Werner Seitz
Strategien und Wahlchancen der roten, grünen und Mitte-Parteien nach einer Verkleinerung des Gemeinderates der Stadt Bern von 7 auf 5 Sitze. Eine Modellrechnung (2002)
   
 
1. Methodisches zur Datenbasis der Modellrechnung

Zuerst ist abzuklären, ob und inwieweit die Wahlergebnisse der Stadt Bern bei den Stadtrats-, Grossrats- und Nationalratswahlen als Vergleichs- bzw. Referenzgrössen für die Gemeinderatswahlen verwendet werden können. Das Augenmerk richtet sich dabei auf die Ergebnisse der Wahlen zwischen 1995 und 2002 in der Stadt Bern.
Ein Vergleich der Ergebnisse der RGM-Parteien bei den Nationalrats-, Grossrats- und Stadtratswahlen mit jenen bei den Gemeinderatswahlen zeigt, dass die Wähleranteile für das RGM-Lager – trotz recht unterschiedlicher Wahlbeteiligung – sehr ähnlich sind:

  • Bei den Gemeinderatswahlen 1996 legten 55% die RGM-Liste ein; bei den gleichzeitig stattfindenden Stadtratswahlen wurde etwa gleich stark für die RGM-Parteien votiert. Dies trifft grossomodo auch für die Grossratswahlen 1998 zu; bei den Nationalratswahlen 1995 war die Unterstützung für die RGM-Parteien knapp 2 Punkte niedriger.
  • Bei den Gemeinderatswahlen 2000 legten 54% die RGM-Liste ein; bei den gleichzeitig stattfindenden Stadtratswahlen und bei den Nationalratswahlen 1999 wurde etwa gleich stark für die RGM-Parteien votiert. Bei den jüngsten Grossratswahlen 2002 allerdings wählten fast 4 Prozentpunkte mehr für die RGM-Parteien.
Die entscheidende Frage ist nun, inwieweit die Stimmenanteile der einzelnen RGM-Parteien als Basis für eine Modellrechnung genommen werden können. Betrachten wir die unterschiedlichen Stimmenanteile, welche von den einzelnen Parteien bei den verschiedenen Wahlen erzielt wurden, finden wir bei den jüngsten Wahlen (NRW99, STRW00, GRW02) für die meisten Parteien je ein bestes und ein schlechtestes Ergebnis:
  • Die SP holte bei den NRW99 mit fast 38% ihr bestes Ergebnis seit 1988, bei den GRW02 fuhr sie mit 30% ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1994 ein.
  • Gewissermassen umgekehrt verhält es sich bei GB/JA/GPB: Mit 15% erzielte GB/JA/GPB bei den GRW02 das beste Ergebnis, die 11% der STRW00 entsprechen der Parteistärke seit 1996.
  • Der GFL werden 50% der Stimmen des ehem. LdU zugeschlagen. Auch mit dieser nachträglichen Umverteilung stellen die GRW02 (9%) das beste GFL-Ergebnis seit 1992 dar. Dagegen markieren die knapp 6% der STRW00 die untere Markierung der 90er Jahre.
  • Der EVP werden, wie der GFL, 50% der Stimmen des ehem. LdU zugeschlagen. Auch mit dieser nachträglichen Umverteilung zeigen die GRW02 eines der besten Ergebnisse der EVP an (4%), die STR00 eines der schlechtesten Ergebnisse (3%).
Fazit zur Datenbasis
Da die Ergebnisse der jüngsten Wahlen (Stadtrats-, Grossrats- und Nationalratswahlen) für die meisten Parteien das beste und das schlechteste Ergebnis seit den 90er Jahren beinhalten, können sie als Referenzgrösse verwendet und in die Modellrechnung eingebaut werden (STRW00, GRW02 und NRW99). Damit wird namentlich den möglichen (weil schon einmal mobilisierten) Stimmenpotenzialen der einzelnen Parteien Rechnung getragen; Trends, welche über diese Potenziale hinausweisen mögen, werden nicht berücksichtigt.

Annahme: Bei den Modellrechnungen wird von der Annahme ausgegangen, dass die bürgerlichen und rechten Parteien mit einer Einheitsliste antreten bzw. dass der bürgerlichen Liste von rechts keine namhafte Opposition entsteht.
Proporzionale Mandatsverteilung gemäss Hagenbach-Bischoff und Berechnung der Schwellenwerte
 
  
 
 

2. Ergebnisse der Modellrechnung
    (siehe dazu im Anhang die Tabelle mit der Synthese der Berechnungen)

   
Variante 1:
Die roten, grünen und Mitte-Parteien treten mit vier Wahllisten an: «SP» – «GB/JA» – «GFL» – «EVP»

  • Basis der NRW99: entfällt (wegen grüner Einheitsliste)
  • Basis STRW00: Die Bürgerlichen kommen zum Handkuss: Sie holen 3 Mandate, die SP 2.
  • Nehmen wir dagegen die jüngsten Grossratswahlergebnisse, so behält die SP ihre 2 Mandate und das GB holt das dritte Mandat.
Variante 2a:
GFL und EVP treten mit einer gemeinsamen Liste an; GB und SP kommen je alleine (drei Wahllisten)
  • Basis der NRW99: entfällt
  • Basis STRW00: Es kommen erneut die Bürgerlichen zum Zug: 3 Mandate für die Bürgerlichen, 2 Mandate für die SP.
  • Basis GRW02: Die SP holt 2 Mandate, das GB 1.
Variante 2b:
Grüne (GB, GFL) treten mit einer gemeinsamen Liste an; die EVP kommt alleine (drei Wahllisten)
  • Basis NRW99: Es kommen erneut die Bürgerlichen zum Zug: 3 Mandate für die Bürgerlichen, 2 für die SP.
  • Basis STRW00 und GRW02: Die SP holt 2 Mandate, die Grünen 1 Mandat.
Variante 3:
Grüne und EVP treten mit einer gemeinsamen Liste an; die SP kommt alleine (zwei Wahllisten)
  • Bei dieser Variante entfallen in allen drei Fällen 2 Mandate an die SP und 1 an die Liste Grüne/EVP.
Variante 4:
RGM-Einheitsliste
  • In allen Fällen: 3 sichere Mandate für die RGM-Liste (bereits in der ersten Verteilungsrunde). Parteizuteilung gemäss Listengestaltung und Wahlergebnis.
Fazit
Werden bei den Wahlen in einen auf 5 Sitze verkleinerten Gemeinderat die jüngsten Grossratsergebnisse 2002 als Basis genommen, so ist die Verteilung, unabhängig von den Bündnis-Strategien der Parteien, immer dieselbe: 2 Mandate für die SP und 1 für die Grünen, meistens das GB. (Ausnahme: eine parteienübergreifende Liste – Variante 2b, 3 und 4 –, auf der ein Mandat auch einer anderen Partei zukommen könnte. Bei einer solchen Liste gibt das persönliche Ergebnis der Kandidierenden den Ausschlag).

Bei den anderen beiden Datenbasen (NRW99, STRW00) gibt die Strategie der Grünen/EVP den Ausschlag, ob die Stadt Bern von einer rotgrünen, einer RGM- oder einer bürgerlichen Mehrheit regiert wird: Ein Alleingang der drei Parteien (GB, GFL und EVP) bewirkt eine bürgerliche Mehrheit, ein Zusammengehen dagegen ein sicheres Mandat für EVP/Grüne. Ein Alleingang der EVP kann bereits den grünen Sitz gefährden, genauso wie ein getrenntes Antreten GB– GFL/EVP.
 
 
   
 

3. Schluss

1. Die SP wird, aufgrund der vorliegenden Daten, bei einer Verkleinerung des Gemeinderates von 7 auf 5 in jedem Fall zwei Mandate erhalten; dies ist selbst bei der Variante auf der Basis der jüngsten Grossratswahlen der Fall. In keiner der durchgerechneten Varianten jedoch kommt die SP auf 3 Mandate.
Bei den Grossratswahlen 2002 lag die SP in der Stadt Bern jedoch nur noch knapp vor der Gruppe «GB, GFL und EVP». Rechnen wir dieses Ergebnis auf die Gemeinderatswahlen hoch, so dürften einige wenige hundert Wählende genügen, die von der SP zu den Grünen wechseln, damit die SP ihr zweites Mandat an die Grünen verliert.

2. Ob die Stadt Bern von einer rotgrünen, einer RGM- oder einer bürgerlichen Mehrheit regiert wird, hängt vom Vorgehen von GB, GFL und EVP ab. Kandidieren sie auf einer gemeinsamen Wahlliste, haben sie zusammen ein sicheres Mandat und die rotgrüne bzw. RGM-Regierungsmehrheit ist gesichert. Je nach Szenario kann bereits ein Alleingang der EVP und/oder der GFL das dritte «RGM»-Mandat gefährden.
Die grössten Chancen auf das dritte Mandat hat das GB. Dagegen können sich EVP und GFL nur Chancen in einem parteiübergreifenden Bündnis ausrechnen, das heisst: auf einer gemeinsamen Liste mit dem GB oder mit dem GB und der SP.

3. Diese Modellrechnung basiert auf der Annahme, dass die bürgerlichen und rechten Parteien mit einer Einheitsliste antreten bzw. dass der bürgerlichen Liste von rechts keine namhafte Opposition entsteht. Kommen Bürgerliche und Rechte mit getrennten Listen, sind die Aussichten für die roten, grünen und Mitte-Parteien besser.
Mit noch grösserer Vorsicht muss – mit der vorliegenden Datenbasis – jene Variante analysiert werden, für welche sich weiland der LdU stark machte: die Mitte zwischen links und rechts. Denn würde sich eine solche «Mitte»-Liste aus den Parteien GFL, EVP und FDP bilden, dürfte diese Allianz wohl kaum mehr alle bisherigen elektoralen Segmente zur Rechten und zur Linken an sich binden können. Werden trotzdem – auf dem politologisch-statistischen Reissbrett – alle ehem. GFL-, EVP- und FDP-Wählende der letzten Stadtrats- und Grossratswahlen für diese «Mitte» aufaddiert, und die Sitze auf drei Listen verteilt, so würde die Liste SP/GB auf der Basis der Stadtratswahlen 2000 3 Mandate erhalten, die «Mitte»-Liste erhielte 1 und die rechte Liste (SVP, CVP, kleine Rechte) ebenfalls 1. Auf der Basis der Grossratswahlen 2002 entginge einer SP/GB-Liste dieses 3. Mandat knapp, die rechte Liste erhielte 1 Mandat, die «Mitte» 2 (parteipolitische Zuteilung offen).
 

Anhang:
Tabelle mit den Ergebnissen einer fiktiven Verteilung von 5 Sitzen des Berner Gemeinderates auf der Basis der Berner Wahlergebnisse bei den Nationalratswahlen 1999, Stadtratswahlen 2000 und Grossratswahlen 2002.
Die Tabelle mit den konkreten Verteilungsschritten kann beim Autor bezogen werden.
 
 
 

Werner Seitz / 12. Juli 2002