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Politologe Werner Seitz zur Muriger Frauenquote

«Die Parteien haben es in der Hand», in Berner Zeitung, 22. Februar 2005

(Interview: Mirjam Messerli; Bild: Urs Baumann)


 

Die Frauenmehrheit in Muris politischen Gremien sei eine schweizerische Premiere, aber noch kein «Meilenstein», sagt Politologe Werner Seitz. Noch würden sich zu viele Frauen scheuen, «harte» Dossiers zu übernehmen.

 

Herr Seitz, Muri hat sowohl im Parlament als auch im Gemeinderat eine Frauenmehrheit. Wie aussergewöhnlich ist das?

Werner Seitz: Meines Wissens ist es eine gesamtschweizerische Premiere. Keine andere Gemeinde hat in Legislative und Exekutive eine Frauenmehrheit. In einem Parlament hat es das, soweit ich informiert bin, noch nie gegeben.

Welche Quellen haben Sie?

Dies belegen Zahlen, die der Städteverband bei Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern eingeholt hat. Ausserdem greife ich auf Statistiken der Uni Bern und meine eigenen Untersuchungen zurück. Gemeinden unter 10 000 Einwohner haben meistens kein Parlament – daher kann man wohl von einer nationalen Premiere sprechen.

Wie viel Beachtung verdient sie?

Weil es auf Gemeindeebene stattfindet, hat das Ereignis vor allem symbolische Bedeutung. Denn in Gemeinden sind Parlamente personell relativ instabil.

National ist diese Frauenmehrheit nicht von Bedeutung?

Doch. Aber ich würde nicht sagen, dass nun deswegen in unserem Land ein Meilenstein erreicht worden ist.

Muss man heutzutage überhaupt noch über die Frauenquote diskutieren?

Im Vergleich zu den 90er-Jahren ist das Thema sicher weniger aktuell – oder besser gesagt: Es scheint weniger aktuell zu sein. Früher wetteiferten die Parteien – allen voran SP und FDP – darum, wer mehr Frauen auf den Listen hat oder in politische Ämter bringt. Heute streitet man sich nicht mehr darüber, weil die SP die Geschlechterparität erreicht und die FDP andere Probleme hat.

Ist es nicht mehr nötig, über die Frauenquote zu debattieren?

Es ist tatsächlich einiges passiert in den letzten 20 bis 30 Jahren. Die Frauenquote in politischen Institutionen ist kontinuierlich angestiegen – aber sie liegt erst bei einem Viertel.

Das ist doch wenig, oder?

Wenn man den Anspruch der Gleichstellung hat, haben wir erst die Hälfte der Vorgabe erfüllt. Wenn man die Schweiz jedoch mit dem europäischen Umfeld vergleicht, bewegt sie sich im vorderen Mittelfeld. Und dies, obschon bei uns das Frauenstimmrecht erst 1971 eingeführt worden ist.

Haben Sie eine Erklärung für den hohen Frauenanteil in Muri?

Es gibt zwei Kriterien, welche die Frauenvertretung massgeblich beeinflussen. Das eine ist der Gegensatz Stadt/Land. In der Stadt haben es die Frauen einfacher, und Muri ist eine städtische Gemeinde. Das zweite Kriterium sind die Parteien. Sie sind die Hauptakteure bei der Frauenförderung. Sie haben es in der Hand, Frauen in die Politik zu bringen.

Tun das die Muriger Parteien besser als andere?

In Muri sind die Freisinnigen, aber auch die SP und das grüne Forum stark. Diese Parteien gewichten Frauenförderung hoch.

Spielt es auch eine Rolle, ob eine Gemeinde arm oder reich ist?

Das beeinflusst die Parteienlandschaft. Eine Gemeinde, die strukturschwächer ist, mehr Arbeitslose hat, schlechtere Wohnungen, einen hohen Ausländeranteil, tendiert dazu, eher rechts zu wählen. Und damit weniger Frauen.

Brauchen Frauen andere Voraussetzungen, damit sie in die Politik einsteigen, als Männer?

Jein. Grundsätzlich muss erst einmal Interesse vorhanden sein. Die Relaisstation sind die Parteien. Eine Studie hat gezeigt, dass Männer sich dreimal häufiger selber für ein politisches Amt melden als Frauen. Frauen muss man anfragen.

Wie kommen Frauen von der kommunalen in die kantonale oder nationale Politik?

Indem sie gleich vorgehen wie Männer. Wenn sich Frauen mit Schul- oder Kulturpolitik beschäftigen, ist dies für eine politische Karriere nicht besonders förderlich. Sie müssen sich auf die «harten» Dossiers wie die Finanzen oder das Planen und Bauen konzentrieren. Wichtig ist auch, dass die Frauen auch in Fachverbänden verankert sind.

Sind das Frauen zu wenig?

Frauen arbeiten eher im Hintergrund. Auch in Muri hat das Präsidium – den einzigen Vollzeitjob – ein Mann. Die Präsidien aller Schweizer Gemeinden sind nur zu 11 Prozent von Frauen besetzt. Frauen übernehmen meistens die Dossiers Bildung, Kultur, Soziales.

Weshalb ist das so?

Frauen wählen eher danach aus, ob sie ein Amt erfüllt. Männer suchen sich ein Dossier aus, von dem sie glauben, dass es sie weiterbringt.

Wie könnte sich das ändern?

Frauen dürfen sich nicht scheuen, auch ein Dossier zu übernehmen, in das sie zuerst hineinwachsen müssen. Ein Mann traut sich solches eher zu und glaubt nicht, dass er von Anfang an alles allein und perfekt machen muss.

Eine hohe Frauenquote auf kommunaler Ebene ist also nicht gleichbedeutend mit einer hohe Quote auf nationaler Ebene?

Nein, denn man kann in einer Gemeinde hängen bleiben. Wobei es natürlich wichtig ist, dass auch in Gemeinden fähige Leute politisieren. Für eine Karriere aber ist es zwingend, dass sich Frauen auch für den Grossen Rat oder den Nationalrat aufstellen lassen. Hier liegt der Ball wieder bei den Parteien. Sie können sehr viel steuern.

 

Muri hat sowohl im Parlament als auch im Gemeinderat mehr Frauen als Männer (BZ vom 18. 2.). Jetzt belegen Zahlen, dass dies national einmalig ist. In Regierungen dagegen haben Frauen auch in anderen Gemeinden die Mehrheit. So zum Beispiel in Onex, Carouge, Locarno und Bern. Im Stadtberner Parlament erreichen die Frauen einen Anteil von 42,5 Prozent (34 von 80 Mitgliedern).mm

Zur Person
Der Politologe Werner Seitz leitet im Bundesamt für Statistik die Sektion «Politik, Kultur, Medien». Er war beim Europarat als Experte für Gleichstellungsfragen in der Politik tätig. Seit mehr als zehn Jahren forscht er über die Repräsentation der Frauen in den politischen Institutionen.

 


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