In der Folge der Affäre um Marina
Masoni hat sich das Medieninteresse in letzten
Tagen stärker auf die Freisinnig-Demokratische
Partei (FDP) konzentriert. Als Mitglied der
Tessiner Exekutive und verantwortlich für
Wirtschaft und Finanzen wurde ihr von ihren
Kollegen in der Regierung die Steuerverantwortung
entzogen.
Eine Untersuchung hat gezeigt,
dass die Stiftung ihrer Eltern im Kanton Schwyz
nicht gesetzeskonform ist. Masoni geriet ins
Kreuzfeuer der Kritik. Die Linke verlangt ihren
Rücktritt. Schon vorher wurden auch
Unregelmässigkeiten im Steuerdepartement
aufgedeckt.
Ob Rücktritt oder nicht, die
politische Zukunft von Masoni, die auch dem
Vizepräsidium der FDP Schweiz angehört, scheint
ernsthaft in Frage gestellt, obwohl sie einst als
mögliche Nachfolgerin von Innenminister Pascal
Couchepin gehandelt wurde. Und als ob das nicht
schon der Probleme genug wären, musste die FDP in
letzter Zeit wiederholt Wählerverluste
hinnehmen.
Der Niedergang der FDP ist nicht
neu. Werner Seitz, Chef der Sektion Politik,
Kultur, Medien im Bundesamt für Statistik, hat die
Entwicklung der Partei analysiert. Für ihn ist das
Phänomen über 20 Jahre alt.
swissinfo: Seit wann geht es mit
den Freisinnigen bergab?
Werner Seitz: Der Niedergang ist
beeindruckend. 1979 gehörten die Freisinnigen zum
letzten Mal zu den Siegern. Damals hatten sie 28%
der Sitze in den kantonalen Parlamenten und 24%
der Wählerschaft auf nationaler Ebene.
Seit
damals haben sie unaufhaltsam Stimmen verloren.
Heute haben sie weniger als 20% der Sitze in den
Kantonen. Auf Bundesebene haben sie nur noch 17%
der Wählerstimmen. In beiden Fällen ist der
Verlust deutlich mehr als ein Viertel. Die
Stimmenverluste zeigen sich auch auf
Gemeindeebene.
swissinfo: Welches sind die Gründe
für diesen Rückgang?
W. S.: Wie bei der
Christlich-Demokratischen Partei (CVP) war auch
die Spitze der FDP europafreundlich, während ein
grosser Anteil der Basis dieser beiden Parteien
europafeindlich war. Davon hat die Schweizerische
Volkspartei (SVP) profitiert.
Andrerseits
haben führende Freisinnige in den 70er und 80er
Jahren einen Schritt nach links gemacht, was die
Gleichberechtigung der Geschlechter und die Umwelt
angeht, aber auch in den Bereichen der
Drogenpolitik und der Verkehrspolitik. Auch davon
hat die SVP profitiert.
swissinfo: Wäre die FDP daher gut
beraten, wenn sie härtere Positionen beziehen
würde, genau wie die SVP?
W. S.: Überhaupt nicht, denn dieser
Prozess ist abgeschlossen. FDP-Präsident Fulvio
Pelli hat absolut recht, wenn er versichert, dass
man nichtsdestotrotz neue Wähler gewinnen müsse
und nicht diejenigen zurückgewinnen, die man
bereits an die SVP verloren habe.
swissinfo: Mit welchen Argumenten
kann die FDP Wähler gewinnen?
W. S.: Die FDP ist die Partei, die
den Bundesstaat gegründet hat und die der
Wirtschaft nahe steht. Aber es ist auch die
Partei, die die Schweiz modernisiert
hat.
Die Partei-Spitzen haben diese
Tatsache ein wenig vergessen. Wenn sie diese
Modernisierung erneuern würden, hätten sie die
Chance, eine moderne, städtische Wählerschaft
anzuziehen, ohne linke Ideen anzunehmen.
swissinfo: Würde eine Vereinigung
mit der CVP und Schaffung einer grossen
Zentrumspartei die Situation der Freisinnigen
verbessern?
W. S.: Nein, die Vereinigung dieser
beiden Parteien bringt nichts. Sie haben zu grosse
Unterschiede, insbesondere historische. Im Moment
orientiert sich die CVP Richtung mitte-links, was
für die FDP nicht gilt.
swissinfo: Ist die Affäre Masoni
bezeichnend für den Niedergang der FDP?
W. S.: Diese Affäre hat zwei
Aspekte. Der erste ist der Tessiner Aspekt und
also sehr lokal. Aber Marina Masoni ist auch die
Vertreterin des Wirtschaftsflügels und der
freisinnigen Neoliberalen. Das ist für die FDP auf
nationaler Ebene gravierend, da Masoni ja der
Vizepräsidentschaft der Partei
angehört.
Marina Masoni wollte namentlich
die Finanzpolitik ändern. Aber sie hat gerade in
ihrem eigenen Bereich ein Problem gehabt. Das ist
ein Fiasko für sie selbst und eine Schwächung für
den Wirtschaftsflügel ihrer Partei.
swissinfo: Neben Frau Masoni ist in
der FDP keine erstrangige Persönlichkeit
auszumachen, die die Nachfolge von Pascal
Couchepin antreten könnte. Ist das nicht
erstaunlich?
W. S.: Das ist gar nicht so
erstaunlich. Alle bürgerlichen Parteien haben
Probleme, valable Kandidaten zu finden. Bei den
Rechten ist die Wirtschaft für Leute, die in der
Gesellschaft etwas bewegen möchten, wohl
verlockender als die Politik.
Swissinfo,
Olivier Pauchard (Übertragung aus dem
Französischen: Susanne
Schanda) |