Werner Seitz*

    DIE FRAUEN BEI DEN NATIONALRATSWAHLEN 1999: Die Schritte in Richtung Gleichstellung werden kleiner.
    Mit einem Exkurs zu den Frauen bei den Ständeratswahlen 1998/1999 und bei den Wahlen in die kantonalen Regierungen und Parlamente (Stand: Ende 1999),
    in  Eidg. Kommission für Frauenfragen (Hg.), Frauenfragen / Questions au féminin / Problemi al Femminile, 2000, Nr. 1, S. 13–22.



       ===> en français: «Les femmes et les elections au conseil national de 1999: Vers l'égalité, à petits pas»
       ===> in italiano:  «Le donne e le elezioni federali al consiglio nazionale del 1999: Verso la parità dei sessi a passi più piccoli»
     

    Erstmals seit der Einführung des Frauenstimmrechts kandidierten weniger Frauen für den Nationalrat als bei den vorangegangenen Wahlen. Trotz dieses Rückganges wurden 4 Frauen mehr gewählt als 1995 und der Frauenanteil im Nationalrat verbesserte sich um 2 Punkte auf 23,5%. Ziehen wir allerdings in Betracht, dass im Verlaufe der vergangenen Legislaturperiode – infolge personeller Veränderungen (Rücktritte von Männern, die durch Frauen ersetzt wurden) – der Frauenanteil im Nationalrat bis zum Sommer 1999 auf 24% gestiegen war, so war der Frauenanteil bei den jüngsten Wahlen leicht rückläufig.

    Bei der Beratung der Volksinitiative «Für eine gerechte Vertretung der Frauen in den Bundesbehörden (Initiative 3. März)», der sogenannten «Quoten-Initiative», beschloss der Nationalrat, etwas überraschend, dieser Volksinitiative einen indirekten Gegenvorschlag entgegenzustellen; nach diesem sollten bei den kommenden Nationalratswahlen die Frauen auf den Wahllisten zu mindestens einem Drittel vertreten sein. Weil der Ständerat diesen Vorschlag nicht unterstützte, fanden die Nationalratswahlen 1999 nach dem traditionellen Wahlmodus statt.

    1 DIE KANDIDATINNEN
    Wäre die Listenquote von 33% Frauen für die Nationalratswahlen 1999 jedoch in Kraft gewesen, so wäre die Zahl der Kandidatinnen wohl grösser gewesen. Zwar kandidierten gesamtschweizerisch 34,6% (983 Frauen und 1862 Männer) für den Nationalrat; die Drittelsquote wäre also, so gesehen, erreicht gewesen. Da der Vorschlag des Nationalrates jedoch richtigerweise die Drittelsquote für jede Wahlliste bzw. Partei vorsah, hätten sich fast alle Parteien um mehr Kandidatinnen bemühen müssen.
     

       
       

      ABKÜRZUNGEN DER PARTEIEN

      Bundesratsparteien
      FDP    Freisinnig-Demokratische Partei der Schweiz
      CVP    Christlichdemokratische Volkspartei der Schweiz
      SPS    Sozialdemokratische Partei der Schweiz
      SVP    Schweizerische Volkspartei

      Bürgerliche Nicht-Bundesratspartei
      LPS    Liberale Partei der Schweiz

      Mitte-Parteien
      LdU    Landesring der Unabhängigen
      EVP    Evangelische Volkspartei der Schweiz
      CSP    Christlichsoziale Partei

      Linke Nicht-Bundesratsparteien und Grüne
      PdA    Partei der Arbeit der Schweiz
      Sol.    Solidarität
      FGA   Feministische und grün-alternative Gruppierungen (Sammelbegriff)
      GPS   Grüne Partei der Schweiz

      Rechte Nicht-Bundesratsparteien
      SD      Schweizer Demokraten (früher Nationale Aktion)
      EDU   Eidgenössisch-Demokratische Union
      FPS   Freiheitspartei der Schweiz (früher : Schweizer Auto-Partei)
      Lega   Lega dei ticinesi
       


    1.1 Die Kandidatinnen nach Parteien
    Insgesamt wurde die 33%-Frauen-Quote auf den Wahllisten in den 21 Proporzkantonen 81-mal erreicht und 67-mal verpasst. Davon wurden gar 16-mal Wahllisten ohne eine Frau aufgestellt; also auf jeder 10. Wahlliste fehlten die Frauen völlig.  Abgesehen von den kleinen grünen und linken Parteien (PdA, Sol. und FGA), hatten sämtliche Parteien in einem oder mehreren Kantonen weniger als 33% Frauen zur Wahl vorgeschlagen. Am besten schnitt die GPS ab (sie erfüllte die 33%-Quote in 12 Kantonen und verpasste sie in 2 Kantonen), gefolgt von der SPS, welche 17-mal mehr und 4-mal weniger als 33% Frauen auf den Wahllisten hatte. Für die CVP betragen diese Werte: 10-mal erfüllt, 8-mal verpasst, und für die FDP: 10-mal erfüllt, 11-mal verpasst. Die SVP reichte nur in 7 Kantonen Wahllisten mit mehr als 1/3 Frauen ein, in 13 Kantonen waren es weniger (in 5 Kantonen standen gar reine Männerlisten zur Wahl, nämlich in LU, AR, TI , GE und JU). In keinem Fall erreichten die 33%-Frauen-Quote die beiden Rechtsparteien FPS und Lega.
    Dasselbe parteipolitische Muster der Frauenrepräsentation auf den Wahllisten – eine Kurve, die von den Grünen und der SPS über die CVP und die FDP zur SVP und den Rechtsparteien absinkt – zeigt sich auch, wenn wir die gesamtschweizerischen Frauenanteile auf den Wahllisten der Parteien vergleichen: Überdurchschnittlich stark vertreten waren die Frauen auf den Wahllisten der SPS und der Grünen (mit Anteilen von 47% bzw. 57%). Zwischen 30% und 34% lagen die Frauenanteile bei der FDP, der CVP, der LPS und dem LdU. Deutlich untervertreten mit Anteilen zwischen 13% und 24% waren die Frauen auf den Wahllisten der SVP, der SD, der FPS und der Lega. Siehe dazu auch Grafik 1.
    [Grafik 1]

    1.2 Die Kandidatinnen nach Kantonen und Sprachregion
    Betrachten wir die Kandidierenden nach Kantonen, so bewegten sich die Frauenanteile auf den Wahllisten zwischen 16% (TI) und 44% (BS). Über 40% lag der Frauenanteil in den beiden Basel, unter 30% in 6 Kantonen (LU, SZ, ZG, TI, VS, JU). In 13 Kantonen bewegte er sich zwischen 30% und 40%. Siehe dazu auch Grafik 2.
    [Grafik 2]

    Wie schon 1995 war der Frauenanteil in der Romandie (36%) etwas grösser als in der Deutschschweiz (35%). Im Tessin betrug er 16%.
     

    2 DIE GEWÄHLTEN FRAUEN
    Die gesetzlichen Bestimmungen für die Nationalratswahlen, die nach dem Proporzsystem durchgeführt werden, gestehen den Wählenden vielfältige Möglichkeiten zu, ihren politischen Willen kundzutun. Sie können nicht nur zwischen Parteien wählen, sondern auch zwischen den Kandidierenden: Diesen können sie eine doppelte Stimme geben (kumulieren), sie können sie streichen oder auch einzelne Kandidierende von anderen Parteien wählen (panaschieren). Damit verändern sich die ursprünglichen Wahlvorschläge der Parteien teilweise beträchtlich. Meistens sind es die Frauen, die durch solche Änderungen an Terrain verlieren: So betrug der Frauenanteil 1999 auf den Wahllisten 34,6%, unter den Gewählten machte er gerade noch 23,5% aus.

    2.1 Die gewählten Frauen nach Parteien
    Die seit 1983 bestehende parteipolitische Polarisierung der Frauenrepräsentation bestätigte sich auch 1999: Von sämtlichen gewählten Nationalrätinnen gehörten 1999 45% einer bürgerlichen Partei (FDP, CVP, SVP und LPS) an und 55% einer der rot-grünen Parteien (SPS, Grüne und PdA); dabei verfügten erstere über 64% der Mandate im Nationalrat, letztere dagegen nur über 31,5%. Vergleiche auch Grafik 3.
    [Grafik 3]

    Noch deutlicher manifestiert sich diese parteipolitische Polarisierung der Frauenvertretung, wenn wir die Frauenanteile unter den Gewählten je Partei (Partei=100%) vergleichen. In der Mehrheit sind die Frauen bei den Grünen (67%; 6 von 9 Gewählten). Am meisten Frauen finden sich bei der SPS: 20 der 51 Gewählten sind weiblich (39%). Erstmals die 20%-Marke überschritten die FDP und die CVP, wobei die Frauen bei der CVP 23% ausmachen und bei der FDP 21%. Bei der SVP stagnierte zwar die Zahl der gewählten Frauen, angesichts der massiven Mandatsgewinne führte dies jedoch zu einem Rückgang des Frauenanteils auf 7%, was das schlechteste Ergebnis der SVP in den neunziger Jahren darstellt. Damit kann bei der Frauenvertretung der bürgerlichen Parteien eine Differenzierung festgestellt werden: Seit den neunziger Jahren wächst der Frauenanteil unter den Gewählten der FDP und der CVP, während er bei der SVP, die zur Referenzinstanz der Rechten avancierte, sinkt.
    Noch nie wurde bei den kleinen Rechtsparteien (SD, EDU, Lega), bei der EVP und der CSP eine Frau gewählt. Ausschliesslich aus Männern bestanden zudem 1999 die Abordnungen der PdA und des LdU. Siehe auch Grafik 4.
    [Grafik 4]

    2.2 Die gewählten Frauen nach Kantonen und Sprachregionen
    In 16 Proporzkantonen wurden Frauen gewählt, wobei sich die Frauenanteile unter den Gewählten zwischen 12,5% (TI) und 50% (AR) bewegten. Mehr als 40% erreichte der Frauenanteil, neben Appenzell Ausserrhoden, einzig in Zürich, wo auch absolut am meisten Frauen gewählt wurden (14). Zwischen 30% und 40% lag der Frauenanteil in Schwyz, Freiburg und St. Gallen, und zwischen 25% und 30% in Bern, Basel-Landschaft und Genf. Unter dem nationalen Durchschnitt von 23,5% lag der Frauenanteil in 8 Kantonen (LU, SO, BS, GR, AG, TI, VD, NE). 10 Kantone sind im Nationalrat ausschliesslich durch Männer vertreten: Es sind dies die 5 Majorzkantone sowie 5 Proporzkantone (TG, VS, ZG, JU, SH). Dabei verfügen erstere beide über eine stattliche Zahl von Nationalratssitzen (TG: 6 und VS: 7); Zug und Jura entsandten noch nie eine Frau in den Nationalrat. Siehe auch die Grafik 5.
    [Grafik 5]

    Die Frauenvertretung wuchs in sämtlichen Sprachregionen leicht an: 2 Frauen mehr als 1995 wurden in der französischsprachigen Schweiz gewählt, je 1 mehr in der deutschsprachigen Schweiz und im Tessin. Damit sind die Frauen auch weiterhin in der Deutschschweizer Deputation mit einem guten Viertel am besten vertreten, während sie unter den Gewählten der Romandie nun knapp einen Fünftel ausmachen. Erstmals seit zwanzig Jahren wurde im Tessin wieder eine Frau ins nationale Parlament gewählt.
     

    3 DIE WAHLQUOTE DER KANDIDATINNEN UND DER KANDIDATEN
    Wie bereits erwähnt besteht in den meisten Fällen eine Diskrepanz zwischen dem Frauenanteil auf den Wahllisten und dem Frauenanteil unter den Gewählten. Der Grund dafür liegt darin, dass die Wählenden nicht nur die Möglichkeit haben, sich zwischen den Parteien zu entscheiden, sondern auch zwischen den einzelnen Kandidierenden, die sie panaschieren, kumulieren oder streichen können. Dieses «Nadelöhr» der Wahl wird von den Kandidaten leichter passiert als von den Kandidatinnen. Auskunft darüber, wie gross die statistische Chance der Kandidierenden ist, gewählt zu werden, gibt die Wahlquote. Diese drückt das Verhältnis des Anteils der Gewählten zum Anteil der Kandidierenden aus. Die Formel zur Berechnung der Wahlquote der Frauen lautet folgendermassen:
     
     

         
                         Anteil der gewählten Frauen
    Frauenwahlquote    =    -------------------------------------------------    x 100
                          Anteil der Kandidatinnen

    Befindet sich das Verhältnis der Gewählten zu den Kandidierenden im Gleichgewicht (z.B. 30% Gewählte, 30% Kandidierende), so erhält die Wahlquote den Wert 100. Eine Wahlquote von über 100 bedeutet überdurchschnittlich viele Gewählte (im Verhältnis zu den Kandidierenden), eine Wahlquote von unter 100 bedeutet dagegen unterdurchschnittlich viele Gewählte (im Verhältnis zu den Kandidierenden).
     

      Achtung: Die Wahlquote ist eine relative Grösse und sagt nur bedingt etwas aus über die realen Wahlchancen. So etwa war 1999 die Wahlquote für das Tessin mit 78 die höchste von allen Sprachregionen, obwohl der Frauenanteil unter den Kandidierenden wie auch unter den Gewählten die niedrigste war. Die Wahlquote war darum hoch, weil die beiden Frauenanteile (Kandidierende, Gewählte) sehr niedrig waren (Kandidatinnen: 16,1%; gewählte Frauen: 12,5%). Trotz dieser Einschränkung kann tendenziell eine hohe Wahlquote als «gute statistische Wahlchance», eine niedrige als «schlechte statistische Wahlchance» interpretiert werden.
    [Grafik 6]

    Wie Grafik 6 aufzeigt, ist die Wahlquote der Männer seit 1971 konstant hoch: Sie bewegte sich zwischen 109 und 122 Punkten, das heisst, die Männer hatten seit 1971 überdurchschnittlich gute «statistische Wahlchancen». Die Wahlquote der Frauen lag dagegen zwischen 32 und 70 Punkten. Die «statistischen Wahlchancen» der Frauen waren also rund zwischen 2- bis 4-mal schlechter als jene der Kandidaten; bei den Nationalratswahlen 1999 waren sie 1,7-mal geringer.

    Betrachten wir die «statistischen Wahlchancen» der Frauen und der Männer nach Parteien, so schnitten 1999 die Frauen der Grünen (GPS und FGA) am besten ab: Sie hatten als einzige die bessere Wahlquote als die Männer. Bei der SPS war die Wahlquote der Männer rund 1,3-mal besser als jene der Frauen, bei FDP und CVP je 1,6-mal. Während sich bei den letzten Wahlen die «statistischen Wahlchancen» der Frauen und Männer bei den meisten Parteien etwas anglichen, drifteten sie bei der SVP 1999 auseinander: Waren die Wahlchancen der Männer 1995 bei der SVP gut 2-mal grösser als jene der Frauen, so waren sie es 1999 4-mal. Siehe dazu auch Grafik 7.
    [Grafik 7]
     

    4 DIE STIMMENQUOTE UND DIE STIMMENVERWERTUNGSQUOTE
    Eine weitere Möglichkeit, das Abschneiden der Kandidatinnen bei den Nationalratswahlen einzuschätzen, bietet sich mit der Analyse des Stimmenanteils an, den die Frauen erhalten haben.  Dieser kann einerseits mit dem Anteil der Kandidatinnen verglichen werden, und andrerseits mit dem Anteil der gewählten Frauen. Beim ersten Vergleich erhalten wir die «Stimmenquote» (Verhältnis: Stimmenanteil/Anteil an Kandidaturen); sie zeigt – unabhängig vom Kriterium der Wahl – auf, ob die Kandidatinnen über- oder unterdurchschnittlich viele Stimmen erhalten haben. Beim zweiten Vergleich erhalten wir die «Stimmenverwertungsquote» (Verhältnis Anteil an Gewählten/Stimmenanteil); sie zeigt auf, ob die Kandidatinnen beim Mandatsgewinn eher von den Stimmen der Kandidaten profitierten oder ob sie eher «Wasserträgerinnen» für gewählte Männer waren.

    4.1 Die Stimmenquote der Kandidatinnen und Kandidaten
    Die Stimmenquote vergleicht, wie erwähnt, den Anteil der Kandidatinnen auf den Wahllisten mit dem Anteil der Stimmen, welche diese Kandidatinnen erhalten haben, und zeigt – unabhängig vom Kriterium der Wahl – auf, ob die Kandidatinnen über- oder unterdurchschnittlich viele Stimmen erhalten haben. Beträgt der Wert 100, so heisst dies, dass die Kandidatinnen prozentual so viele Stimmen erhalten haben, wie sie prozentual auf den Wahllisten vertreten waren (z.B. 30% aller Stimmen und 30% der Kandidaturen). Ist der Wert grösser als 100, so bedeutet dies, dass die Kandidatinnen überdurchschnittlich viele Stimmen geholt haben; ist der Wert kleiner als 100, haben die Kandidatinnen relativ wenig Stimmen erhalten.
     
     

               
              Anteil der von den Kandidatinnen 
              erhaltenen Stimmen
    Stimmenquote der Frauen  =   ---------------------------------------------------------------    x 100
                                       Anteil der Kandidatinnen

     

           
    Wie Grafik 8 zeigt, lag die Stimmenquote der Männer von 1971 bis 1999 immer über 100 (zwischen 102 und 109), während sich die Stimmenquote der Frauen zwischen 78 und 91 Punkten bewegte. Die Männer erhielten also immer überdurchschnittlich viele, die Frauen unterdurchschnittlich viele Stimmen. 1999 betrug die gesamtschweizerische Stimmenquote der Kandidatinnen 89 und der Kandidaten 106.
    [Grafik 8]

    Analysieren wir die Stimmenquote der Kandidatinnen und Kandidaten der einzelnen Parteien, so stechen namentlich jene der SPS und des LdU hervor: Beim LdU ist die Stimmenquote der Frauen klar grösser als jene der Männer (Frauen: 108,9; Männer: 95,8), bei der SPS sind sie, grossomodo, gleich gross (Frauen: 100,6; Männer: 99,5). Bei der SPS haben die Kandidatinnen, die auf den Wahllisten zu 46,7% vertreten waren, 47% aller SPS-Stimmen erhalten. Sie haben stimmenmässig gleich stark abgeschnitten wie die Männer. Bei sämtlichen anderen Parteien waren, wie Grafik 9 zeigt, die Stimmenquoten der Männer grösser als jene der Frauen.
    [Grafik 9]

    4.2 Die Stimmenverwertungsquote der Kandidatinnen und Kandidaten
    Entscheidend bei den Wahlen ist natürlich die Umsetzung der Stimmen in Mandate; das Mass der Umsetzung wird angezeigt mit der Stimmenverwertungsquote, welche den Anteil der gewählten Frauen mit dem Anteil der Stimmen, welche die Kandidatinnen erhalten haben vergleicht. Sie zeigt an, ob die Kandidatinnen beim Mandatsgewinn eher von den Stimmen der Kandidaten profitierten oder ob sie eher «Wasserträgerinnen» für gewählte Männer waren.
    Beträgt die Stimmenverwertungsquote 100, so bedeutet dies, dass von den Kandidatinnen prozentual so viele gewählt wurden, wie sie Stimmen erhalten haben (z.B. 30% gewählte Frauen und 30% Stimmen für Kandidatinnen). Ist der Wert grösser als 100, so bedeutet dies, dass die Frauen beim Mandatsgewinn auch von den Stimmen der Männer profitierten; ist der Wert kleiner als 100, kam den Kandidatinnen die Rolle der «Wasserträgerinnen» zu.
     
     

               
              Anteil der gewählten Frauen
    Stimmenverwertungsquote 
    der Frauen                              =  ------------------------------------------------------------------    x 100
                                            Anteil der von den Kandidatinnen 
                                            erhaltenen Stimmen

       
    Grafik 10 zeigt ein ähnliches Bild wie die Wahlquote: Von 1971 bis 1999 lag die Stimmenverwertungsquote der Männer immer über 100 (zwischen 106 und 114), während sich die Stimmenverwertungsquote der Frauen steigerte (von 37 auf 78). 1999 erreichten die Kandidatinnen gesamtschweizerisch eine Stimmenverwertungsquote von 78 und die Kandidaten eine von 110. Die Frauen brachten also den Parteien deutlich mehr Stimmen ein als sie für ihre Sitze verwenden konnten; von diesem Sachverhalt profitierten die Männer, die mit niedrigeren Stimmenanteilen höhere Sitzanteile erzielten.
    [Grafik 10]
    Differenziert nach Parteien wurden einzig die Kandidatinnen der Grünen besser gewählt als dass sie Stimmen erhalten haben. Bei den anderen Parteien trugen die Frauen mehr Stimmen zum Parteiergebnis bei als dass sie mandatsmässig profitieren konnten, so die Frauen der CVP sowie, noch ausgeprägter, die Frauen der SPS und der FDP. Nur gering vermochten die Frauen der SVP ihre Stimmen in Mandate umzusetzen: Sie erhielten 16% aller SVP-Stimmen, wurden aber nur zu 7% gewählt. Siehe dazu auch Grafik 11.
    [Grafik 11]
     
     
     
    EXKURS
    Die Frauen bei den Ständeratswahlen 1998/1999 und bei den Wahlen in die kantonalen Regierungen und Parlamente (Stand: Ende 1999)

    A Die Frauen bei den Ständeratswahlen 1998/1999
    Der Ständerat besteht aus 46 Mitgliedern. Jeder Kanton ist in ihm mit zwei Mitgliedern vertreten; die Halbkantone (OW, NW, BS, BL, AI und AR) mit je einem. Die Wahl in den Ständerat erfolgt – mit Ausnahme des Kantons Jura – nach dem Majorzsystem.
    Im Ständerat sind die Frauen eher gering vertreten. Bis 1991 überschritt der Frauenanteil bei den Ständeratswahlen die 10%-Hürde nur einmal (1987). 1999 wurden 9 Frauen gewählt (1 Frau mehr als 1995); der Frauenanteil im Ständerat beträgt nun knapp 20%.

    A.1. Die gewählten Frauen nach Kantonen
    In acht Kantonen wurden Frauen in den Ständerat gewählt: Dabei ist die Ständeratsdelegation in 6 Kantonen geschlechterparitätisch zusammengesetzt (ZH, BE, LU, SG, VD, NE). Eine reine Frauenvertretung in den Ständerat schickt einzig Genf; durch eine Frau vertreten ist auch der Halbkanton Nidwalden. Reine Männerdelegationen wurden in 18 Kantonen bzw. Halbkantonen gewählt.

    A.2. Die gewählten Frauen nach Parteien
    Die parteipolitische Verteilung der 1999 gewählten Frauen ist im Ständerat anders als im Nationalrat: Von den 9 Frauen gehören 8 einer bürgerlichen Partei an (7 FDP, 1 CVP); 1 Frau ist Mitglied der SPS.
    Vergleichen wir die Frauenanteile innerhalb der ständerätlichen Deputationen, so sind die Werte der FDP ebenfalls am höchsten: Unter den FDP-Abgeordneten im Ständerat sind 41% weiblich. Bei der SPS liegt der Frauenanteil bei 17% (5 Männer, 1 Frau). Dagegen stellt die mandatstarke Partei CVP 14 Ständeräte und nur 1 Ständerätin (7%); die SVP ihrerseits ist mit 7 Männern und keiner Frau im Ständerat vertreten. Siehe auch Grafik 12.
    Grafik 12

    B Wahlen in die kantonalen Regierungen 1996/1999
    Die Regierungen der 26 Kantone und Halbkantone bestehen aus 5–7 Mitgliedern, welche meistens nach dem Majorzsystem gewählt werden. In den kantonalen Regierungen war die Frauenvertretung bislang besonders niedrig; die erste Regierungsrätin wurde 1983 gewählt. 1995 hatten 19 Frauen (und 147 Männer) kantonale Regierungsämter inne; der Frauenanteil betrug rund 11%. Ende 1999 hatten die Frauen 33 Sitze in den Kantonsregierungen; der Frauenanteil beträgt 20%. In 8 Kantonen gibt es 2, in den Kantonen Zürich und Bern 3 Regierungsrätinnen; noch 4 Kantone werden ausschliesslich von Männern regiert (SZ, NW, SH und VS).
    Die meisten Frauen in den kantonalen Regierungen gehören der FDP (13) und der SP (11) an, 4 sind Mitglied der CVP und 3 der SVP; je 1 Regierungsrätin gehört zur LP und zur GP. Werden die Frauenanteile nach Parteien verglichen, so sind die Frauen am stärksten in der SP (37%) und in der FDP (27%) vertreten. Wie Grafik 13 zeigt, machen die Regierungsrätinnen in der SVP 18% aus und in der CVP, der Partei mit den meisten Regierungssitzen, gerade noch 8%.
    Grafik 13

    C Wahlen in die kantonalen Parlamente 1996/1999
    Die Parlamente in den Kantonen bestehen aus 46 (AI) bis 200 Personen (BE, AG) und werden weitgehend nach dem Proporzsystem gewählt. In den kantonalen Parlamenten haben die Frauen 1999 24% aller Sitze inne; gegenwärtig stehen den 707 Frauen 2222 Männer gegenüber. Am höchsten ist der Frauenanteil nach wie vor in Genf; über 30% liegt er auch in Appenzell Ausserrhoden, den beiden Basel und in Obwalden. Am niedrigsten ist er, wie Grafik 14 zeigt, im Tessin; unter 15% liegt er auch in Schwyz und Glarus.
    Grafik 14

    Die parteipolitische Verteilung der gewählten Frauen in den kantonalen Parlamenten entspricht weitgehend der Verteilung im Nationalrat: Relativ viele Frauen bei der SP und den Grünen (41% bzw. 49%), deutlich weniger schon bei der FDP (20%), der CVP (18%) und der SVP (12%). Weniger als 10% beträgt der Frauenanteil bei den Rechtsparteien. Siehe weiter auch Grafik 15.
    Grafik 15

    FAZIT ZUM EXKURS:
    Zwei parteipolitische Verteilungsmuster der Frauenrepräsentation
    Aufgrund der Ausführungen über die Nationalratswahlen und des Exkurses über die Frauenrepräsentation im Ständerat und in den kantonalen Institutionen kann festgehalten werden, dass es zwei unterschiedliche parteipolitische Verteilungsmuster der gewählten Frauen gibt:
    1) Das parteipolitische Verteilungsmuster im Nationalrat und in den kantonalen Parlamenten zeichnet sich dadurch aus, dass sich die meisten gewählten Frauen bei der SPS und den Grünen finden, gefolgt von der FDP und der CVP. Dagegen weisen die SVP und namentlich die Rechtsparteien nur niedrige Frauenanteile auf.
    2) Das parteipolitische Verteilungsmuster im Ständerat und in den kantonalen Regierungen umfasst nur wenige Parteien, wobei SP und FDP die meisten Frauen haben. Dagegen kommen die Frauen der CVP und der SVP kaum zu Mandatsehren.
    Der Hauptgrund für diese verschiedenen parteipolitischen Verteilungsmuster dürfte im Wahlsystem zu suchen sein, werden doch der Nationalrat und die kantonalen Parlamente nach dem Proporzsystem gewählt, der Ständerat und die kantonalen Regierungen dagegen in den meisten Fällen nach dem Majorzsystem,

    Frauen in Majorzwahlen: FDP (und SP) vorne
    Majorzwahlen haben die Eigenheit, dass hauptsächlich die grossen Parteien reüssieren: Dies zeigt sich deutlich anhand der Dominanz der bürgerlichen Parteien, welche – meistens dank Wahlbündnissen – sowohl im Ständerat wie auch in den Kantonsregierungen die grosse Mehrheit der Mandate innehaben.
    Interessant ist nun die einsame Spitzenposition der FDP unter den bürgerlichen Parteien in Sachen Frauenrepräsentation. Diese könnte dadurch erklärt werden, dass die Frauen der FDP das Nominationsproblem schon teilweise gelöst haben und daher den Schritt zur Kandidatur leichter schaffen als die Frauen bei den anderen bürgerlichen Parteien. Und ist dieser Schritt einmal geschafft, so sind die Hürden auf dem Weg zur Wahl nicht mehr gross, da das Majorzsystem Veränderungen der Wahllisten nicht ohne Stimmenverluste zulässt. Dagegen stellt bei den Frauen der CVP und der SVP offensichtlich bereits die Nomination eine recht grosse Hürde dar.
    SP und vor allem die Grünen wiederum haben bei den Majorzwahlen generell nur beschränkte Chancen. Wenn die rotgrünen Parteien jedoch Mandate gewinnen, so schneiden deren Frauen etwa gleich gut ab wie die Frauen der FDP.

    Frauen in Proporzwahlen: SP und Grüne vorne
    Bei Wahlen nach dem Proporzsystem – für den Nationalrat und die kantonalen Parlamente – haben die FDP-Frauen (wie auch die Frauen der anderen bürgerlichen Parteien) grössere Probleme: Hier können die Wählenden mit den Mitteln der individuellen Listenveränderung stärker eingreifen, was bei den meisten Parteien, besonders aber bei den bürgerlichen Parteien, per saldo deutlich zuungunsten der Kandidatinnen geschieht. Die Frauen der FDP, der CVP und besonders der SVP haben also ein Wahlproblem, d.h. sie werden offensichtlich von den Wählenden noch nicht ganz akzeptiert und in den Wahlen voll unterstützt. Dieses Wahlproblem stellt sich bei den Kandidatinnen der rot-grünen Parteien weniger stark, weshalb die Frauen der SPS und der Grünen leichter und zahlreicher in den Nationalrat und die kantonalen Parlamente gewählt werden.
     
     

    SCHLUSSBEMERKUNGEN  ZU DEN NATIONALRATSWAHLEN 1999

    1. Der Empfehlung der eidg. Frauenkommission, wonach die Frauen auf den Wahllisten zu 50% vertreten sein sollten, wurde bei den Nationalratswahlen 1999 nur in jedem vierten Fall Folge geleistet. Und auch dem (vom Parlament allerdings fallengelassenen) Vorschlag der staatspolitischen Kommission des Nationalrates, wonach der Frauenanteil auf den Wahllisten 33% betragen sollte, wurde nur bei gut jeder zweiten Wahlliste nachgekommen. Jede zehnte Wahlliste wurde gar ohne eine einzige Frau aufgestellt.
    Das Nominationsproblem für Frauen besteht also nach wie vor, wobei das Verteilungsmuster bei den nominierten Frauen auf den Wahllisten deutlich parteipolitische Konturen trägt: Am meisten Frauen auf den Wahllisten haben die Grünen und die SPS, gefolgt von der CVP und der FDP; das Schlusslicht bilden SVP und die kleinen Rechtsparteien.

    2. Frauen werden nicht nur weniger häufig als Kandidatinnen nominiert, sie werden auch meistens weniger häufig gewählt: Die «statistische» Chance, gewählt zu werden, war 1999 für die Frauen 1,7-mal kleiner als für die Männer. Das Wahlproblem stellt sich bei den Frauen fast aller Parteien, ausgenommen bei den Grünen, die allerdings nur wenige Mandate haben. Die «statistische Wahlchance» ist für die Frauen der SPS 1,3-mal kleiner als für die Männer; für die FDP- und die CVP-Frauen sind sie 1,6-mal kleiner und für die SVP-Frauen gar 4-mal kleiner als für die SVP-Männer.
    Der Grund für die schlechteren «statistischen Wahlchancen» der Frauen ist ein doppelter: Einerseits erhalten die Frauen prozentual weniger Stimmen als die Männer, und andrerseits vermögen die Frauen ihre Stimmen weniger optimal in Sitze umzumünzen. Eine Gegenstrategie zur Verbesserung der Wahlchancen muss diesem «Doppelcharakter» Rechnung tragen und darf sich nicht darauf beschränken, die Frauen verstärkt ins politische Rampenlicht zu stellen; sie muss sich vermehrt auch darauf konzentrieren, Spitzenkandidatinnen aufzubauen, welche reale Chance haben, gewählt zu werden.
     
     
     

       
      *Werner Seitz, Dr. phil., Politologe, leitet als wissenschaftlicher Adjunkt im Bundesamt für Statistik den Bereich «Wahlen und Abstimmungen». Jüngste Publikation: Bundesamt für Statistik (Hg.), Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1999. Entwicklung seit 1971, Neuchâtel 2000.