Werner Seitz 

    «Nationalratswahlen 1999: Ohne Eingriffe bleiben nur die kleinen Schritte»,
    in NORA. Die Frau in Leben und Arbeit, 1999, Nr. 1, S. 4–6.


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    Wieviele Frauen werden bei den Nationalratswahlen 1999 gewählt? Eine seriöse Prognose kann nicht gestellt werden, dazu ist das schweizerische Proporzwahlsystem zu komplex: Die 26 Wahlkreise mit ihrer unterschiedlicher Grösse (zwischen 1 und 34 Sitzen), die Möglichkeiten der Parteien, ihre Listen zur optimalen Stimmenauswertung miteinander zu verbinden, und schliesslich die Möglichkeiten der Wählenden, ihre Wahllisten individuell zu verändern, erschweren eine Prognose über die Zahl der 1999 gewählten Frauen. Eine Analyse der Entwicklung der Frauenrepräsentation in den verschiedenen politischen Institutionen seit den letzten Nationalratswahlen von 1995 kann jedoch einige Trends aufzeigen.

    Zuerst ein Blick zurück: Die Nicht-Wahl von Christiane Brunner in den Bundesrat im März 1993 stellt nicht nur für die rot-grün-feministischen Kräfte einen Meilenstein dar (Stichwort: «eidg. Quoten-Initiative»), sie markiert auch in der politisch interessierten Öffentlichkeit und bei den bürgerlichen Parteien eine Zäsur: Von nun an war die Untervertretung der Frauen in den politischen Institutionen ein Thema von allgemeinem Interesse, um das die Medien nicht mehr herum kamen, und die bürgerlichen Parteien fühlten sich mit ihren wenigen Frauen etwas blossgestellt.
     
     

      Abkürzungen der Parteien
       
      FDP  Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz
      CVP  Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz
      SPS Sozialdemokratische Partei der Schweiz
      SVP  Schweizerische Volkspartei
      LPS  Liberale Partei der Schweiz
      PdA  Partei der Arbeit der Schweiz
      FGA  Feministische und grün-alternative Gruppierungen (Sammelbegriff)
      GPS  Grüne Partei der Schweiz
      SD  Schweizer Demokraten
      EDU  Eidgenössisch-Demokratische Union
      FPS  Freiheitspartei der Schweiz
      Lega  Lega dei ticinesi

     

    DIE NATIONALRATSWAHLEN 1995
    Im Vorfeld der Nationalratswahlen 1995 herrschte unter den bürgerlichen Bundesratsparteien Konsens, dass ihre Frauenvertretung im Nationalrat verbessert werden sollte. Ihre Zielvorgaben für Frauen auf den Wahllisten bewegten sich zwischen 30% und 60%. Diese Absichtsbekundungen wurden grösstenteils umgesetzt: Auf den Listen der FDP erreichten die Kandidatinnen gesamtschweizerisch einen Anteil von 29,5% und bei der CVP gar fast 37%. Die SVP dagegen verpasste ihr Ziel und brachte es auf knappe 21% (zum Vergleich: die Kandidatinnenanteile der Grünen und der SP betrugen 58% und 47%).
    Die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1995 waren für die Frauen – trotz der Steigerung um 4 Prozentpunkte – ernüchternd: Unter den 200 Gewählten fanden sich 43 Frauen, was einem Anteil von 21,5% gleichkommt. Nach Parteien differenziert wies die Frauenrepräsentation dieselbe parteipolitische Polarisierung auf wie seit den achtziger Jahren: relativ viele Frauen bei den rot-grünen Parteien, wenige Frauen bei den bürgerlichen Parteien, keine Frauen bei den Rechtsparteien. Die konkreten Zahlen: Von den 43 gewählten Nationalrätinnen waren 19 Sozialdemokratinnen und 6 Grüne; 16 gehörten zu einer bürgerlichen Bundesratspartei (8 FDP, 5 CVP und 3 SVP), je 1 Frau zur LPS und zum LdU. Es waren also 58% aller gewählten Nationalrätinnen Mitglied der SPS oder der Grünen, obwohl diese Parteien im Nationlrat nur knapp einen Drittel aller Mandate innehaben.
     

    PERSONELLE VERÄNDERUNGEN IM NATIONALRAT VON 1996 BIS 1998
    Es gehört zum Tröster-Ritual nach Wahlen, bei denen wieder zu wenig Frauen den Sprung ins Parlament geschafft haben, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass die Frauen auf den Ersatzplätzen im Verlaufe der Legislaturperiode in den Rat nachrutschen können. Diese Möglichkeit, einen zurücktretenden Mann im Nationalrat durch eine Frau zu ersetzen, bot sich seit den Wahlen von 1995 – bei den 18 erfolgten Rücktritten (13 Männer, 5 Frauen) – theoretisch 13mal. Genutzt wurde sie 3mal: 2mal von der SP (in Basel-Stadt und in Zürich) und 1mal von der PdA.
    10mal wurde dagegen ein Mann durch einen Mann ersetzt, wobei auf diesen Listen meistens die ersten zwei oder drei Ersatzplätze von Männern eingenommen wurden. Um bei diesen Mutationen hinsichtlich der Frauenrepräsentation eine Verbesserung bewirken zu können, hätte es zum Teil beträchtlicher Eingriffe bedurft. Bei drei Fällen hätte jedoch nur der Mann auf dem 1. Ersatzplatz der Frau auf dem 2. Ersatzplatz den Vortritt lassen müssen: 2mal bei der SP (in Luzern und im Wallis) und 1mal bei der CVP (in Solothurn). Dass es möglich ist, als Erstplatzierte zugunsten des Zweitplatzierten zu verzichten, zeigte kürzlich die ehemalige Tessiner CVP-Nationalrätin Mimi Lepori, die mit ihrem Verzicht einem schlechter klassierten Mann die Nachfolge von Fulvio Caccia antreten liess.
    Bei der FDP schliesslich verkleinerte sich gar die Zahl der Frauen infolge des Rücktritts von Vreni Spoerry, welche auch in den Ständerat gewählt und im Nationalrat durch einen Mann ersetzt wurde.
    Fazit. Bei Rücktritten aus dem Nationalrat kann die Frauenrepräsentation verbessert werden; in den drei Jahren nach den Nationalratswahlen 1995 waren die Wirkungen jedoch bescheiden: Ende 1998 sind 2 Frauen mehr im Nationalrat als vor drei Jahren und der Frauenanteil ist um 1 Prozentpunkt von 21,5% auf 22,5% gestiegen. Ist es Zufall, dass die Steigerung bei den Linksparteien erfolgte und dass die bürgerlichen Parteien heute gar mit 1 Frau weniger im Nationalrat vertreten sind als bei den Wahlen von 1995?
    Diese personellen Veränderungen im Nationalrat sind natürlich kein eigentlicher Trendmelder. Immerhin haben dank dieser Veränderungen drei neue Frauen die Möglichkeit, sich im Nationalrat zu profilieren und mit dem attraktiven Prädikat «bisherig» in den Wahlkampf 1999 zu ziehen.
     

    DIE FRAUENVERTRETUNG IN DEN KANTONALEN PARLAMENTEN 1995/1998
    Seit den Nationalratswahlen 1995 fanden in 21 Kantonen Parlamentswahlen statt1) . Dabei hat sich die Zahl der kantonalen Parlamentarierinnen um 64 von 658 auf 722 gesteigert. Gegenwärtig stehen den 722 Frauen 2'257 Männer gegenüber; der Frauenanteil beträgt 24,2%. Im Folgenden werden diese Zahlen zuerst in Bezug auf die Parteien und anschliessend in Bezug auf die Kantone analysiert.

    Erfreulich ist, dass die Steigerung des Frauenanteils um 2 Prozentpunkte von sämtlichen Parteien – ausser der LPS und der EDU – mitgetragen wurde, wobei die rot-grünen Parteien etwas mehr zur Steigerung beitrugen als die übrigen Parteien. Bei den rot-grünen Parteien vergrösserte sich der Frauenanteil um 2 Prozentpunkte auf 44,1%. Die genauen Zahlen für die rot-grünen Parteien sind folgende:
     

      Frauen und Männer in den kantonale Parlamenten 1995/1998 (rot-grüne Parteien)
       
          Frauen  Männer  Frauenanteil 
      SP  1995  224  333   40,2% 
        1998  251  347   42%
      Grüne 
      (GP, FGA)
      1995   65   69   48,5% 
        1998   76   72   51,4%
      PdA  1995   16   18   47,1% 
        1998   19  20   48,7% 
               
               
         Quelle: Bundesamt für Statistik /IPW (Uni Bern)


    Bei den bürgerlichen Bundesratsparteien steigerten sich die Frauen um 1,7 Prozentpunkte von 14,9% auf 16,6%. Damit bleibt der Abstand zu den rot-grünen Parteien (44,1%) überdeutlich. Die genauen Zahlen für die bürgerlichen Bundesratsparteien sind die folgenden:
     

    Frauen und Männer in den kantonale Parlamenten 1995/1998 (bürgerliche Bundesratsparteien)

       
          Frauen  Männer  Frauenanteil 
      FDP  1995  128  612  17,3% 
        1998 134 578  18,8% 
      CVP  1995  105  613 14,6% 
        1998 117  568  17,1% 
      SVP  1995   32  287 10% 
        1998   42  322  11,5% 
           Quelle: Bundesamt für Statistik /IPW (Uni Bern)


    Noch keine zweistellige Zahl hat der Frauenanteil bei den Rechtsparteien erreicht; für diese Parteien beträgt er zusammen gegenwärtig 8,1%.
     

    Frauen und Männer in den kantonale Parlamenten 1995/1998 (Rechtsparteien)

       
          Frauen   Männer  Frauenanteil 
      SD  1995  22  8,3% 
        1998  24  14,3% 
      EDU  1995   3  0% 
        1998   5  0% 
      FP  1995  72  2,7% 
        1998  2 35  5,4% 
      Lega  1995  15  6,3% 
        (1998)  1 15  6,3%)2)
         Quelle: Bundesamt für Statistik /IPW (Uni Bern)


    Ein Blick in die Kantone ergibt folgendes Bild: In 17 Kantonen steigerte sich der Anteil der gewählten Frauen; am stärksten in Obwalden (+10,9 Prozentpunkte) und in Appenzell Ausserrhoden (+10,3 Prozentpunkte). Kein Wachstum der Frauenvertretung verzeichneten bei den letzten Wahlen die Kantone Schwyz und Genf (eigenartigerweise hat dabei Schwyz gegenwärtig den niedrigsten, Genf den höchsten Frauenanteil). In den Kantonen Aargau und Solothurn verkleinerte sich die Zahl der gewählten Frauen (AG: –2,5 Prozentpunkte; SO: –4,9 Prozentpunkte); mit diesen beiden Verlusten wurden die «Wunderergebnisse von 1993», welche im Zuge der Nicht-Wahl von Christiane Brunner erzielt wurden (AG: +13 Prozentpunkte; SO: +23,6 Prozentpunkte), wieder etwas rückgängig gemacht.
     

    Frauen und Männer in den kantonale Parlamenten 1995/1998

       
          Frauen   Männer  Frauenanteil 
      höchste Frauenanteile         
        Genf  36  64  36% 
        Obwalden  17  38  30,9% 
        Basel-Stadt  40  90  30,8% 
      niedrigste Frauenanteile         
        Tessin  13  77  14,4% 
        Glarus  11  69  13,8% 
        Schwyz  12  88  12% 
           Quelle: Bundesamt für Statistik /IPW (Uni Bern)


    DIE FRAUENVERTRETUNG IN DEN KANTONALEN REGIERUNGEN 1995/1998
    Die grösste Schwachstelle der Frauenrepräsentation waren bislang die kantonalen Regierungen, in welche erst 1983, zwölf Jahre nach der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts, erstmals eine Frau gewählt wurde (Hedi Lang; SP, ZH). Ende 1995 hatten 19 Frauen kantonale Regierungsämter inne (gegenüber 147 Männern); der Frauenanteil betrug 11,4%. Von diesen gehörten 15 Frauen einer bürgerlichen Parteien an (8 FDP, 4 CVP, 2 SVP und 1 LP); 3 Frauen gehörten zur SP und 1 zur GP.
    In den letzten drei Jahren steigerten sich die Frauen um 13 auf 32 Regierungsrätinnen (Frauenanteil: 19,8%). Dabei holte die SP etwas auf (10 Frauen); die Bürgerlichen stellen jedoch nach wie vor die meisten Frauen (21); allen voran die FDP (12), gefolgt von der CVP (5), der SVP (3) und der LP (1).
    Diese Verbesserung der Frauenvertretung zeigt sich auch in den einzelnen Kantonen: 1995 waren 11 Kantonsregierungen noch ohne Frauen, und nur gerade 4 Kantone hatten 2 Frauen in ihre Regierung gewählt (ZH, BE, OW und AR). Ende 1998 fanden sich noch 4 Kantone ohne Frauen (SZ, NW, SH und VS). In 8 Kantonen regieren 2 Frauen, in Bern bereits 3.
     
     

    SCHLUSSFOLGERUNG

       
      1) Eines kann für alle politischen Institutionen, die oben behandelt wurden, festgehalten werden: Die Zahl der Frauen, die in die politischen Institutionen gewählt wurden, wächst.

      2) Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es muss daran erinnert werden, dass die Frauen einerseits mit 51,2% die Mehrheit der Wohnbevölkerung und mit 53,5% die Mehrheit der Wahlberechtigten ausmachen, und dass andrerseits die Frauen in Parlament und Regierung auf allen Ebenen zu weniger als 25% vertreten sind. Vor diesem Hintergrund wirkt der festgestellte Zuwachs von rund 2 Prozentpunkten in den kantonalen Parlamenten doch sehr gemächlich, und es ist verständlich, wenn zur Diskussion gestellt wird, dass – wie es die «eidg. Quoten-Inititative» verlangt – auch auf der Ergebnisseite nach den Wahlen «korrigiert» wird, bis Frauen und Männer paritätisch vertreten sind.

      3) Versuchen wir, die festgestellten Trends auf die Nationalratswahlen 1999 zu übertragen, so darf wohl insgesamt eine weitere leichte Verbesserung der Frauenanteile erwartet werden, wobei neben den rot-grünen Parteien auch und besonders die FDP und allenfalls die CVP das ihre dazu beitragen dürften.
       
       
       

    Anmerkungen:
    1) Erst 1999 finden die kantonalen Parlamentswahlen in Zürich, Luzern, Basel-Landschaft, Appenzell-Innerrhoden und Tessin statt.
    2) Die nächsten Wahlen im Tessin werden erst 1999 durchgeführt.