Werner Seitz*
 

Berner Kantonswahlen 1994:
«Die Wahlen im Kanton Bern: In Bern nichts Neues?»,
in Bresche, Juni 1994, S. 7–12.



 
Die Bernerinnen und Berner haben sich am 17. April 1994 bei einer Stimmbeteiligung von 33,5 Prozent deutlich für parteipolitische Stabilität ausgesprochen: Bei den Wahlen in die Kantonsregierung wurde die bisherige Zauberformel «3 SVP – 2 FDP – 2 SP» bestätigt und das 200-köpfige Kantonsparlament, der Grosse Rat, erfuhr nur eine geringe parteipolitische Veränderung: Hier stehen leichten Verlusten der liberal-grünen Freien Liste leichte Gewinne der Autopartei gegenüber. Dieses Ergebnis kam für die meisten Interessierten nicht unerwartet, genauso wie das Faktum, dass sich die Frauenrepräsentation in Regierung und Parlament etwas verbesserte. Im Kanton Bern sitzen nun zwei Frauen in der Regierung – dies war ein schweizerisches Novum (nur eine Woche später jedoch zog Appenzell-Ausserrhoden mit ebenfalls zwei gewählten Regierungsrätinnen gleich). Im Grossen Rat steigerte sich der Frauenanteil um 8 Prozentpunkte auf 25,5 Prozent.

 

1 Regierungsratswahlen

Nach dem Urnengang vom 17. April 1994 bleibt die Berner Regierung fest in bürgerlicher Hand. Das RotGrünMitte(RGM)-Bündnis, bestehend aus SP, den diversen Grünen und dem LdU, hat sein Wahlziel, die Mehrheit zu erobern, klar verfehlt; es gelang ihm einzig, die beiden bisherigen SP-Mandate zu halten.

Dieser Wahlausgang hat den RGM-Kräften wieder einmal vor Augen geführt, wer im Kanton Bern – aufgrund der breiten WählerInnenbasis und abgestützt durch das Majorzwahlsystem – das Sagen hat. Engagierte RGM-Leute, welche auf einen Wechsel der parteipolitischen Mehrheiten in der Regierung oder zumindest auf einen RGM-Mandatsgewinn gehofft hatten, waren über diesen Wahlausgang enttäuscht – und einige von ihnen suchten nach Erklärungsmöglichkeiten: Die Bürgerlichen seien kontradiktorischen Gesprächen ausgewichen, hiess es etwa, oder jene PolitologInnen seien schuld, welche die parteipolitische Stabilität bzw. die Unmöglichkeit eines rot-grünen Wahlsieges öffentlich prognostiziert hatten und damit potentiell RGM-Wählenden demotiviert hätten.

Kontinuität obsiegt
Der damit angesprochene Berner Politologe Hans Hirter, der bereits bei der Eröffnung des eigentlichen Wahlkampfes parteipolitische Stabilität vorausgesagt hatte, begründete im Bund vom 12. April 1994 seine «defätistische» Prognose folgendermassen:

  • Politische Machtwechsel bzw. Wahlsiege der Opposition finden bei Regierungswahlen (Majorzwahlen) sehr selten – und am ehesten noch in Städten – statt
  • Die Berner Regierungsratswahlen sind Partei- und damit auch Blockwahlen.
Zur Begründung der ersten Feststellung verwies Hirter auf die rund 250 kantonalen Regierungswahlen, welche seit 1950 stattgefunden haben: Nur gerade zweimal erfolgte bei diesen ein politischer Machtwechsel: 1986 in Bern und 1989 in Neuenburg. Bei der zweiten Feststellung stützte er sich auf eine Umfrage des Forschungszentrums für schweizerische Politik, an dem er als Projektleiter und Lehrbeauftragter arbeitet: Bei den Berner Regierungsratswahlen 1990 hatten 85 Prozent der Wählenden erklärt, sie seien SympathisantInnen von bestimmten Parteien und hätten die Vorschläge ihrer Partei befolgt; allfällige Abweichungen beschränkten sich auf das Streichen von Kandidaturen, gegnerische Kandidierende wurden jedoch nicht panaschiert. Unberechenbar bzw. nicht-blockgebunden sind somit bei den Regierungsratswahlen nur gerade ein Sechstel der Wählenden – und das ist für Hirter zu wenig, um vernünftigerweise mit einem Regierungswechsel rechnen zu können.

Bürgerliches 5er Gespann klar in Führung
Die Nachanalyse der Ergebnisse der Regierungsratswahlen bestätigt Hirters Aussage betreffend die Blockwahlen deutlich: Das bürgerliche Fünfer-Gespann (3 SVP, 2 FDP), welches mit einer Einheitsliste angetreten war, belegte geschlossen und mit klarem Vorsprung die ersten fünf Plätze. Zwischen dem Erstplazierten und dem Viertplazierten klafften knappe 4'000 Stimmen (124'000/120'000); der neue Quereinsteiger der SVP lag 10'000 Stimmen zurück, es reichte ihm aber immer noch locker für den 5. Platz. Auf den Plätzen 6 und 7 landeten die beiden Bisherigen der SP, Dori Schaer und Hermann Fehr; auch sie erhielten beide fast gleich viele Stimmen (95'000).

Unerwartet gut – mit nur 5'000 Stimmen weniger – schnitt der grüne Nationalrat Ruedi Baumann ab; es reichte ihm aber – als Überzähligem – nicht zur Wahl. Baumann hatte seine Chance unter anderem darin gesehen, dass er selber Bauer und profilierter Landwirtschaftspolitiker ist, während die SVP als traditionelle Bauernpartei erstmals seit ihrem 75jährigen Bestehen keinen mit der Landwirtschaft verbundenen Kandidaten, sondern zwei Juristen und eine Juristin für die Wahl nominiert hatte. Baumann brachte mit seinem breit geführten Wahlkampf allerdings nicht die Bürgerlichen ins Zittern, sondern den Sozialdemokraten Hermann Fehr, der auf derselben Liste kandidierte. Deutlich zurück auf Platz 9 lag die Sozialdemokratin Ruth-Gaby Vermot-Mangold; sie hatte vor allem feministische und alternative Kreise anzusprechen versucht.

Blocktreue auf beiden Seiten
Die Blocktreue spielte in sämtlichen Amtsbezirken und in beiden politischen Blöcken. Da sich die parteipolitischen Verhältnisse entlang der Stadt-Land-Achse ändern, führte die Blocktreue dazu, dass einerseits in 22 von 26 Amtsbezirken die fünf Bürgerlichen geschlossen die ersten fünf Plätze belegten, dass aber andrerseits in den Städten Bern und Biel die Kandidierenden der rot-grünen Liste – ebenfalls geschlossen – auf die ersten vier Plätze kamen. Die neu gewählte SVP-Nationalrätin Elisabeth Zölch, welche insgesamt am zweitmeisten Stimmen erhielt, erreichte in Bern und Biel nicht einmal einen Platz unter den ersten sieben; sie wäre hier also nicht gewählt worden. Der Gegensatz zwischen dem bürgerlichen und dem rot-grünen Lager ist also auch ein Stadt-Land-Gegensatz. Dies war schon 1990 augenfällig.

Heisst dieses Wahlergebnis nun, dass die RGM-Kräfte im Kanton Bern ihre Hoffnungen auf eine RGM-Mehrheit in der Berner Kantonsregierung begraben sollen? Für die nächste Zeit schon! Weder die parteipolitischen und schon gar nicht die staatsrechtlichen Bedingungen geben Anlass zu solchen Hoffnungen. Das hat schon 1990 die brutale Abwahl der grünen Regierungsrätin Leni Robert, der Hoffnungsträgerin der Wende im Kanton Bern von 1986 gezeigt (vgl. dazu den Kasten), und die jüngsten Wahlergebnisse bestätigen dies erneut. Natürlich soll jede Kandidatur auch mit Hoffnungen verbunden sein; wird jedoch derart penetrant auf die Einlösbarkeit solcher Hoffnungen gepocht, wie dies teilweise in rotgrünen Kreisen geschah, kommt dies einem Spiel mit den Gefühlen und Hoffungen von Bürgerinnen und Bürgern – wider besseres Wissen – gleich. Die Wahlen haben jedoch auch deutlich gezeigt, dass in den Städten Bern und Biel eine Mehrheit hinter den RGM-Parteien steht: Hier die politischen Mehrheiten zu halten bzw. zu erreichen und links-grüne Postulate umzusetzen, dafür lohnt es sich, Hoffnungen anzusprechen und zu mobilisieren.
 
 


Berns historische Wende von 1986

Der Kanton Bern wird seit 1922 von SVP und FDP regiert; seit 1938 ist auch die SP als Juniorpartnerin in der Regierung. Vier Jahrzehnte lang hiess die Zauberformel «4 SVP – 3 SP –  2 FDP». Seit 1989 die Zahl der Regierungsmitglieder von 9 auf 7 reduziert wurde, lautet die neue Zauberformel «3 SVP – 2 FDP – 2 SP». 

Diese Zauberformel wird letztlich von der stärksten Partei, der SVP, bestimmt – man nennt dies den «freiwilligen Proporz». Das Majorzsystem und die starke Verankerung der SVP in der ländlichen Bevölkerung gibt der SVP die Möglichkeit, jederzeit auf die Zauberformel Einfluss zu nehmen. Wie dies geschehen kann, demonstrierte sie bei der historischen Wahl von 1986, als im Zuge der Berner Finanzaffaire das traditionelle bürgerliche Wahlbündnis von der FDP in Frage gestellt wurde, indem sich die kleine FDP erfrechte, mit einer eigenen Liste an den Regierungsratswahlen teilzunehmen. Die SVP reagierte darauf folgendermassen: Sie konzentrierte sich im ersten Wahlgang darauf, mindestens vier ihrer Kandidaten durchzubringen, was sie spielend schaffte. Darauf zog sie sich vom Wahlgeschehen zurück und liess die FDP allein mit der grünen Freie Liste um die restlichen zwei Mandate kämpfen. Die SVP-WählerInnen folgten ihrer Partei und liessen die FDP im Regen stehen: Die Stimmbeteiligung betrug magere 22 Prozent. Da die Freie Liste auf die Unterstützung aller rot-grünen Kräfte zählen konnte – besonders der SP, welche ihre drei Mandate bereits im ersten Wahlgang gesichert hatte – brachte sie sowohl Leni Robert wie auch Benjamin Hofstetter in die Berner Regierung und konnte damit die erste und bisher einzige rot-grüne Regierungsmehrheit im Kanton Bern mitbegründen. Die FDP dagegen war für vier Jahre aus der Regierung verbannt.

Vier Jahre später trat die FDP, welche diese Lektion begriffen hatte, wieder gemeinsam mit der SVP an, und das «Maleur von 1986» wurde korrigiert: Leni Robert und Benjamin Hofstetter wurden durch zwei Vertreter der FDP ersetzt. Bei der Abwahl der beiden Grünen zeigte sich auch ein Effekt innerhalb des rot-grünen Bündnisses: Die grosse SP hatte eindeutige Platzvorteile gegenüber den kleineren Grünen, was unter anderem dazu führte, dass die profilierteste Person in der Berner Regierung von 1986/90 – Leni Robert – durch einen wenig profilierten Neuen, Hermann Fehr, SP-Nationalrat und Stadtpräsident von Biel, verdrängt wurde. 
 


 

2 Die Grossratswahlen

Wie bei den Regierungsratswahlen war auch bei den Grossratswahlen Beständigkeit und politische Konstanz angesagt. Die Stärkeverhältnisse im 200-köpfigen Kantonsparlament änderten sich nur wenig. Ausgenommen die Freie Liste, welche 2,3 Prozentpunkte verlor und die Autopartei, welche 2,1 Prozentpunkte zulegte, bewegten sich die Veränderungen pro Partei zwischen 0,1 und 0,9 Prozentpunkten.

Parteistärken und Mandatsverteilung
Die dominierenden zwei bürgerlichen Parteien FDP und SVP erhielten zusammen knapp 50 Prozent aller Stimmen und brachten es auf 106 der 200 Mandate im Grossen Rat. Wie schon 1990 besitzt die SVP 71 Mandate und die FDP 35 Mandate. Der gemässigte Kurs der Berner SVP (SVP-Präsident Albrecht Rychen: «Wir wollen keine Zürcher Verhältnisse. Wir bleiben anständig») hat sich ausbezahlt: Die SVP hat ihren WählerInnenanteil nach dem Einbruch im Zuge der Finanzaffaire (1986) bei etwas über 30 Prozent stabilisieren können. Politisch bedeutungslos – nach dem Weggang des Nordjuras (1978) und des Laufentals (1994) – ist die CVP.

Zeichnete sich der Bürgerblock sowohl in bezug auf die erhaltenen Stimmen wie auch die erhaltenen Mandate durch Stabilität aus, so sind bei der SP und der grünen Freien Liste leichte Verluste festzustellen: Die SP vermochte sich zwar stimmenmässig auf dem Niveau der letzten Wahlen zu halten, sie musste jedoch 3 Mandate abgeben (dies war gewissermassen eine Korrektur des Proporzglücks von 1990). Dagegen verlor die Freie Liste 2 Mandate und über 2 Prozentpunkte WählerInnenanteile. Die Freie Liste bleibt jedoch mit 10 Mandaten und einer Parteistärke von 6 Prozent noch die viertstärkste Partei im Grossen Rat.

Eindrücklich sind die Verschiebungen im grünen Lager, die einer Flurbereinigung gleichkommen: Der jahrelange Wettlauf zwischen der Grüne Partei Bern (GPB) und dem Grünen Bündnis (GB) wurde zugunsten des GB entschieden: Dieses konnte der GPB ihre beiden Mandate abnehmen und hat nun alleine Fraktionsstärke (5 Mandate). Das GB erreichte eine kantonale Parteistärke von 2,3 Prozent (+ 0,5 Punkte); im Gegensatz zur Freien Liste ist es weitgehend auf die Städte bzw. städtischen Agglomerationen beschränkt: 3 Mandate wurden im Wahlkreis der Stadt Bern erobert, 1 Mandat in Biel und 1 in Bern-Land (Agglomeration der Stadt Bern). Die GPB verabschiedet sich mit ihren Mandatsverlusten aus dem kantonalen Parlament, in welchem sie seit 1974 (als POCH) bzw. seit 1978 (als DA) vertreten gewesen war (vgl. auch den Kasten zu den Grünen).

Gewinne rechts aussen
Als die relativen Gewinnerinnen bei den Berner Grossratswahlen gelten die EVP und die kleinen Rechtsaussenparteien. Die EVP, welche ihre Listen auf dem Land mit der christlich-fundamentalistischen Rechtspartei EDU verbunden hatte, konnte ihre Parteistärke um 0,6 Prozentpunkte auf 4 Prozent steigern und ihre Mandatszahl von 4 auf 7 vergrössern. Sie erreichte damit dasselbe Niveau, das sie bereits in den achtziger Jahren hatte. Der Berner Landesring, einst zusammen mit dem St. Galler LdU aufmüpfig und erfolgreich für ökologische Postulate kämpfend, befindet sich nun wie die nationale Partei auf der Verliererstrasse. Die Parteistärke von 1,4 Prozent reichte gerade noch für 2 Mandate.

Im Aufwind befinden sich dagegen die Parteien des rechten Spektrums, vor allem die Autopartei (AP). Die AP fuhr gleich sechsspännig vor, nachdem sie bisher nur über 1 Mandat verfügt hatte. Ihre Mandate gewann sie in den Städten, bzw. städtischen Agglomerationen (2 in der Stadt Bern, 1 in Bern-Land, 1 in Biel, 1 in Thun und 1 in Fraubrunnen). Die AP versuchte sich in ihrem Wahlkampf mit einem Stil à la SVP-Zürich (AP-Wahlinserat: «Sau-Bärn mit seinen linken Bauverhinderern und Umweltfaschisten»). Der Wähleranteil stieg weniger imposant als die Mandatszahl: er verdoppelte sich von 1,9 auf 4 Prozent. Die EDU, welche in Bern seit den siebziger Jahren religiös-fundamentalistischen Kreisen als politisches Sprachrohr dient und den moralischen Verfall des Abendlandes aufhalten will (Referendum gegen das Sexualstrafrecht, gegen AIDS-Prophylaxe-Kampagne), konnte ihre Wählerbasis weiter ausbauen; die 3,2 Prozent Wählerstimmen reichten für 3 Mandate. Die Schweizer Demokraten (SD, ex Nationale Aktion NA) wiederum konnten zwar ihre Parteistärke von 1990 halten (2%), verloren aber 1 Mandat.

Auch wenn in den Zeitungskommentaren allgemein darauf hingewiesen wurde, dass von einem Rechtsrutsch nicht die Rede sein kann – die drei Rechtsparteien (AP, SD, EDU) steigerten ihren Wähleranteil von 6,1 Prozent auf 9,2 Prozent – muss die Entwicklung in einem etwas grösseren zeitlichen Rahmen als nur jenem einer Legislaturpreiode doch zu denken geben: Seit 1978 wächst das rechte Potential kontinuierlich (1978: 1,7%); mittlerweile ist es grösser als jenes sämtlicher grünen Parteien zusammen (GB, GP, Freie Liste).

Besondere Aufmerksamkeit verdienen im Kanton Bern die separatistischen Kräfte, welche sich nach der Abtrennung der nordjurassischen Bezirke bzw. der Gründung des Kantons Jura (1978) und dem Wechsel des Laufentals zu Basel-Landschaft (1994) nur noch auf die drei südjurassischen Bezirke (Moutier, Courtelary, La Neuveville) beschränken. In diesen drei Bezirken war wie im übrigen Kanton Stabilität angesagt: Es wurden 9 Antiseparatisten (FDP, SVP, SP) und 3 Separatisten (1 Vertreter der bürgerlichen Entente von PDC/PLJ und 2 PSA) gewählt. Die 3 Separatisten werden wie bis anhin mit den Grünen die «grün-autonomistische Fraktion» bilden.

Die gewählten Frauen
Mehr Aufmerksamkeit als die eher geringen parteipolitischen Verschiebungen im Berner Grossen Rat fanden in den politischen Kommentaren die personellen Veränderungen, besonders in geschlechterspezifischer Hinsicht: Die Zahl der gewählten Frauen stieg von 35 auf 51 bzw. von 17,5 Prozent auf 25,5 Prozent. Damit kann auch in Bern noch von einem – wenn auch abgeschwächten – Brunner-Effekt gesprochen werden; er erreichte jedoch bei weitem nicht mehr jenes Ausmass wie dies unmittelbar nach der Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat der Fall gewesen war: Im Aargau stieg der Frauenanteil damals um 13 Prozentpunkte (auf 31,5%), in Solothurn gar um 23,6 Prozentpunkte (auf 34,7%) und in Neuenburg um 13,9 Prozentpunkte (auf 27,8%). Mit einem Frauenanteil von 25,5 Prozent liegt der Kanton Bern im Vergleich zu den anderen 25 Kantonen an siebter Stelle: Grössere Frauenanteile weisen die Kantone Genf (36%), Solothurn (34,7%), Aargau (31,5%), Basel-Stadt (29,2%), Neuenburg (27,8%) und Basel-Landschaft (27,4%) auf.

Nach Parteien differenziert zeigt sich im Berner Grossen Rat 1994 dasselbe Bild wie in fast allen kantonalen Parlamenten und im Nationalrat: Die weitaus meisten Frauen gehören zu den Parteien des rot-grünen Spektrums, obwohl diese bedeutend weniger Mandate innehaben als die bürgerlichen Parteien. Im Berner Grossen Rat sind 45 Prozent der gewählten Frauen Sozialdemokratinnen, 15,6 Prozent Grüne (GB, JB/FL) und 5,9 Prozent Mitglieder von LdU/EVP; 21,6 Prozent aller Grossrätinnen gehören der SVP an und 11,8 Prozent der FDP. Die parteipolitische Strukturierung der Frauenrepräsentation zeigt sich noch deutlicher, wenn wir die Anteile der gewählten Frauen innerhalb ihrer Partei betrachten: Am meisten Grossrätinnen hat – abgesehen vom LdU mit 100 Prozent (2 Frauen) – das GB (80%), gefolgt von der SP (42,5%) und von JB/FL (40%). 17,1 Prozent beträgt der Frauenanteil bei der FDP, 15,5 Prozent bei der SVP und 14,3 Prozent bei der EVP. Die übrigen Parteien – CVP, SD, EDU, AP und PSA – sind ausschliesslich durch Männer im Grossrat vertreten.

Diesem Aufbruch der Frauen im Berner Grossen Rat entspricht übrigens das Faktum, dass keine einzige Frau abgewählt wurde bzw. dass sämtliche 21 nicht mehr gewählten Grossräte Männer waren (7 SP, 5 SVP, 2 FDP, 3 FL, 1 LdU, 1 AP, 1 GPB und 1 SD).

Die Wahlergebnisse in der Stadt Bern
Die Berner Grossratswahlen 1994 sind die ersten Wahlen seit der Wende im Dezember 1992, als die RGM-Parteien in Regierung und Parlament die Mehrheit erhielten. Sie galten daher auch als erster Gradmesser der politischen Kräfteverhältnisse in der Stadt Bern.
Vergleichen wir die Ergebnisse der Grossratswahlen, bei denen im Wahlkreis Stadt Bern 29 Mandate zu besetzen waren, mit jenen der letzten Stadtratswahlen, in denen um 80 Mandate gekämpft wurde, können wir festhalten, dass die Veränderung zwischen den Blöcken in der Stadt Bern nur gering waren:

  • RGM kann sich in der Stadt Bern weiterhin auf eine – allerdings noch knapper gewordene – Mehrheit der Wählenden abstützen (50,9%); 1992 waren es 51,4 Prozent. Bei beiden Blöcken können wir ferner eine leichte Tendenz zur Mitte feststellen.
  • Innerhalb des RGM-Bündnisses stehen bei den Grossratswahlen 1994 leichten Verlusten der Grünen und der SP leichte Gewinne des LdU gegenüber. Das GB legte zwar 1,7 Prozentpunkte zu, dies genügte jedoch nicht, um sowohl die Verluste der GPB (–0,9%) wie auch die Stimmen der JA! (Junge Alternative), welche diesmal auf den Listen von GB und JB/FL kandidierte, und der PdA, welche nicht antrat, zu kompensieren; das linke grüne Segment verlor so insgesamt 1,1 Prozentpunkte. Die SP war bei diesen Wahlen um 0,6 Prozentpunkte schwächer als im Dezember 1992. Zusammen verloren die rot-grünen Parteien in der Stadt Bern somit 1,7 Prozentpunkte. Dadurch, dass der LdU entgegen dem nationalen und kantonalen Trend – in der Stadt Bern 0,5 Prozentpunkte zulegte, und auch die Freie Liste, die eigentliche Verliererin im gesamten Kanton, um 0,8 Prozentpunkte stärker war als 1992, betrugen die Verluste des RGM-Blocks nur noch 0,5 Prozentpunkte.
  • Ebenfalls – und etwas stärker – war die Verschiebung zur Mitte im Block der Bürgerlichen und Rechten: Sämtliche Rechtsparteien – auch die AP – verloren gegenüber den Stadtratswahlen insgesamt 3 Prozentpunkte; dagegen legten die FDP und SVP zusammen 3,4 Prozentpunkte zu. Dies kann wohl als Absage der bürgerlichen Wählenden an den unsäglichen Blocher-Polteri-Stil verstanden werden.
Vergleichen wir die Ergebnisse der Grossratswahlen 1994 mit jenen der Grossratswahlen von 1990, so hat das RGM-Bündnis 1994 in der Stadt Bern 2,9 Prozentpunkte verloren; 3,1 Prozentpunkte gab die Freie Liste ab, während die übrigen RGM-Parteien Gewinne oder Verluste von höchstens 0,2 Prozentpunkte aufweisen. Diesen Verlusten des RGM-Bündnisses entsprechen Gewinne von 1,7 Prozentpunkten bei den Bürgerlichen und von 1,2 Prozentpunkten bei den Rechtsparteien.

Die Mehrheit schrumpft
Ob die Stadtratswahlen 1992 oder die Grossratswahlen 1994 als Vergleichsgrösse genommen werden, es bleibt dabei: Die Mehrheit des RGM-Bündnisses in der Stadt Bern ist schrumpfend und nun bereits hauchdünn. Versuchen wir die Gründe des Stimmenverlustes zu eruieren, können wir aufgrund der letzten beiden Abstimmungen über das Budget der Stadt Bern – eine Nagelprobe für RGM – feststellen, dass der Rückhalt von RGM in zwei Quartieren besonders schwach ist: im Kirchenfeld und in Bümpliz. Ist das Verhalten des Kirchenfeld, welches grossmehrheitlich bürgerlich ist, selbstredend, so muss das verstärkte «Abdriften» der Arbeiterhochburg Bümpliz weg von RGM zu denken geben: Im Dezember 1992 hatten noch 49,4 Prozent der BümplizerInnen eine Partei des RGM-Bündnisses gewählt, dem letzten Budget aber stimmten nur noch 38,8 Prozent zu. Soll RGM in der Stadt Bern eine längerfristige Perspektive haben, so müssen nun ernsthafte Überlegungen angestellt werden, wie RGM und Bümpliz einander wieder näher kommen.
 
 


Die Grünen in Bern

Bis anhin leistete sich Bern den Luxus, drei grüne Parteien zu haben, welche sich in der Stadt Bern seit geraumer Zeit auf ein WählerInnenpotential von 18 Prozent abstützen können. Die Unterschiede zwischen diesen Parteien sind teilweise ideologischer Art; sie sind aber mindestens zu einem gleich grossen Teil auch durch ihre unterschiedliche historischen Entwicklungen, durch «alte Geschichten» zu erklären. 

Die grösste elektorale Stärke hat die Formation Junges Bern / Freie Liste (JB/FL), welche 1991 durch die Fusion des Jungen Bern mit der Freien Liste entstand. Die Freie Liste war 1983 von bürgerlichen DissidentInnen gegründet worden, trat 1984 der GPS bei und war 1986 die grosse Profiteuse im Zuge der Berner Finanzaffaire; sie stellte 1986–1990 zwei Berner RegierungsrätInnen. Ihre meisten Wählenden fand die Freie Liste auf dem Land, nicht in der Stadt Bern. Dort war das grün-liberale Terrain bereits vom «Jungen Bern» besetzt, einer in den fünfziger Jahren gegründeten Gruppierung mit nonkonformistischem Anstrich (Klaus Schädelin und Mani Matter, aber auch der heutige FDP-Nationalrat Jean-Pierre Bonny und alt NA-Nationalrat Valentin Oehen waren einmal in ihren Reihen). Das Junge Bern war meistens in der Berner Stadtregierung vertreten. Gegenwärtig stellt JB/FL 4 Personen im Nationalrat; in der Stadt Bern ist sie seit 1988 mit Joy Matter als Erziehungsdirektorin vertreten.

Das Grüne Bündnis (GB) wurde 1987 von der Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP; ehem. RML) und Teilen der POCH sowie anderen alternativen Kräften gegründet. Das GB unterscheidet sich dadurch von den anderen grünen Formationen, dass es gleichwertig zu den ökologischen und feministischen Aspekten auch den soziale Aspekt betont. Nachdem 1991 das Projekt eines links-grünen nationalen Verbundes – aufgrund des elektoralen Misserfolgs – scheiterte, steht das GB ohne eigentliche nationale Perspektive da. Es teilt dieses Schicksal mit einigen linksalternativen Schwesterparteien (in ZH, ZG und JU), welche ebenfalls – im Gegensatz zum nationalen Misserfolg – auf kantonaler und kommunaler Ebene bemerkenswerte Erfolge aufweisen. In der Stadt Bern ist das GB die viertstärkste Partei und stellt mit Therese Frösch die Finanzdirektorin.

Die Grüne Partei Bern (GPB) entstand 1990 durch Fusion eines Teils der POCH-Bern mit der Demokratischen Alternative (DA). Die Demokratische Alternative, 1976 als radikaldemokratische Gruppe gegründet, hatte sich namentlich als hartnäckige Kritikerin der Wachstums- und Mobilitätsgesellschaft profiliert und beherrschte die parlamentarische und juristische Kleinarbeit meisterlich. Sie initiierte ferner den ersten nationalen Zusammenschluss der Grünen Anfang der achtziger Jahre und trat 1986 der GPS bei. Im Gegensatz zum GB, welches mit der Fusion der beiden etwas serbelnden 68er Parteien SAP und POCH eine neue politische Dynamik in Gang setzen konnte, vermochte die GPB mit ihrer Fusion nicht einmal, ihren elektoralen Abstieg aufzuhalten. Nach den Grossratswahlen von 1994 ist die GPB nur noch mit 1–2 Mandaten in den kommunalen Parlamenten der Stadt Bern und einiger Berner Agglomerationsgemeinden vertreten.
 


 

 

* Werner Seitz, 1954, Politologe, leitet am Bundesamt für Statistik den Bereich «Politik» und ist Mitglied der Beratungsgruppe der RGM-Parteien in der Stadt Bern.