Werner Seitz

    Umverteilungsmodelle zur eidg. Quoten-Initiative, illustriert anhand der hypothetischen Anwendung auf die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1999 (Grundlagentext)

     


    Die Volksinitiative «Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Initiative 3. März)» verlangt eine verfassungsmässig garantierte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Nationalrat, Ständerat, Bundesrat und Bundesgericht) und in der Bundesverwaltung. Dabei sollen folgende Richtwerte gelten: Beim Nationalrat darf «die Differenz zwischen der weiblichen und der männlichen Vertretung in einem Kanton ... nicht mehr als eins» betragen, beim Ständerat soll «jeder Kanton... eine Frau und einen Mann» wählen und im Bundesrat sollen «mindestens drei... Frauen» sein. Beim Bundesgericht schliesslich soll «der Anteil der weiblichen Mitglieder und Ersatzmitglieder... je mindestens 40 Prozent» betragen. Sind für die Bereiche der Bundesbehörden die Richtwerte klar definiert, so wird für die Bundesverwaltung, für die Regiebetriebe und die Hochschulen, etwas vager, «eine ausgewogene Vertretung der Frauen» verlangt.

    «Wahltechnisch» gesehen ist die Umsetzung der Initiative für vier der fünf Bereiche relativ einfach, so bei der Bundesverwaltung und bei den Wahlen in den Bundesrat, ins Bundesgericht und in den Ständerat, welche alle nach dem Majorzsystem durchgeführt werden2). Kniffliger wird es bei den Wahlen in den Nationalrat, die nach dem Proporzsystem stattfinden, weil hier die Parteien bzw. die Wahllisten im Zentrum stehen, und nicht die Personen.
    Für die Wahlen nach dem Proporzsystem können wir auf Modelle zurückgreifen, welche das Berner Advokaturbüro Arn und Friederich im Auftrag der Berner Stadtregierung für die Volksabstimmung über die Einführung einer Geschlechterquote für das Stadtparlament (1995) entwickelte. Weil die «Quoten-Initiative» keine Veränderung der bestehenden Bestimmungen für die Nationalratswahlen vorsieht, sondern diese nur um die Geschlechterquote ergänzen will, kommen von den verschiedenen Umsetzungsmodellen einzig jene in Frage, welche den folgenden bestehenden drei Verfassungsbestimmungen Rechnung tragen: 1. der Nationalrat besteht aus 200 Personen, 2. die Kantone bilden die Wahlkreise und 3. die Wahl in den Nationalrat erfolgt nach dem Proporzsystem. Neu soll nun zu diesen Verfassungsbestimmungen die Bestimmung kommen, wonach die Differenz pro Wahlkreis zwischen den gewählten Frauen und Männern nicht grösser als eins sein darf.

    1999 hätten 45 Mandate umverteilt werden müssen
    Bevor die Umverteilungsmodelle angewendet werden können, ist abzuklären, in welchen Kantonen überhaupt – am hypothetischen Beispiel der Nationalratswahlen 1999 – die Bestimmung der Quoten-Initiative nicht erfüllt wurden. In Betracht kommen dabei nur die Proporzkantone; die fünf Kantone mit nur einem Nationalratssitz, der nach dem Majorzsystem vergeben wird, sind von der «Quoten-Initiative» nicht betroffen (UR, OW, NW, GL, AI). Von den 21 Proporzkantonen erfüllten bei den Nationalratswahlen 1999 gerade zwei die Vorgabe der «Quoten-Initiative»: Schwyz (eine Frau, zwei Männer) und Appenzell Ausserrhoden (eine Frau, ein Mann). In 19 Kantonen wären kleinere und grössere Eingriffe nötig, die grössten Eingriffe in Bern (6), in der Waadt (5) und im Aargau (4), wobei sich diese Änderungen nicht auf die Mandatsverteilung auf die Parteien beziehen, sondern auf die Personen, die als gewählt gelten. Insgesamt müssten 45 Mandate von Männern zu Frauen umverteilt werden, dann wäre die Forderung der Quoten-Initiative erfüllt. Im Nationalrat würden dann 92 Frauen und 108 Männer sitzen, der Frauenanteil betrüge 46%.
    Die Frage ist nun, nach welchen Kriterien diese Umverteilungen innerhalb der Kantone vorgenommen werden sollen. Zwei Modelle sollen hier vorgestellt werden: das Modell «Proporzwahl mit Korrektur» und das Modell «Listenvorschrift mit Korrektur».

    Modell «Proporzwahl mit Korrektur»
    Grundgedanke des Modells «Proporzwahl mit Korrektur» ist, dass bei jenen Parteien zu Gunsten der Frauen korrigiert werden soll, bei denen die Frauen pro Mandat relativ viele und die Männer relativ wenige Stimmen aufgebracht haben. Es wird daher ein sogenannter «Stimmenverwertungsquotient» für die Männer und die Frauen berechnet (Verhältnis Stimmenanteil/Mandatsanteil). Diese beiden Quotienten werden darauf zu einem «Doppelquotienten» zusammengebracht, der, vereinfacht gesagt, für jede Partei aufzeigt, wie viele Stimmen die Frauen und wie viele die Männer für ihre Mandate aufbringen mussten. Dort, wo die Frauen einen relativ hohen Stimmenanteil für ihre Mandate aufbrachten und die Männer eher einen niedrigen, wo also die Frauen am stärksten «Wasserträgerinnen» für die Mandate der Männer waren – dort ist der Doppelquotient am grössten, und dort wird korrigiert: Der am schlechtesten gewählte Mann muss der am besten nicht gewählten Frau Platz machen. Ist nach einer solchen Korrektur die Quote im Kanton noch nicht erreicht, wird der Doppelquotient für jede Partei erneut berechnet. Es wird solange umverteilt, bis die kantonale Geschlechter-Quote erreicht ist.
    Wie würde der neugewählte Nationalrat von 1999 aussehen, wenn nach diesem Modell umverteilt worden wäre? Die grössten Änderungen würden bei der SPS und der FDP vorgenommen, welche neu 12 bzw. 11 Frauen mehr hätten, gefolgt von der CVP (+8 Frauen) und der SVP (+7 Frauen); weitere Eingriffe erfolgten bei der LPS und der PdA (beide je +2 Frauen) sowie der EVP, der GPS und der Lega (alle je +1 Frau). Nach diesen Änderungen würde der Frauenanteil bei der SPS 63% betragen, bei der FDP 47%, bei der CVP 46% und der SVP 23%; bei der GPS würden die Frauen 75% ausmachen.
    Es fällt auf, dass namentlich die SPS, bei der schon 39% Frauen an der Urne gewählt wurden, nochmals stark «zur Kasse gebeten» würde (wie übrigens auch die Grünen und die PdA). Dagegen müsste die SVP mit einem bescheidenen Frauenanteil von gerade 7% nur auf 23% «nachkorrigieren».
    In diesem Korrekturmuster spiegelt sich der Grundgedanke des Umverteilungsmodells, wonach vor allem bei jenen Parteien eingegriffen werden soll, bei denen die Frauen relativ viele Stimmen und relativ wenige Mandate erhalten haben, bei denen also die Wählenden weniger stark brüskiert werden, wenn bei ihrer Partei ein Mann einer Frau Platz machen muss.

    Modell «Listenvorschrift mit Korrektur» («Halbe–Halbe»-System)
    Während sich das Modell «Proporzwahl mit Korrektur» darauf beschränkt, die Delegation der Kantone insgesamt ausgewogen zu machen, und die Unterschiede der Frauenrepräsentation zwischen den Parteien belässt bzw. diesen bei der Umverteilung der Mandate sogar Rechnung trägt, versucht das Modell «Listenvorschrift mit Korrektur», auch bei den Parteien selber möglichst ausgewogene Vertretungen herzustellen. Das heisst, es garantiert, dass die Zahl der gewählten Frauen auch pro Partei gleich bzw. maximal um 1 kleiner ist als die Zahl der gewählten Männer. Dies bedingt die Kombination von zwei Umverteilungsverfahren und erfordert stärkere Eingriffe. Vorbedingung ist natürlich, dass bei den Parteien genügend Frauen auf den Wahllisten kandidieren.
    Als ersten Schritt bei der Bestimmung der Gewählten auf den Wahllisten sieht das Modell «Listenvorschrift mit Korrektur» vor, dass pro Wahlliste je eine Rangliste mit den Kandidatinnen und mit den Kandidaten erstellt wird. Unabhängig von der konkret erhaltenen Stimmenzahl werden nun die Mandate abwechselnd der Kandidatin und dem Kandidaten mit den je meisten Stimmen zugesprochen («Halbe–Halbe»-System). Weil einige Parteien eine ungerade Zahl von Mandaten erhalten, wird mit diesem ersten Schritt die kantonale Geschlechterquote nicht erreicht. Beim Beispiel der Nationalratswahlen 1999 könnten mit dem «Halbe–Halbe»-System erst 28 Mandate umverteilt werden; für die restlichen 17 Mandate müsste in einem zweiten Schritt noch zum Umverteilungsverfahren gemäss Doppelquotient («Proporzwahl mit Korrektur») übergegangen werden.
    Nach diesen Umverteilungsschritten würden die Frauen bei den Bundesratsparteien Anteile zwischen 40% (CVP) und 57% (SPS) erreichen. Am grössten wären die Umverteilungseingriffe bei den SVP gewesen, wo 15 Männer einer Frau Platz machen müssten. 9 Wechsel würden, per saldo, auch bei FDP und SPS vorgenommen und 6 bei der CVP. Männer durch Frauen ersetzt würden auch bei der LPS und der PdA (bei beiden je 2-mal), bei der GPS und der Lega (je 1-mal).
    Damit werden die unterschiedlichen Wirkungen der beiden Umverteilungssysteme deutlich gemacht: Das erste Modell «Proporzwahl mit Korrektur» folgt bei der geschlechterspezifischen Korrektur weitgehend den parteipolitischen Polarisierung der gewählten Frauen (eher viele Frauen bei den rotgrünen Parteien, deutlich weniger Frauen bei FDP und CVP und ganz wenige Frauen bei SVP und den Rechtsparteien). Das andere Modell versucht dagegen, eine paritätische Vertretung der Frauen auch innerhalb der Parteien herzustellen.
     

    1) Eine überarbeitete Version dieses Textes erschien in NZZ, 1. Februar 2000 («Frauenquoten durchgerechnet»).
    2) Zu den Umsetzungsmodalitäten der Quoten-Initiative in sämtlichen fünf Bereichen siehe W. Seitz, «Umsetzungsmodelle zur eidgenössischen 'Quoten-Initiative'», in eidg. Kommission für Frauenfragen (Hg.), F-Frauenfragen, 21/1998, Nr. 1 (in der gedruckten Publikation Text mit Tabellen)