Werner Seitz*

TRIBÜNE
 Berner Gemeindewahlen 2008: «Angsthasen rechts und links?»

 in Der Bund, 22. Januar 2008.


Die Ausgangslage ist spannend: Die RGM-Parteien in der Stadt Bern sind nach 16 Jahren an der Macht etwas lendenlahm und mussten in letzter Zeit dem medialen und politischen Druck der Bürgerlichen verschiedentlich nachgeben. Dagegen wittern die oppositionellen Bürgerlichen, angespornt durch die Stimmengewinne bei den jüngsten Nationalratswahlen, Morgenluft und attackieren die Regierungsmehrheit und den Stadtpräsidenten.

Diese bürgerliche Angriffslust steht im Gegensatz zu einer gewissen Ängstlichkeit bei der Listengestaltung. Da ist nichts mehr zu spüren von der Aufmüpfigkeit der FDP und CVP des vergangenen Jahres, als beide gegen die SVP die Nachfolge von Kurt Wasserfallen für sich beanspruchten. Jetzt unterwirft sich die FDP ohne grosse Diskussionen dem Diktat der SVP: Sie scheint die geforderte Dreierliste zu akzeptieren und ohne ihren zweiten Gemeinderat Stephan Hügli in die Wahlen zu ziehen. Wenn ein bisheriger Gemeinderat im Regen stehen gelassen wird, muss dies in höherem Interesse geschehen: Und hier geht es um die Ablösung der rotgrünen Regierungsmehrheit.

Doch wie realistisch ist dieses Ziel? Erste Bedingung ist zwar das Antreten auf einer gemeinsamen Wahlliste. Doch das allein reicht noch nicht. Um den politischen Gegner zu schlagen, muss man mehr Stimmen als dieser erhalten - und davon sind die Bürgerlichen auch nach den letzten Nationalratswahlen noch meilenweit entfernt, mehr als zehn Prozentpunkte. Mit ihrer gemeinsamen Wahlliste täuschen die Bürgerlichen Muskeln vor.

So ganz geheuer scheint dieses Manöver aber der SVP nicht zu sein, denn nur so ist zu erklären, dass sie eine Dreierliste verlangt. Denn die Berner Gemeinderatswahlen sind - anders als die meisten Wahlen in die Regierungen - Proporzwahlen. Deshalb wäre es eigentlich sinnvoll, mit möglichst vielen Kandidaturen auf der Liste möglichst viele Wahlsegmente ansprechen und so möglichst viele Stimmen zu holen. Die SVP aber befürchtet wohl, dass die bürgerliche Liste nur zwei Sitze holt, und ihr Kandidat - wie schon vor vier Jahren - von den beiden FDP-Kandidaten ausgestochen würde. So beharrt die SVP auf der Dreier-Liste. Die SVP mimt den Zampano, hat aber Angst vor Hügli.

Dass die SVP nicht mehr in der Berner Stadtregierung vertreten ist, ist kein Berner Phänomen: In sämtlichen Schweizer Städten mit mehr als 50'000 Einwohnern hat die SVP mit ihrem aggressiven Rechtskurs zwar in Parlamentswahlen deutlich zugelegt, im Gegenzug wurde sie aber aus all diesen Regierungen abgewählt. In Bern hat sich die SVP vor vier Jahren mit dem "Abschiessen" ihrer eigenen Gemeinderätin, Ursula Begert, gleich selber aus der Stadtregierung entfernt.

Mit der Dreierliste beugt sich also die FDP der SVP. Dies dürfte FDP-Gemeinderätin Barbara Hayoz nicht gerade förderlich sein bei ihrem Kampf ums Stadtpräsidium. Dabei hat sie als Gemeinderätin in den letzten Jahren sehr geschickt und zielstrebig politisiert und dürfte sich mit ihrem Leistungsausweis durchaus Hoffnungen machen. Aber dazu braucht sie die politische Mitte - und die holt man nicht im Seitenwagen der SVP.

Die RGM-Parteien wiederum stehen trotz ihres Formtiefs nicht auf hoffnungslosem Posten. Sie können sich immer noch auf eine klare Mehrheit abstützen, selbst bei den jüngsten Nationalratswahlen. Zudem dürfte sich RGM nach dem "struben" 2007 mit der Eröffnung des neuen Bahnhofplatzes und mit der Euro 08 wieder positive Schlagzeilen verschaffen. RGM könnte also die Wahlen weniger ängstlich angehen als die bürgerlichen Herausforderer. Natürlich erwartet niemand, dass RGM ihren drei Bisherigen das Vertrauen entzieht, nur um etwas Spannung zu erzeugen. Aber mit mindestens einer weiteren Kandidatur auf ihrer Wahlliste könnte RGM seine inhaltliche Spannweite verbreitern und gerade auch gegenüber allfälligen grünliberalen Herausforderern sichtbar machen. Dies brächte auch etwas mehr Farbe und Spannung in die RGM-Liste. Weil die Berner Gemeinderatswahlen Proporzwahlen sind, dürfte eine solche Liste auch nicht mehr als drei Mandate erreichen. Doch von solchen Überlegungen wollen die RGM-Parteien offensichtlich nichts wissen. Sie wollen sich lieber durchwinken lassen und «im Schlafwagen ans Ziel» kommen.

So wie es sich abzeichnet, dürften im Wahlherbst zur Besetzung der fünf Gemeinderatssitze im wesentlichen zwei Wahllisten mit je drei Kandidierenden vorgelegt werden. Zwei Parteienblöcke mit angezogener Handbremse - das ist nicht ein gerade attraktives Angebot. Aber weshalb sollen die Parteien der Stadt vorbildlicher sein als jene im Kanton Bern: Da steht für die Nachfolge von Werner Luginbühl nur gerade ein Kandidat "zur Wahl". Die Parteien sollen sich dann aber nicht beklagen und nach wissenschaftlichen Analysen rufen, wenn die Wahlberechtigten nicht in Scharen an die Urne pilgern, um ihre Vorschläge abzusegnen.

 

Werner Seitz, 1954, ist Politologe. Er ist langjähriger Beobachter der Berner Politlandschaft und hat diese mehrfach analysiert. In den neunziger Jahren gehörte er mit Heinz Däpp und Claudia Kaufmann der RGM-Beratungsgruppe an.