Eidgenössische Wahlen  2007: «Der Ball liegt jetzt bei FDP/CVP»,
in Der Landbote, 22. Oktober  2007
(Interview: Peter Granwehr)


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Nach dem Wahltag hat sich die politische Landschaft verändert. Anstelle der Polarisierung SVP – SP tritt jetzt eine Konstellation, die den Mitteparteien Chancen eröffnet, sagt Wahlforscher Werner Seitz. Der Ball liege jetzt bei FDP und CVP.

 

Inwieweit überrascht Sie das Ergebnis der Nationalratswahlen, und was ist für Sie das hervorstechendste Merkmal?

Werner Seitz*: In der Tendenz kommt dieses Ergebnis für mich nicht unerwartet. Überrascht hat mich einzig das Ausmass: das erneute massive Wachstum der SVP einerseits und der Einbruch der SP. Diese beiden Aspekte stechen ins Auge und überlagern die deutlichen Gewinne der Grünen.

Welche Erklärungen gibt es dafür?

Sichtbar ist, dass die kleinen Rechtsparteien wie etwa die Schweizer Demokraten nach 2003 erneut verloren haben, ebenso wie die FDP und – wenn auch nur stimmenmässig – die Liberalen. Diese Stimmen dürften zu einem ansehnlichen Teil der SVP zugeflossen sein, die zudem wohl auch bisherige Nicht- sowie Neuwähler mobilisieren konnte. Bei den Verlusten der SP fällt die Wählerwanderung zu den Grünen ins Gewicht, aber sie erklärt nicht alles, weil die SP mehr verloren hat, als die Grünen gewonnen haben. Klarheit kann hier erst eine Nachbefragung schaffen.

Wie stark sind dabei die Auftritte der Parteien ins Gewicht gefallen?

Mir ist eigentlich nur ein Auftritt aufgefallen – jener der SVP. Sie hat in diesem Wahljahr von Anfang an die Themen bestimmt: Mit der Kampagne gegen Missbrauch im Sozialwesen und im Asylwesen, mit jener gegen die sogenannte Ausländerkriminalität, dann mit den Schaf-Plakaten und zuletzt mit dem «Geheimplan gegen Blocher». Die anderen Parteien wurden mit ihren Konzepten von der Öffentlichkeit nur bedingt wahrgenommen. Und am Ende setzte die SVP gezielt auf die Karte Blocher. Dass dann die Konkurrenz Bezug darauf nahm, gereichte der SVP zum Vorteil, weil damit deren Basis zusätzlich mobilisiert wurde.

SP und FDP beklagen sich, mit ihren Themen beim Wahlvolk «schlicht nicht durchgekommen» zu sein. Was machen diese zwei Verliererparteien falsch?

Nachträglich kann man leicht auf Fehler hinweisen, aber im Voraus ist es oft schwierig, das richtige Rezept zu finden. Die SP versuchte anfangs Jahr mit ihren «Gipfelteffen» ihre klassischen Themen zu lancieren, optisch gestaltet unter Zuhilfenahme des Matterhorns. Vermutlich streute sie diese zu breit und hätte sich besser auf ihre Kernkompetenz konzentriert. Auch die FDP präsentierte wohl zu viele Themen und darunter zum Beispiel die EasySwissTax viel zu spät. Im Wahlkampf kann man nichts Neues mehr lancieren, sondern ist darauf angewiesen, bei der Wählerschaft an Bekanntes anknüpfen zu können, das sich quasi mit einem Code abrufen lässt.

Wie weit haben die unterschiedlich grossen Finanzmittel eine Rolle gespielt?

Die Finanzen für den Wahlkampf sind nicht zu vernachlässigen, wenn es darum geht, sich in die öffentliche Diskussion einzubringn. Aber spielentscheidend sind sie nicht: Ein schlechter Wahlkampf lässt sich auch mit viel Geld nicht retten, und umgekehrt braucht ein gutes Konzept nicht zwingend teuer zu sein. Der Wähler ist nicht käuflich. Störend aber ist bei diesem Thema die fehlende Transparenz. Deshalb wäre es zu begrüssen, wenn die Parteien ihre Mittel und deren Herkunft offenlegen würden.

Der Winterthurer FDP-Nationalratskandidat Oskar Denzler stellt fest, seiner Partei fehle zunehmend die Basis. Kann man diese Einschätzung auf die nationale Ebene übertragen? Fehlt es an der Nachwuchsförderung?

Die meisten Parteien haben das Problem, dass es ihnen an genügend Aktivisten fehlt. Und eine Verliererpartei hat natürlich doppelt Mühe, Nachwuchs anzuziehen. Aber die FDP verfügt noch immer über eine breite Personaldecke. Erwähnt seien etwa für den Kanton Bern die junge Nationalrätin Christa Markwalder oder der neu gewählte Christian Wasserfallen (Porträt Seite 7; Red.). Auch ist die FDP in vielen Exekutiven gut vertreten – im Gegensatz gerade zur SVP, die bei kantonalen Regierungswahlen oft ein Personalproblem hat.

Zurück zum Wahlergebnis: Was fällt auf in den einzelnen Kantonen?

Auffallend ist, dass die SVP und die Grünen mit ganz wenigen Ausnahmen flächendeckend erfolgreich sind. Ambivalent ist dagegen die Bilanz der CVP: In den meisten der einstigen katholischen Stammlande ist sie erwartungsgemäss schwächer geworden; die Sitzverluste in Obwalden oder im Jura zeigen dies. In den Agglomerationen und im Mittelland hat sie dafür leicht zugelegt und in Zürich, im Aargau, in Solothurn und in der Waadt Sitze hinzugewonnen. Dies ist das Ergebnis der von Doris Leuthard vor vier Jahren eingeschlagenen Strategie, eine urbanere Partei zu werden. Die FDP bleibt unangefochten in einigen kleinen Kantonen wie Appenzell Ausserrhoden, Uri oder Nidwalden, verliert aber in den meisten anderen Kantonen.

Wie muss man das Ergebnis auf nationaler Eben bewerten, wenn man es auf der Links-rechts-Skala einzuordnen versucht?

Auf Blockebene ändert sich nicht viel, wenn man den Bürgerblock mit den Rechtsparteien dem rot-grünen Lager gegenüberstellt. Innerhalb des bürgerlichen Lagers aber hat sich die Umgruppierung hin zur SVP noch verstärkt.

Heisst das, dass die Polarisierung zwischen links und rechts doch nicht zu Ende geht?

Die Polarisierung setzt sich jedenfalls nicht mehr so fort wie nach den letzten beiden Wahlen, weil jetzt zwischen SVP und SP ein klarer Abstand besteht. Eine Fortsetzung im bisherigen Ausmass würde voraussetzen, dass die Grünen an der Seite der SP mitspielen. Aber die Grünen sind eine eigenständige Kraft mit einem eigenen Kurs, auch wenn sie in vielen Fragen ein ähnliches Abstimmungsverhalten zeigen wie die SP.

Wie geht es nach diesem Wahltag weiter in der Schweizer Politik?

Das hängt zu einem grossen Teil von den Mitteparteien ab, wie FDP und CVP neuerdings auch genannt werden. Der Ball liegt jetzt bei ihnen, können doch im Nationalrat nach diesen Wahlen drei sitzmässig gleich grosse Gruppen unterschieden werden: Rechts die SVP, in der Mitte FDP/CVP und links Rot-Grün. Wenn FDP und CVP einigermassen homogen auftreten, haben sie grosse Gestaltungsmöglichkeiten, zumal sie im Ständerat über die absolute Mehrheit verfügen. Im Nationalrat können sie zusammen von Fall zu Fall mit der SVP oder mit SP und Grünen Mehrheiten bilden. Das setzt aber voraus, dass sie ein eigenständiges Profil entwickeln und sich nicht unter die Hegemonie der SVP begeben.

 

*Werner Seitz ist Autor von mehreren Studien über die Wahlen und die Parteienlandschaft in der Schweiz. Er wohnt in Bern.