidg. Volksabstimmung über die Einführung des Frauenstimm- und –wahlrechts statt; das Resultat war brutal: Nur jeder dritte Mann (33,1%) sprach sich für das Frauenstimmrecht aus und nur drei der 22 Kantone.
    • Es folgten weitere Aktivitäten zu Gunsten des Frauenstimmrechts, und der Druck, das Frauenstimmrecht einzuführen, stieg:
    • 1966: Standesinitiative des Kantons Neuenburg für die Einführung des Frauenstimmrechts; als Postulat überwiesen
    • Diverse Vorstösse im Parlament (meist als unverbindliche Postulate überwiesen)
    • 1968: Der Bundesrat gerät unter Zugzwang, weil er die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnen wollte (mit Vorbehalt wegen dem fehlenden Frauenstimmrecht).
    • Dies provozierte die Frauen: Es kam 1969 zum bekannten «Marsch nach Bern» der 5000 Frauen
    • 1970 schlug der Bundesrat dem Parlament die Einführung des Frauenstimmrechts vor; das Parlament genehmigte Vorschlag des Bundesrates.
    • 1971: Eidg. Volksabstimmung: relativ komfortable Annahme; ihr erwuchs kaum mehr nennenswerte Opposition.


    1.2 Der Kampf auf der kantonalen Ebene
    Wie es in der Schweiz typisch ist, bei politischen Ideen, welche auf eidg. Ebene noch keine Mehrheit finden, wurde der Kampf um das Frauenstimmrecht auch in den Kantonen geführt.

    Tabelle 2: Daten der kantonalen Abstimmungen über das Frauenstimmrecht

    1.2.1: Anzahl der Volksabstimmungen (chronologische Entwicklung)
    Zwischen 1919 und 1969 wurde in zwölf Kantonen insgesamt 28-mal über die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts abgestimmt; in sechs Kantonen schliesslich waren sie erfolgreich.

      1. Zwischen 1919 und 1921 – also zur Zeit als die Einführung des Frauenstimmrechts europaweit einen ersten Schub erfuhr – fanden in sechs Kantonen Volksabstimmungen statt, allerdings mit mässigem Erfolg: In St. Gallen, Neuenburg und Genf sagten gut 30 Prozent der Stimmenden Ja; am höchsten war die Zustimmung in Basel (35%), am niedrigsten in Zürich (20%); deutlich abgelehnt wurde die Vorlage auch an der Glarner Landsgemeinde. Die erste kantonale Volksabstimmung fand übrigens in Neuenburg statt (31% Ja).
      2. Mit Ausnahme einer zweiten Abstimmung in Basel-Stadt herrschte nun Funkstille bis 1940 (Abstimmung in Genf) und – vor allem – 1946. Diese zweite Serie von Volksabstimmungen über das kantonale Frauenstimmrecht setzte mit der zweiten Welle in den europäischen Ländern ein: 1946 und 1947 wurde in fünf Kantonen Abstimmungen durchgeführt, wobei erneut keine Vorlage eine Mehrheit erhielt: Immerhin stimmten die Genfer mit 44% zu; am niedrigsten war der Ja-Stimmen-Anteil in Zürich und im Tessin (23%).
      3. Die Bestrebungen, das Frauenstimmrecht einzuführen, dauerten an und trugen bald erste Früchte: 1959/61: Das erste Ja zum Frauenstimmrecht kam in der Waadt zustande (1959); im selben Jahr folgte auch Neuchâtel und 1960 Genf.
      In den Sechzigerjahren führten folgende Kantone das Frauenstimmrecht ein: Basel-Stadt (1966), Basel-Landschaft (1968) und Tessin (1969)
      1970 folgten Zürich, Luzern, Wallis
    Die Einführung des Frauenstimmrechts von 1971 auf eidg. Ebene war gleichsam auch der Katalysator für dessen Einführung für kantonale Belange: 1971/1972 wurde es in sämtlichen Kantonen in einer Volksabstimmung gutgeheissen.

    Tabelle 2a Abstimmungen in Appenzell

    Eine Ausnahme bildeten die beiden Appenzell: In Ausserrhoden wurde das Frauenstimmrecht noch dreimal an der Landsgemeinde abgelehnt, ehe es 1989 Zustimmung fand. In Innerrhoden scheiterten entsprechende Bestrebungen ebenfalls dreimal an der Landsgemeinde; 1990 wurde das Frauenstimmrecht auf Intervention des Bundesgerichts eingeführt.

    1.2.2: Volksabstimmungen in den Kantonen

    Tabelle 2: Daten der kantonalen Abstimmungen über das Frauenstimmrecht

    Zwischen 1919 und 1969 gab es in 12 Kantonen 28 Volksabstimmungen; in 13 Kantonen war das Frauenstimmrecht bis 1970 kein Thema an der Urne. Wir können hier eine – bekannte – Spaltung der Schweiz feststellen.
    Die meisten Volksabstimmungen fanden statt in

    • Genf und Basel-Stadt: je 4-mal erfolglos, dann angenommen
    • Zürich: 4-mal
    • Tessin 2-mal, dann angenommen
    • Neuenburg 1-mal abgelehnt, 1-mal angenommen; Schaffhausen: 2-mal abgelehnte
    • Sowie, je eine Abstimmung: Glarus (1), Solothurn (1), Basel-Landschaft (1), St. Gallen (1), Graubünden (1), ,
    • Auf Anhieb angenommen wurde das Frauenstimmrecht in der Waadt.
    Kein Thema an der Urne war das Frauenstimmrecht bis 1971 in den meisten Kantonen der Zentral- und Ostschweiz.

    1.3 Die eidgenössischen Volksabstimmungen von 1959 und1971
    Die Kantone, in welchen bereits Abstimmungen über die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts durchgeführt wurden, zeigten sich auch offener bei den Abstimmungen über die Einführung des eidg. Frauenstimmrechts

    Tabelle 3: Daten der kantonalen und eidgenössischen Abstimmungen über das Frauenstimmrecht

    Am 1. Februar 1959 stimmten der ersten eidg. Volksabstimmung über die Einführung des Frauenstimm- und –wahlrechts nur 33,1% zu:

    • Ja stimmten Genf, Neuenburg und die Waadt
    • überdurchschnittlich ja – aber insgesamt ablehnend – sagten die beiden Basel sowie die Kantone Zürich, Bern und das Tessin.
    • Schlecht schnitt die Vorlage in den meisten Kantonen der Zentral- und Ostschweiz ab; Appenzell Innerrhoden sagte gar nur zu 5% ja.
    Die lateinisch-sprachigen Kantone bildeten auch am 7. Februar 1971 die Spitze derjenigen, welche das Frauenstimmrecht einführen: Genf sagte gar mit über 90% Ja; mit rund 80% nahmen die anderen lateinischen Kantone und die beiden Basel das Frauenstimmrecht an. Den Pol der Nein-Stimmenden bildete die Urkantone – ausgenommen Nidwalden und Luzern – sowie die Ostschweiz, ausgenommen Graubünden.
     
     
    FAZIT zur Einführung des Frauenstimmrechts
    • Das Frauenstimmrecht wurde in der Schweiz rund ¼ Jahrhundert nach den meisten Staaten in Europa eingeführt.
    • Die Diskussionen wurden in der Schweiz jedoch während des ganzen 20. Jahrhunderts geführt, allerdings vor allem auf der Ebene der Kantone (1919–1969)...
    •  ... und nur in etwa der Hälfte der Kantone. Diese Kantone standen dem Frauenstimmrecht auch auf eidg. Ebene offener gegenüber. Es sind dies die lateinischen Kantone sowie die beiden Basel und Zürich. 

     

    2 Einzug der Frauen in die Parlamente und Regierungen
    Dauerte der Kampf um die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz lange, so zogen die Frauen relativ zügig in die Parlamente ein. Die Wahl in die Regierungen dagegen, welche meistens nach dem Majorzsystem gewählt werden, dauerte etwas länger.

    2.1 Die Frauen bei den Parlamentswahlen
    2.1.1: Kantonale Parlamente und Nationalratswahlen

    Grafik 1: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1999

    Bereits bei den ersten kantonalen Wahlen mit Frauenstimmrecht (in den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf) nahmen einige Frauen in den Parlamenten Einsitz; ihr Anteil bewegte sich zwischen 6 und 8 Prozent. Dies war auch das Niveau, auf dem sich die durchschnittlichen Frauenanteile in den kantonalen Parlamenten und im Nationalrat in den Siebzigerjahren bewegten.
    Die 10-Prozent-Grenze überschritten die Frauen bei den Nationalratswahlen 1979 bzw. zu Beginn der Achtzigerjahre in den kantonalen Parlamenten.
    Das Wachstum der Frauenanteile hielt an: Zu Beginn der Neunzigerjahre überschritten sie die 20-Prozent-Grenze und bei den jüngsten Wahlen erreichten die Frauen im Nationalrat wie auch in den kantonalen Parlamenten einen Anteil von rund 24%.
    Grafik 2: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente 1960–1999

    2.2 Die Frauen bei den Wahlen in den Ständerat und in die kantonalen Regierungen
    Deutlich langsamer schritt die Frauenvertretung im Ständerat und in den Kantonsregierungen voran.
    1971 wurde mit der Genfer Radikalen Lise Girardin die erste und einzige Frau in den Ständerat gewählt. Sie wurde 1975 jedoch wieder abgwählt und die kleine Kammer war nochmals für eine Legislaturperiode ein reines Männergremium. 1979 hatten die Frauen bis 1995 mit drei bis fünf Ständerätinnen in der 46köpfigen Versammlung Einsitz und erreichten damit einen Anteil von rund zehn Prozent. 1995 wurden acht Frauen gewählt und 1999 neun; der Frauenanteil im Ständerat beträgt so nun knapp 20%.
    Grafik 3: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Regierungen 1983–1999

    Bis die erste Frau mit politischen Aufgaben in einer Kantonsregierung beauftragt wurde, dauerte es ein Dutzend Jahre: 1983 wurde die Sozialdemokratin Hedi Lang in die Zürcher Kantonsregierung gewählt (ein Jahr später nahm übrigens mit der Zürcher Freisinnigen Elisabeth Kopp die erste Frau im Bundesrat Einsitz). In den Achtzigerjahren stieg die Frauenvertretung in den kantonalen Regierungen nur wenig an, so dass 1990 in den Kantonen sechs Frauen und 160 Männer regierten, was einem Frauenanteil von vier Prozent entsprach. Im Zuge der Diskussionen um die Untervertretung der Frauen in der Politik, welche sich an der Nichtwahl der Genfer Sozialdemokratin Christiane Brunner in der Bundesrat von 1993 entzündet hatte, ging es mit der Frauenvertretung auch in den Kantonsregierungen vorwärts:

    • 1994 hatten bereits mehr als zehn Frauen Einsitz
    • 1997 mehr als zwanzig und
    • 1999 gar 33.
    Im letzten Jahr sank die Zahl der amtierenden Regierungsrätinnen auf 30; die Frauen machen gegenwärtig in den Regierungen einen Anteil von knapp zwanzig Prozent aus (18,5%).
     
     
    FAZIT zum Einzug der Frauen in die Parlamente und Regierungen
    Grafik 4: Die Frauen in den politischen Institutionen 1960–1999

    Der Kampf um die Einführung des Frauenstimmrechts dauerte in der Schweiz lange, die Frauen zogen aber darauf relativ zügig in die Parlamente und die Regierungen ein. 

    • Rasch zogen die Frauen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente ein (mehrheitlich Proporwahl); hier beträgt gegenwärtig der Frauenanteil 24%
    • Langsamer ging es mit der Frauenvertretung im Ständerat, in den Kantonsregierungen (und im Bundesrat) voran: Fuss fassten die Frauen in diesen Institutionen erst in den Achtzigerjahren. Die Steigerung – bis auf 20% – erfolgte in den späten Neunzigerjahren. 
    Mit diesen Frauenanteilen liegt die Schweiz im europäischen Vergleich bereits im ersten Drittel.

    Tabelle 4 mit Stand in Europa
     


     
     

    Bei der Frauenrepräsentation in den politischen Institutionen können zumindest zwei Einflussfaktoren angenommen gemacht werden: die regionale politische Kultur und die Politik der Parteien.

    3 Der Einfluss der politischen Kultur: Die Frauenvertretung in den politischen Institutionen, nach Regionen
    Wie eingangs gezeigt, fanden  22 der insgesamt 28 Volksabstimmungen über die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechtes (zwischen 1919 und 1969) in den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf sowie in den beiden Basel, im Tessin und in Zürich statt.
    Tabelle 3: Daten der kantonalen und eidgenössischen Abstimmungen über das Frauenstimmrecht
    In diesen Kantonen, ausgenommen Zürich, wurde das kantonale Frauenstimmrecht denn auch schon in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren eingeführt und die beiden eidgenössischen Volksabstimmungen über die Einführung des Frauenstimmrechts erzielten 1959 und 1971 in diesen Kantonen die besten Ergebnisse.

    3.1. regionales Verhalten bei Volksabstimmungen über gleichstellungspolitische Vorlagen
    Tabelle 5: Kantonsergebnisse von Abstimmungen über gleichstellungspolitischenThemen
    Bis in die heutigen Tage stellen die lateinischen Kantone, die beiden Basel und Zürich bei den Volksabstimmungen über gleichstellungspolitische Vorlagen die Avantgarde dar: Überdurchschnittliche Zustimmung – bzw. überdurcchschnittliche Ablehung – erfuhren in diesen Kantonen die Vorlagen betreffend

    • den Schwangerschaftsabbruch (1977),
    • die Mutterschaftsversicherung (1984 und 1999),
    • die gleichen Rechte für Mann und Frau und das neue Eherecht (1981 und 1985)
    • sogar die Quoteninitiative, über die im letzten Frühling abgestimmt wurde.
    Diesem gleichstellungspolitisch offenen Pol stand bei den Volksabstimmungen ein gleichstellungspolitisch zurückhaltender bis ablehnender Pol gegenüber, den die meisten Kantone der Zentral- und Ostschweiz bilden. Bei sämtlichen Volksabstimmungen erzielten Genf und Appenzell Innerrhoden innerhalb ihrer Pole die extremsten Werte.

    3.2. regionales Verhalten bei Wahlen
    Zeigt sich dieses regionale Abstimmungsmuster auch im Wahlverhalten?
    Zwei Kriterien sollen genommen werden:
    1. Frauenvertretung überhaupt
    2. relative Grösse der Frauenvertretung

    3.2.1. Nationalratswahlen
    Tabelle 6: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1999, nach Kantonen (absolute Zahlen)
    Das regionale gleichstellungspolitische Abstimmungs-Muster zeigt sich nicht so deutlich im Wahlverhalten bei den Nationalratswahlen: Die einzigen Kantone, die seit 1971 im Nationalrat immer mindestens mit einer Frau vertreten waren, sind Zürich, St. Gallen und Luzern; in diesen Kantonen wurden auch prozentual am meisten Frauen gewählt. Noch nie eine Frau in den Nationalrat schickten Zug sowie die Majorzkantone Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus und Appenzell-Innerrhoden.
    Auf der negativen Seite ist das gleichstellungspolitische Abstimmungsmuster bestätigt, nicht jedoch auf der positiven, wo sich keine lateinischen Kantone in der Spitzengruppe finden.
    Zumindest für die Nationalratswahlen kann nicht gesagt werden, dass die lateinischen Kantone besonders frauenfreundlich wären.

    Tabelle 6a: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1999, nach Kantonen (relative Werte)
    Und auch wenn wir die Kantone zu Gruppen – entsprechend der Einführung des Frauenstimmrechts – zusammenfassen, ergibt sich kein Zusammenhang.
    Tabelle 6b: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1999, nach Kantonen (Kantonsgruppen)

    3.2.2. Kantonale Parlamente
    Anders stellt sich die Sache bei den kantonalen Wahlen dar: Hier zeigt sich das geichstellungspolitische Abstimmungsmuster recht deutlich:
    Tabelle 7a Die Frauen bei den kantonalen Parlamentswahlen 1968–1999 (relative Werte)
    Die höchsten Frauenanteile seit 1971 finden sich im Kantonsparlament von Genf; ebenfalls überdurchschnittlich vertreten sind die Frauen im Parlament von Basel-Stadt – und im Aargau.
    Unterdurchschnittlich hoch sind dagegen die Frauenanteile in den meisten Parlamenten der Zentral und Ostschweiz sowie dem Wallis (für die jüngsten Wahlen trifft dies allerdings nicht mehr zu auf Ob- und Nidwalden und Appenzell Ausserrhoden).
    In den Kantonsparlamenten finden sich gegenwärtig die höchsten Frauenanteile in Genf, den beiden Basel, Appenzell Ausserrhoden und Obwalden. Unterdurchschnittlich sind die Frauen in den Kantonsparlamenten des Tessin, von Glarus, Schwyz und das Wallis vertreten.
    Der Zusammenhang zwischen dem gleichstellungspolitisch offenen Abstimmungs- und frauenfreundlichem Wahlverhalten zeigt sich recht schön auch bei den Kantonsgruppen
    Tabelle 7b: Die Frauen bei den kantonalen Parlamentswahlen 1968–1999 (Kantonsgruppen)

    3.2.3. Ständeratswahlen
    Tabelle 8: Die Frauen bei den Ständeratswahlen 1971–1999
    Im Ständerat waren in den letzten dreissig Jahren nur gerade zehn Kantone zumindest vorübergehend mit einer Frau vertreten: Drei Kantone sind überdurchschnittlich: Genf, Zürich und Luzern.

    • In Genf wurde bereits in den Siebzigerjahren eine Ständerätin gewählt; nach einem Unterbruch ist seit 1995 die Genfer Delegation im Ständerat gar ganz weiblich.
    • Zürich wählt seit 1987 immer eine Frau in den Ständerat und Luzern seit 1983.


    3.2.4. Kantonsregierungen
    Tabelle 9: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Regierungen 1983–1999
    Spät und langsam erfolgte der Einzug der Frauen in die Kantonsregierungen. Ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurden jedoch in fast allen Kantonen Regierungsrätinnen gewählt.

    • Relativ viele Regierungsrätinnen gab es in den letzten Jahren in den Kantonen Zürich und Bern.
    • In acht Kantonen gibt es gegenwärtig zwei Regierungsrätinnen, in den Kantonen Zürich und Bern gar drei.
    • Noch nie eine Frau in die Kantonsregierung gewählt haben nur Nidwalden, Schaffhausen und das Wallis.

     
    FAZIT zum Einfluss der politischen Kultur auf die Frauenvertretung in den politischen Institutionen 
    Es gibt Kantone, die gleichstellungspolitische Abstimmungsvorlagen (also auch die Einführung des Frauenstimmrechts) deutlich unterstützen, und es gibt Kantone, die sich an der Urne gleichstellungskritisch bis –ablehnend verhalten
    • zu erster Gruppe gehören die lateinischen Kantone sowie die beiden Basel und Zürich
    • zur zweiten Gruppe gehören die meisten Kantone der Zentral- und der Ostschweiz (ausgenommen Luzern). 
    Diese Zweiteilung der Kantone gilt nur bei Abstimmungen über gleichstellungspolitische Themen sowie bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente. 
    Sie gilt nicht bei den Nationalratswahlen (da stehen die Kantone Zürich, St. Gallen und Luzern an der Spitze). 
    Partiell gilt sie bei den Ständeratswahlen und den Regierungsratswahlen: Hier waren und sind die Kantone Zürich und Genf am frauenfreundlichsten

     
     
     

    4 Der Einfluss der Parteien: Die Frauenvertretung in den politischen Institutionen, nach Parteien
    Wird die Frauenrepräsentation parteipolitisch analysiert, ist zwischen Nationalrat und Kantonsparlament einerseits und zwischen Ständerat und Kantonsregierung andrerseits zu unterscheiden: erstere werden meistens nach Proporz gewählt, letztere meistens nach Majorz.

    4.1 Nationalratswahlen und kantonale Parlamente
    Tabelle 10: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1999, nach Parteien (Partei=100%)
    In den Siebzigerjahren gehörten die meisten gewählten Frauen im Nationalrat einer der drei grossen Bundesratsparteien (FDP, CVP, SPS) an.
    In den Achtzigerjahren setzte eine parteipolitische Polarisierung der Frauenrepräsentation ein: Mit dem Aufkommen der Grünen und der Hinwendung der SPS zu den neuen Mittelschichten erfolgte bei den rotgrünen Parteien eine Feminisierung, die ihren Niederschlag in der steigenden Zahl der gewählten Frauen fand. So stammen denn seit 1983 mehr als die Hälfte aller Nationalrätinnen aus den Reihen der SPS und der Grünen, obwohl diese Parteien im Nationalrat zusammen nur einen Viertel bis einen Drittel aller Mandate innehaben. Bei den bürgerlichen Parteien dagegen stagnierte die Zahl der Parlamentarierinnen oder wurde gar kleiner.
    Bei den jüngsten Wahlen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente kündigt sich nun bei den bürgerlichen Parteien eine Differenzierung an: Die Frauen der FDP und der CVP sind am Aufholen und haben kürzlich die 20%-Hürde genommen. Dagegen haben die Frauen der SVP wie auch der anderen Rechtsparteien weiterhin einen schweren Stand.

    Bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente zeigt sich fast dasselbe Muster.
    Tabelle 11a: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente 1968–1999, nach Parteien (Partei=100%)

    zur Illustration: weitere Tabellen:
    Tabelle 10a: Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1971–1999, nach Parteien (Frauen=100%)
    Tabelle 11a: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente 1968–1999, nach Parteien (Frauen=100%)

    4.2 Ständeratswahlen und Regierungsratswahlen
    Anders zeigt sich die parteipolitische Verteilung der gewählten Frauen im Ständerat und in den Kantonsregierungen: Haben in diesen beiden politischen Institutionen SP und Grüne nur wenige Mandate inne, kommt die Rolle, Frauen in diese Gremien zu bringen, den bürgerlichen Parteien zu – und diese hatten bis in die Mitte der Neunzigerjahre kaum wahrgenommen. Seither aber ist die FDP für politisch ambitionierte Frauen eine gute Adresse.

    Tabelle 12: Die Frauen bei den Ständeratswahlen 1971–1999, nach Parteien (absolute Zahlen )
    In der kleinen Kammer gehören gegenwärtig von den neun Ständerätinnen sieben der FDP an.

    Tabelle 13: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Regierungen 1983–1999, nach Parteien (absolute Zahlen )
    Seit 1995 stellt die FDP auch über 40 Prozent aller Frauen in kantonalen Regierungen.
    zur Illustration: weitere Tabellen:
    Tabelle 12a; 12b: Die Frauen bei den Ständeratswahlen 1971–1999, nach Parteien (Partei=100%; Frauen =100%)
    Tabelle 13a; 13b: Die Frauen bei den Wahlen in die kantonalen Regierungen 1983–1999, nach Parteien (Partei=100%; Frauen =100%)
     
     
     

    FAZIT zum Einfluss der Parteien auf die Frauenvertretung in den politischen Institutionen 
    Es gibt zwei unterschiedliche parteipolitische Verteilungsmuster der gewählten Frauen: 
    • Das parteipolitische Verteilungsmuster im Nationalrat und in den kantonalen Parlamenten zeichnet sich dadurch aus, dass sich die meisten gewählten Frauen bei der SPS und den Grünen finden, gefolgt von der FDP und der CVP. Dagegen weisen die SVP und namentlich die Rechtsparteien nur niedrige Frauenanteile auf.
    • Das parteipolitische Verteilungsmuster im Ständerat und in den kantonalen Regierungen umfasst nur wenige Parteien, wobei SP und FDP die meisten Frauen haben. Dagegen kommen die Frauen der CVP und der SVP kaum zu Mandatsehren.

     
     

    SCHLUSS

    1) Die Schweiz hat das Frauenstimmrecht mit rund einem Vierteljahrhundert Verspätung nach den meisten Staaten Europas eingeführt.

    2) Die Diskussionen über das Frauenstimmrecht wurden in der Schweiz jedoch während des ganzen 20. Jahrhunderts geführt, allerdings vor allem auf der Ebene der Kantone (1919–1969) und nur in etwa der Hälfte der Kantone. Diese Kantone standen dem Frauenstimmrecht auch auf eidg. Ebene offener gegenüber. Es sind dies die lateinischen Kantone sowie die beiden Basel und Zürich

    3) Diese Kantone sind auch weiterhin an der Urne am gleichstellungsfreundlichsten
    Ihnen stehen die meisten Kantone der Zentral- und der Ostschweiz (ausg. Luzern). als gleichstellungskritische bis –ablehnende gegenüber.

    4) Diese Aufteilung in gleichstellungsfreundliche und gleichstellungskritische Kantone gilt nur bei Volksabstimmungen über gleichstellungsspezifische Themen sowie bei den Wahlen in die kantonalen Parlamente.

    • Sie zeigt sich nicht bei den Nationalratswahlen (hier stehen Zürich, St. Gallen, Luzern an der Spitze).
    • Bei den Ständeratswahlen und den Regierungsratswahlen zeigen sich die Kantone Zürich und Genf am frauenfreundlichsten
    Die sog. politische Kultur scheint also nur einen beschränkten Einfluss auf die Frauenvertretung in den politischen Institutionen zu haben

    5) Dauerte der Kampf um die Einführung des Frauenstimmrechts in der Schweiz lange, zogen die Frauen darauf aber relativ zügig in die Parlamente und die Regierungen ein.

    • Rasch zogen die Frauen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente ein (mehrheitlich Proporwahl); hier beträgt gegenwärtig der Frauenanteil 24%
    • Langsamer ging es mit der Frauenvertretung im Ständerat, in den Kantonsregierungen (und im Bundesrat) voran: Richtig Fuss fassten die Frauen in diesen Institutionen in den Achtzigerjahren und die Steigerung in den Bereich von 20% erfolgte in den Neunzigerjahren.
    Mit diesen Frauenanteilen liegt die Schweiz im europäischen Vergleich bereits im ersten Drittel.

    6) In den verschiedenen politischen Institutionen lassen sich zwei unterschiedliche parteipolitische Verteilungsmuster der gewählten Frauen unterschieden:

    • Das parteipolitische Verteilungsmuster im Nationalrat und in den kantonalen Parlamenten – Proporzwahlsystem – zeichnet sich dadurch aus, dass sich die meisten gewählten Frauen bei der SPS und den Grünen finden, gefolgt von der FDP und der CVP. Dagegen weisen die SVP und namentlich die Rechtsparteien nur niedrige Frauenanteile auf.
    • Das parteipolitische Verteilungsmuster im Ständerat und in den kantonalen Regierungen – Majorzwahlsystem – umfasst nur wenige Parteien, wobei SP und FDP die meisten Frauen haben. Dagegen kommen die Frauen der CVP und der SVP kaum zu Mandatsehren.


    7) In der Schweiz hat die Frauenvertretung in den politischen Institutionen nun eine Grösse erreicht, die nicht mehr Anlass zu Diskussionen gibt. Das Ausmass der Untervertretung der Frauen in der Politik ist nicht mehr skandalös – die Schweiz befindet sich nun «in bester Gesellschaft». Die Schweiz ist in Sachen politischer Frauenrepräsentation kein europäischer Sonderfall mehr, sie gehört schon zur besseren Hälfte: ¾ Männer – ¼ Frauen.
    Die Schweiz ist heute ein gleichstellungspolitischer Normalfall – und da gehört es dazu, dass, wie in letzter Zeit, Mandatsträgerinnen in der öffentlichen Kritik stehen und relativ brutal abgewählt werden.

    8) Doch: Ein solcher «Normalfall» ist eine schlechte Voraussetzung für eine weitere Verbesserung der Repräsentation von Frauen, liegen doch die Frauenanteile in der Politik mit 20 bis 25 Prozent noch weit vom Ziel der Parität entfernt.

    9) Dass es möglich ist, dauerhaft eine Frauenvertretung von 40% und mehr in den politischen Instittutionen zu erreichen, zeigen die nordischen Staaten. Augrund des schweizerischen Wahlsystems, das viele Freiheiten kennt, und nach der deutlichen Ablehnung der Quoteninitiative (auf eidg. Ebene, in einigen Kantonen und Gemeinden), ist es schwierig, ähnliche Wege einzuschlagen.
    Ich sehe gegenwärtig Möglichkeiten, die Frauenrepräsentation «repräsentativer» zu machen:

    • Parteipolitisch: Die FDP und – vor allem – die CVP müssen die Repräsentation der Frauen in den politischen Institutionen ernster nehmen. Schaffen sie es, wie die Grünen und die SP, 40% und mehr Frauen in die politischen Institutionen zu delegieren, haben wir in der Schweiz bald nordische Verhältnisse (40% Frauen und mehr). Ohne einen Effort dieser beiden Parteien aber wird die Schweiz gleichstellungspolitisch wohl bei 20–25% stehen bleiben.
    • Medienpolitisch: Die Medien scheinen sich mit dem «Normalfall» Schweiz arrangiert zu haben; über die Untervertretung der Frauen in den Parlamenten gibt es nichts Skandalöses mehr zu berichten. Hier gilt es, wieder ins Bewusstsein zu rufen, dass die Untervertretung der Frauen in den politischen Instuitutionen systematisch und daher nicht «zufällig» – und schon gar nicht «normal» – ist.
    Vor allem aber, und damit komme ich zum Schluss, muss ein Bewusstsein geschaffen werden, dass Parität zwischen den Geschlechtern einer Demokratie gut tut.