Werner Seitz

    «Nationalratswahlen 2003: Frauenliste ja oder nein?»,
    Referat gehalten an der ausserordentlichen Hauptversammlung der SP-Frauen des Kantons Bern vom 14. Mai 2002.   


    Ich möchte Ihnen im folgenden Referat einige Informationen geben, welche die Entscheidfindung für oder gegen eine Frauenliste bei den Nationalratswahlen 2003 erleichtern sollen. Ich gehe dabei in drei Schritten vor:
     
    • Zuerst gebe ich einen kurzen Überblick über die Repräsentation der Frauen im Kanton Bern (Nationalrat, Grosser Rat), namentlich über die Entwicklung in den letzten gut dreissig Jahren und über die parteipolitische Verteilung der gewählten Frauen.
       
    • Darauf werde ich über die Frauen- und Männerlisten reden, welche in der Schweiz seit 1987 mit unterschiedlichem Erfolg angewendet werden. Ich werde eine Bilanz für die Nationalratswahlen ziehen und – erstmals – auch für die Grossratswahlen im Kanton Bern, wo Frauenlisten ebenfalls seit einiger Zeit eingesetzt werden.
       
    • Schliesslich werde ich auf die Ausgangslage für die Nationalratswahlen 2003 im Kanton Bern zu sprechen kommen, und dabei Argumente für und gegen eine Frauenliste der SP vortragen.

     
     
     
    1 Die Repräsentation der Berner Frauen im Nationalrat (1971–1999)

    1.1 Allgemeine Entwicklung der Frauenrepräsentation im Kanton Bern (Nationalratswahlen 1971–1999)

    Tab. 1: Kanton Bern: In den Nationalrat gewählte Frauen und Männer (1971–1999)

    In den siebziger Jahren war der Kanton Bern einer jener Kantone, in denen Frauen mit politischen Karriereabsichten einen äusserst schweren Stand hatten – und dies trotz der Tatsache, dass im Kanton Bern 31 Sitze zu vergeben waren (das sind die zweitmeisten Sitze in der Schweiz). Die ersten zwei Nationalratswahlen nach der Einführung des Frauenstimmrechts (1971, 1975) gingen in Bern nämlich ohne Frauenwahl über die Bühne! Die erste (und damals einzige) Nationalrätin wurde erst 1979 gewählt. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zog Bern dann in Sachen Frauenvertretung im Nationalrat mit dem schweizerischen Durchschnitt gleich.
     

    1.2 Die Frauenrepräsentation im Kanton Bern, nach Parteien (Nationalratswahlen 1971–1999)

    Tab. 2: Kanton Bern: In den Nationalrat gewählte Frauen und Männer (1971–1999)

    Schuld an dieser verspäteten Entwicklung trugen die beiden grossen Parteien SVP und SP, welche bis und mit 1983 in den Nationalratswahlen zusammen jeweils rund zwanzig Mandate eroberten – und diese ausschliesslich mit Männern besetzten. Es war denn auch die kleine FDP, welche 1979 die erste Frau in den Nationalrat schickte (bis heute ist die FDP immer mit einem Frauenmandat im Nationalrat vertreten).
    In den achtziger Jahren schafften es die SP-Frauen, – dank geschlechtergetrennten Wahllisten – im Nationalrat Fuss zu fassen; 1999 erreichten sie Gleichstand mit den Männern. Sie zogen damit mit den Grünen gleich, welche seit 1983 immer mit mindestens 1 Frau im Nationalrat vertreten sind.
    Eine schlechte Falle in Sachen Gleichstellung macht auch heute noch die SVP. Sie ist massgeblich daran beteiligt, dass die Berner Delegation nur einen Frauenanteil von 25% hat und dass die Frauenvertretung eine starke Polarisierung entlang der «links– rechts»?Achse erfährt.
     

    1.3 Vergleich mit den Berner Grossratswahlen 1974–2002

    Tab. 3: Kanton Bern: In den Grossen Rat gewählte Frauen und Männer (1974–2002)

    Betrachten wir die Entwicklung der Zahl der in den Grossen Rat gewählten Frauen und Männer seit der Einführung des Frauenstimmrechts, so stellen wir für die siebziger und achtziger Jahre eine etwas bessere Entwicklung fest – sie verläuft ähnlich wie in der gesamten Schweiz. Seit 1994 werden in den Berner Grossen Rat anteilmässig gar mehr Frauen gewählt als in den Nationalrat und in die anderen kantonalen Parlamente der Schweiz (mit einem Frauenanteil von 30% belegt der Kanton Bern Platz 5 aller Kantone).
    Trotz dem etwas besseren Abschneidens der Frauen ist das parteipolitische Verteilungsmuster dasselbe wie bei den Nationalratswahlen:

    • Bis Mitte der achtziger Jahre gehörte die SP zu den «lahmen Enten»: Noch 1982 fanden sich unter den 52 Gewählten der SP gerade 6 Frauen (Frauenanteil: 12%). Dagegen hatte die FDP bis 1982 absolut gleich viele oder gar mehr Frauen als die SP im Grossen Rat; in Prozenten war die FDP klar frauenfreundlicher als die SP. Mitte der achtziger Jahre veränderte sich die SP in mehrfacher Hinsicht und sie wandte sich neuen grünen und feministischen Themen zu. In der Folge stieg die Zahl der gewählten Frauen der SP deutlich an, und seit 1998 kann mit Fug von Geschlechter-Parität in der SP–Fraktion gesprochen werden (1998: 48%, 2002: 50%). Damit hat sich die SP den Grünen angenähert, welche bereits seit 1994 eine Frauenmehrheit in ihrer Grossrats-Delegation aufweisen.
    • Gesteigert hat sich in den neunziger Jahren auch der Frauenanteil bei der FDP; er liegt jetzt bei 25%.
    • Eine gegenläufige Tendenz weist dagegen die SVP auf, was – da die SVP die mandatstärkste Partei ist – besonders gravierend ist: Mit dem Verlust von 6 Frauenmandaten bei den jüngsten Wahlen ist die SVP gar auf 10% Frauenanteil zurückgefallen; das ist wieder ein Stand wie in den achtziger Jahren!

     
     
    Fazit 
    zu den gewählten Frauen im Kanton Bern (Nationalrat, Grossrat)
    1) Nach einem harzigen Start hat die Frauenvertretung im Kanton Bern (Nationalrat, Grossrat) in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre zum gesamtschweizerischen Durchschnitt aufgeholt. Heute liegt der Frauenanteil im Kanton Bern im Vergleich mit den anderen Kantonen im vorderen Mittelfeld.
    2) Besonders harzig war der Start auch bei der SP. Diese hat nun aber mittlerweile in ihren Delegationen im Nationalrat und im Grossrat Geschlechter-Parität erreicht

     
     
     
     
    2 Die Frauen- und Männerlisten

    2.1 Die Frauen- und Männerlisten bei den Nationalratswahlen 1987–1999
    Es gibt in der Schweiz drei Typen von Frauenlisten:

      1) reine Frauenlisten bürgerlicher Provenienz (in den siebziger Jahren)
      2) feministische Frauenlisten (v.a. in den neunziger Jahren – im Zusammenhang mit den feministischen Parteien)
      3) geschlechtergetrennte Wahllisten (Frauen- und Männerlisten einer Partei); diese kommen am häufigsten vor.


    Im folgenden wird die Rede von diesem dritten Typus der geschlechtergetrennten Wahlliste sein.

    Tab. 4: Nach Geschlecht getrennte Wahllisten bei den Nationalratswahlen 1987–1999

    Nach Geschlecht getrennten Wahllisten gibt es in der eidg. Politik seit den Nationalratswahlen 1987: Damals zogen die FDP-Solothurn und die SP-Bern mit je einer Frauen- und einer Männerliste in den Wahlkampf. Bei den Nationalratswahlen 1991 wurden bereits 6 nach Geschlecht getrennte Wahllisten eingereicht, bei den Nationalratswahlen 1995 je 10 Frauen- und Männerlisten und bei den bei den Nationalratswahlen 1999 waren es gar 12 Frauen- und Männerlisten.
    Bis zu den Nationalratswahlen 1999 wurden 30 solcher geschlechtergetrennte Wahllisten aufgestellt. Dabei stammten mehr als die Hälfte aller Frauenlisten von der SP (16); unter den Kantonen erweist sich Bern als derjenige mit den meisten Frauenlisten (6 = fast 1/4 aller Frauenlisten).
     

    2.2 Erfolg der Frauenlisten bei den Nationalratswahlen (1987–1999)
    Der Erfolg von Frauen-Wahllisten kann hinsichtlich der erhaltenen Stimmen oder hinsichtlich der gewählten Frauen gemessen werde. Nehmen wir letzteres als Kriterium, so war die SP-Bern besonders erfolgreich: Auf ihren Frauenlisten wurden seit 1987 11 Frauen gewählt (gegenüber 18 Männern), was einen Frauenanteil von 38% bedeutet.

    Positiv – oder zumindest neutral – ist die Bilanz auch für die meisten anderen Frauenlisten der SP und für alle Frauenlisten der Grünen. Für die insgesamt 20 Frauenlisten der SP und der Grünen sieht die Bilanz wie folgt aus:

    • Grüne: 3 Frauen, 0 Männer (=100% Frauen)
    • SP: 21 Frauen, 40 Männer (=34% Frauen; Tendenz klar steigend von 1987 bis 1999). Allerdings: Mit 34% ist der Frauenanteil genau gleich gross wie derjenige der gewählten SP-Frauen in der gesamten Schweiz in dieser Periode.


    Klar negativ ist dagegen die Bilanz der 10 bürgerlichen Frauenlisten:

    • Zwischen 1987 und 1999 wurden auf den bürgerlichen Frauenlisten gerade 2 Frauen gewählt (gegen 28 Männer!); das sind 7% Frauen. Diese beiden Frauen schafften den Sprung in den Nationalrat 1999, wovon die eine Frau schon im Nationalrat war (FDP-BE) und die andere Frau bei der SVP-BE kandidierte, welche 8 Mandate erhielt. 1987, 1991 und 1995 wurde dagegen keine einzige Frau auf einer bürgerlichen Frauen-Wahlliste gewählt (wohl aber 12 Männer) .
    Es gibt zwei besonders schlechte Beispiele von bürgerlichen Frauenlisten: Die CVP-SG verlor 1995 ihr traditionelles (seit 1971 bestehendes) Frauenmandat im Nationalrat – wegen der Frauenliste, und bei der CVP-FR wurde 1999 zwar eine Frau in den Nationalrat gewählt, jedoch auf der gemischten CVP-Liste und nicht auf der Frauenliste!
    Aber auch bei der SP hatte die Frauenliste in einzelnen Fällen eine kontraproduktive Wirkung: Bei der SP-ZH (1995) bewirkte sie einen Rückgang der Frauenvertretung von drei auf zwei und ermöglichte Andreas Gross die Wahl in den Nationalrat (mit einer starken Einheitsliste machten die Frauen 1999 ihren Flop wett und traten gleich zu sechst – gegen drei Männer – in den Nationalrat ein). Im Thurgau wurde 1995 die bisherige SP-Nationalrätin Menga Danuser wegen der Frauenliste abgewählt (und durch Jost Gross ersetzt!).
     

    2.3 Die Frauen- und Männerlisten im Kanton Bern (1990–2002)

    Tab. 5: Nach Geschlecht getrennte Wahllisten bei den Berner Grossratswahlen 1990–2002

    Bern scheint eine Hochburg der Frauenlisten zu sein: Genauso wie fast ¼ aller bei den Nationalratswahlen eingereichten Frauenlisten aus dem Kanton Bern stammten (4 SP, 1 FDP, 1 SVP), wurde fast jede 2. Frauenliste (geschlechtergetrennte!) bei den kantonalen Wahlen in Bern eingereicht (13 von 30 kantonalen Frauenlisten).
    Vergleichen wir die Frauenlisten bei kantonalen Wahlen mit jenen der Nationalratswahlen, so können wir deutliche Parallelen feststellen:

    • Die meisten Frauenlisten (7) stammen von den rotgrünen Parteien (4 SP, 2 GFL, 1 PSA); bei diesen waren sie auch am erfolgreichsten (bei den Grünen: 100%), bei der SP: 36%).
    • Relativ beachtlich ist die Bilanz bei der FDP. Auf je zwei geschlechtergetrennten Listen wurden 3 Frauen und 8 Männer gewählt (27%).
    Gerade bei der FDP-Frauenliste zeigte sich bei den jüngsten Grossratswahlen der unheilvolle Effekt, den Frauenlisten haben können: Die Stadt-Berner Frauenliste verlor ein Mandat und die Bisherige Sybille Burger-Bono schied aus; sie wird in der kommenden Legislaturperiode wohl kaum mehr in den Grossen Rat «nachrücken»).
     
     
     
    Fazit 
    zu den Frauenlisten bei den Nationalratswahlen und den Berner Grossratswahlen
    1) Nach Geschlecht getrennte Listen werden v.a. von den rotgrünen Parteien eingesetzt, und haben bei diesen einen gewissen Erfolg. Dieser ist jedoch nicht grösser als bei den Einheitslisten
    2) Schlecht ist dagegen im Grossen und Ganzen die Erfolgsbilanz der Frauenlisten bei den bürgerlichen Parteien. 

     
     
     
     
    3  Zur Ausgangslage im Kanton Bern für die Nationalratswahlen 2003

    Um die Frage der SP-Bern: «Frauenlisten ja oder nein» zu beantworten, ist es nötig, vorgängig das Umfeld auszuloten; dabei muss die folgende Frage beantwortet werden: Wieviele Sitze kann die SP bei den kommenden Nationalratswahlen erwarten?

    3.1 Stärke der SP im Kanton Bern
    Vorausgeschickt seien zwei Fakten:
    1) Aufgrund der zu erwartenden Verteilung der Nationalratssitze auf die Kantone dürfte der Kanton Bern einen Sitz weniger erhalten (26); damit steigt der Stimmenanteil, der aufgebrachte werden muss, um ein sicheres Mandat zu erhalten, auf 3,7%.
    2) Die SP-Bern holte 1999 7 Voll- und 1 Restmandat; das Restmandat fiel an die Frauenliste.

    Tab. 6: Kanton Bern: Parteistärken bei den Grossrats- und Nationalratswahlen

    Bei den jüngsten Grossratswahlen 2002 erzielte die SP mit rund 26% ein ähnlich gutes Ergebnis wie bei den Grossratswahlen 1998; dies ist etwas schlechter als jenes der Nationalratswahlen 1999. Es kann wohl angenommen werden, dass die SP bei den kommenden Wahlen erneut um die 26% erreichen könnte. Über den Daumen gepeilt dürfte diese angenommenen 26% der SP für 7 sichere Mandate reichen; ein achtes Mandat dürfe aufgrund der Listenverbindungen und des Proporzglücks, mit dem grosse Parteien rechnen dürfen, in Reichweite sein.
    Falls jedoch Veränderungen zu erwarten sind, muss eher mit einem Mandatsverlust gerechnet werden als mit einem 9. SP-Mandat – und ein solcher Mandatsverlust dürfte wohl die Frauenliste treffen.
    Nehmen wir an, dass die SP ihre 8 Mandate wird halten können, so stellt sich die Frage, wie diese Mandate auf die Kandidierenden verteilt werden, konkret: ob die 4 Frauenmandate gehalten werden können.
     

    3.2 Wie können die vier SP-Frauen-Mandate gehalten werden?
    Ich sehe grundsätzlich zwei Wege: Die Frauenliste und die Einheitsliste.
    Wovor ich dringend abraten würde, ist die Konstruktion von Regionallisten. Diese bringen – auch für andere Bisherige – eine Unsicherheit ins Spiel, auf die nicht ohne gewichtige Gründe eingegangen werden sollte.

    Was spricht für eine Frauenliste?
    Sie hat sich in der Berner Politlandschaft gut etabliert. Die vielen Berner Listen (nicht nur der SP, sondern auch der Grünen, FDP, SVP, EVP und PSA) zeugen davon.
    Dies gilt insbesondere für die SP-Frauenliste Bern: Ihre Geschichte ist eine symbolträchtige Erfolgsgeschichte. Dank ihr war es möglich, dass 1987 die Alleinvertretung der SP-Männer im Nationalrat gebrochen werden konnte. Seither wurde der Frauenanteil der SP-Bern im Nationalrat kontinuierlich ausgebaut bis zur Parität; alle SP-Nationalrätinnen wurden bisher auf Frauenlisten gewählt!

    Tab. 7: Kanton Bern: Frauenlisten der SP 1987–1999, erhaltene Stimmen nach Gemeindetypen

    Für unsere Fragestellung sind die etwas komischen Soziologie-Begriffe in Tabelle 7 nicht wichtig. Ich möchte mit Tabelle 7 nur die folgende Aussage illustrieren: Seit 1987 hat sich die Frauenliste der SP-Bern kontinuierlich gesteigert – im gesamten Kanton und über alle Gemeindetypen hinweg hat sie an Stimmen gleichmässig zugelegt; es gibt keinen ausgeprägten Stadt-Land-Gegensatz bezüglich der Anwendung dieses Instrumentes.
     

        Noch zum Vergleich:
        Tab. 8: Kanton Bern: NRW99: Kanton Bern Frauenlisten der SP, SVP und FDP, erhaltene Stimmen nach Gemeindetypen
    Was spricht gegen eine Frauenliste?
    Was gegen eine Frauenliste spricht, ist das bekannte Faktum, dass diese verhindert, dass ein zurücktretender Nationalrat durch eine Frau ersetzt werden könnte.
    Betrachtet man die «bisherigen» SP-Männer, so könnte es sein, dass der eine oder andere entweder nicht mehr antritt oder dass er während der kommenden Legislaturperiode zurücktritt. In beiden Fällen würden die SP-Frauen auf einer gemeinsamen Liste davon profitieren.
     
      
    Bisherige SP-Männer: Paul Günter (im Nationalrat seit 1979, mit 1 Unterbruch); Peter Vollmer (seit 1989) Alex Tschäppät (seit 1991) Rudolf Strahm (seit 1991).
    Die bisherigen SP-Frauen sind 1 bzw. 2 Legislaturen im Nationalrat


    Ebenfalls gegen eine Frauenliste spricht, dass ein möglicher Mandatsverlust der SP, der jedoch nicht zwingend ist, die etwas schwächere Frauenliste treffen dürfte.
     
     
     
     

    4 Zum Abschluss: Wie stark ist die Frauenliste verankert?

    Vergleich der Stimmen, welche die SP-Frauen- und die SP-Männerliste 1999 erhalten haben

    Tab. 9: Kanton Bern: Stimmen, welche die SP-Frauen- und Männerliste erhielten (NRW99)

    Gemäss dieser Tabelle erhielt die SP bei den Nationalratswahlen 1999 insgesamt etwas mehr als 2 Mio Stimmen, wovon auf die SP-Frauenliste 950'000 Stimmen kamen und auf die SP-Männerliste 1'050'000 Stimmen. Es gibt also eine Differenz zwischen diesen beiden Listen in der Höhe von rund 100'000 Stimmen – und diese Differenz möchte ich zum Schluss noch etwas beleuchten:
    Als erstes soll analysiert werden, woher diese Differenz zwischen den erhaltenen Stimmen der SP-Frauen- und Männerliste kommt, ob die SP-Männerliste ausserhalb der SP besser mobilisieren konnte, oder innerhalb der SP.

    • Von Nicht-SP-Wahlzetteln erhielt die SP insgesamt rund 250'000 Stimmen (=rund 1/8 aller Stimmen), wobei die SP-Frauenliste und die SP-Männerliste gleich viele Stimmen erhielten: Per saldo panaschierten Nicht-SP-Wähler SP-Frauen wie SP-Männer gleich stark. Es gibt allerdings bei den einzelnen Parteien Unterschiede: Von Grünen-Wahlzetteln erhielten die SP-Frauen mehr Stimmen als die SP-Männer, von den Wahlzetteln der Bürgerlichen und Rechtsparteien gingen jedoch deutlich mehr Stimmen an die SP-Männer.
    • Die weitaus meisten der 2 Mio Stimmen, welche die SP erhielt (nämlich: 1'750'000 Stimmen), stammten von SP-Wahlzetteln. Bei diesen können wir zwischen den unveränderten und veränderten Wahlzetteln unterschieden: Ein Blick auf die unveränderten Wahlzettel zeigt, dass hier die SP-Frauen fast genau gleich abschnitten wie die SP-Männer: Sie erhielten von 14'175 Wahlzetteln 382'725 Stimmen, die SP-Männer von 14'315 Wahlzetteln 386'505 Stimmen.
    • Die 100'000 Stimmen, welche die SP-Männer mehr als die Frauen erhielten, stammten somit von den veränderten SP-Wahlzetteln: Die SP-Männerliste erhielt 24'581 veränderte Wahlzettel, was ihnen 550'000 Stimmen einbrachte, die SP-Frauenliste dagegen erhielt nur 19'499 veränderte Wahlzettel (und von diesen 440'000 Stimmen).


    Was sagt nun diese Panaschierstatistik?
    Sie zeigt auf, dass es bei den Nationalratswahlen 1999 im Kanton Bern 76'215 Leute gab, die eine SP-Liste einlegten: bei 33'674 war es die SP-Frauenliste, bei 38'896 die SP-Männerliste. Die Panaschierstatistik zeigt damit – und das ist für uns von besonderem Interesse –, dass die SP-Frauenliste innerhalb der SP-Wählerschaft noch weniger gut verankert ist als die SP-Männerliste; ihr fehlen rund 5'000 WählerInnen. Dies ist ein Nachteil der SP-Frauen, der wettgemacht werden muss, – mit geeigneten Massnahmen.
     
     
     

    Résumé

    keine Regionalliste, denn diese schaden den Frauenlisten

    Es gibt sowohl Gründe für die Weiterführung der geschlechtergetrennte Wahllisten wie auch für eine Einheitsliste

    • Für die Weiterführung der Frauenliste spricht ihre Geschichte, die eine Erfolgsgeschichte ist und politische Identität stiften kann (es wurden bisher alle SP-Frauen im Kanton Bern auf Frauenlisten in den Nationalrat gewählt), sowie die stete Steigerung an erhaltenen Stimmen und Mandaten. Gelingt es der Frauenliste, diesen Hintergrund symbolisch aufzunehmen und auszustrahlen (die Frauenliste als etwas Kämpferisches und Erfolgreiches), dürfte dies bei den Wahlen weiterhin mobilisieren. 
      Dies gilt es abzuwägen gegen die Möglichkeit, dass das Konzept der Frauenliste auch Staub ansetzen kann.
    • Zeit für die Einheitsliste! Das gute Abschneiden der SP-Frauen bei den Nationalratswahlen 1999 und den jüngsten Grossratswahlen kann aber auch dahingehend interpretiert werden, dass die SP-Frauen elektoral mit den SP-Männern gleichgezogen haben (die SP von heute ist nicht mehr zu vergleichen mit der SP der 70er Jahre), dass es also Zeit sei für die Einheitsliste.
      Für eine Einheitsliste spricht auch die zu erwartenden personellen Veränderungen in der SP-Männer-Delegation.
    Was auch immer entschieden wird:  Parität wird nicht geschenkt und ist auch nicht ein für allemal hergestellt. So ist es wichtig – auch angesichts des noch bestehenden stimmenmässigen Rückstandes der SP-Frauen – dass die SP intelligente flankierende Massnahmen (wie z.B. eine Ständeratskandidatur) sowie einen zusätzlichen Frauenwahlkampf zugunsten der Spitzenkandidatinnen durchführt.

     

     

    siehe auch den Bericht in der Berner Zeitung, 27. Juni 2002 (pdf)