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Meinung / Analyse

«Die neue Partei der aus der SVP Ausgetretenen und Ausgeschlossenen: 
Eine Partei, die sich über den Stil, nicht den Inhalt unterscheidet
», in Le Temps, 27. Juni  2008.

Von Werner Seitz


pdf (Le Temps)


 


Wie sind die Chancen dieser neuen Partei einzuschätzen, die aus der ausgeschlossenen Bündner SVP-Kantonalpartei und aus SVP-Dissidenten aus Bern und Glarus heraus entsteht? Die geplante Partei hat das Handicap, dass sie inhaltlich nichts Neues darstellt. Der Grund für ihre Gründung liegt ja nicht in einer programmatischen Neuorientierung beziehungsweise in inhaltlichen Differenzen zur SVP, sondern in Stil- und Umgangsfragen. 

In den allermeisten Sachfragen politisierten die Vertreter der neuen Partei auf derselben Linie wie die SVP Schweiz. Allfällige Unterschiede lassen sich in gewissen aussenpolitischen Themen (Europapolitik, Personenfreizügigkeit, militärische Einsätze im Ausland) und Fragen des Rechtsstaates feststellen. Das ist aber wenig für die Gründung eine neuen  Partei. Im Politalltag dürfte sie recht bald Mühe haben, sich zwischen SVP und FDP zu positionieren und zu profilieren. Dazu kommt, dass die drei Kantonalparteien inhaltlich keineswegs homogen sind. Einig sind sie sich hauptsächlich in der Distanzierung vom Politstil der SVP zürcherischer Provenienz.

In der Startphase dürfte die neue Partei durchaus eine gewisse Chance haben, nicht zuletzt wegen der Politprominenz, die dieses Projekt unterstützt. Aber eine längerfristige Perspektive eröffnet sich ihnen wohl kaum: Abgeschnitten vom aktiven Zugang zur eidgenössischen Politik dürfte sie dazu verbrummt sein, in der regionalen Liga zu spielen. 

Sie dürfte damit das Schicksal der meisten Abspaltungen in der Parteiengeschichte teilen. Anfänglich geniessen sie Sympathie und Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Doch mit der Zeit verblasst diese. Wo stehen sie heute, die Rechtsabspaltungen der SP Schweiz in den achtziger Jahren, die DSP, welche die SP in arge Not brachte und in Basel und Freiburg der SP gar Sitze in den kantonalen Regierungen abnahm? Oder, um ein aktuelleres Beispiel zu bringen: Wo sind die jüngsten Abspaltungen der SVP in Basel, Genf oder Aargau?

Ein Blick auf die Namen der „Abtrünnigen“ in Bern und Glarus zeigt, dass es sich hauptsächlich um den Protest einer Elite handelt: Einer Elite, die vor allem unter dem autoritären Führungsstil der SVP gelitten hat, einer Elite aber auch, der die Konsenswerte der politischen Kultur der Schweiz wichtig sind. 

Nach dem Austritt bzw. Ausschluss der Gemässigten in den drei Kantonen dürfte die SVP Schweiz noch homogener sein und die SVP wird noch geschlossener auftreten können. Dies mag für die Oppositionsrolle gut sein. Aber Opposition ist auch für die SVP nicht Selbstzweck. Sie nimmt diese Rolle ein, um ihrem Ziel, die Schweiz konservativ zu wenden, näher zu kommen. Dazu aber braucht sie – und das weiss die SVP die Einsitznahme in die Regierungen. Diese Rolle nahmen bisher namentlich Vertreter des gemässigten Flügels, der ja inhaltlich nur marginal von den SVP-Positionen abweicht, ein. 

So gesehen könnte sich die durch den Abgang des gemässigten Flügels verstärkte Homogenität der SVP als ein Pyrrhus-Sieg erweisen.

Setzen sich nämlich die Verfechter der fundamentalistischen Oppositionspolitik vollends durch, rückte die SVP noch stärker an den rechten Rand, wo sie – wohl zur Freude der „Abtrünnigen“ – in die Fussstapfen einer erweiterten Auto- bzw. Freiheitspartei treten könnte, was ihnen allenfalls Aufmerksamkeit, aber kaum den gewünschten politischen Einfuss geben dürfte.

Es gibt sie aber immer noch vereinzelt in der SVP, jene Politiker, die die rechtskonservative SVP-Politik in den Konkordanzregierungen umsetzen wollen. Diese finden sich etwa in den alten Kantonalparteien wie der SVP-Thurgau. SVP-Nationalrat Peter Spuhler beispielsweise plädierte in seinem Interview im Zürcher „Tages Anzeiger“, das vor allem wegen der Äusserung zu Christoph Blocher als möglicher Hypothek für die SVP grosse Beachtung fand, ausdrücklich für eine Realpolitik, die mit anderen Parteien Allianzen schliesst, und er erklärte es als wichtiges Ziel, dass die SVP bald wieder in den Bundesrat zurückkehre.

Von den SVP-Wirren ist auch die Landesregierung betroffen, ist doch mit dem Parteiausschluss bzw. –austritt von Eveline Widmer-Schlumpf und Samuel Schmid ist die SVP nun definitiv nicht mehr im Bundesrat vertreten. Damit ist das Ende der arithmetischen Konkordanz eingetreten. Der Bundesrat mag durchaus noch konkordanten Charakter haben, es besteht aber keine Konkordanz mehr im Sinne, dass alle relevanten politischen Kräfte in den Bundesrat eingebunden sind. Die stärkste Partei fehlt, dafür haben zwei Vertreter einer zu gründenden Kleinstgruppe Einsitz. Damit ist auch die Strategie der letzten Jahre gescheitert, welche die SVP mit SVP-Mitgliedern, die als konsensfähig betrachtet werden, in den Bundesrat integrieren wollte.

Die kommende Zeit bis zu den Erneuerungswahlen im Jahre 2011 kann als Übergangszeit betrachtet werden. Als Übergangszeit, in der die SVP ihre künftige Rolle in der schweizerischen Politik festlegt. Als Übergangszeit aber auch, in der die übrigen Parteien Überlegungen anstellen, wie der Bundesrat künftig zusammengesetzt sein soll. Die beiden Sitze der ex-SVP-Vertretungen stellen nämlich zusammen mit möglichen anderen frei werdenden Sitzen die einzigartige Möglichkeit dar, den Bundesrat in seiner parteipolitischen Zusammensetzung grundsätzlich zur Disposition zu stellen. Der Bogen der Möglichkeiten reicht von der Reintegration der SVP bis zu verschieden ausgerichteten Koalitionsregierungen. 

Doch dazu braucht es vorerst gesellschaftspolitische Visionen und Strategien zu deren Umsetzung. Hat man sich darüber mehrheitlich einigen können, kann ein Schlüssel zur parteipolitischen Sitzverteilung im Bundesrat festgelegt werden. Und wenn sich dieser bewährt, können wir ihn ja durchaus wieder „Zauberformel“ nennen.

 

 


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