«Der Aufruhr nützt dem Blocher-Flügel»
SVP / Aufstand und Aussprachen hin oder her: Werner Seitz, Politologe und Bereichsleiter «Wahlen und Abstimmungen» im Bundesamt für Statistik, glaubt nicht, dass sich die liberalen Kräfte in der SVP durchsetzen werden. Im Gegenteil: Der Aufruhr ermöglicht es dem Zürcher Flügel zu demonstrieren, wer Platzhirsch ist.

in Der Bund, 28. Oktober 1998  (Interview: Barbara Ritschard, Bild: Monika Flückiger).


«bund»: Herr Seitz, der Aufstand des liberalen Flügels in der SVP dauert nun schon seit zwei Wochen an. Im Unterschied zu früheren Auseinandersetzungen dämpft diesmal niemand ab. Was ist los?

Werner Seitz: In der Politik Christoph Blochers ist seit einiger Zeit eine Radikalisierung feststellbar. Früher attackierte er die anderen Parteien; heute wendet er sich gegen die liberalen Kräfte innerhalb der SVP. So wird SVP-Bundesrat Adolf Ogi beispielsweise systematisch lächerlich gemacht. Die Verunglimpfungen durch Blocher nehmen zu; er expandiert jetzt frontal und unversöhnlich gegen innen. Deshalb sind die Reaktionen der Berner und der liberalen Kräfte in der SVP notwendig geworden.

«bund»: Was hat Christoph Blocher davon, wenn er gegen innen expandiert?
Seitz: Sein Flügel ist bei Wahlen klar der erfolgreichere. Nun will Blocher in der Partei offensichtlich das uneingeschränkte Sagen haben. Dabei sind ihm die Berner im Weg.

«bund»: Zurzeit melden sich diese liberalen Kräfte jedoch sehr medienwirksam zu Wort. Gestern etwa legte Fraktionschef Samuel Schmid seine Haltung in der NZZ dar, Myrtha Welti gab ihre Nationalratskandidatur als liberale SVP-Vertreterin im Bündnerland bekannt, der Vorstand der SVP Burgdorf stellte sich hinter Ogi, die Dübendorfer Parteipräsidentin kritisierte Blocher öffentlich. Haben sie Chancen mit ihrem Hosenlupf?
Seitz: Diese Aktionen haben aus meiner Sicht eher etwas Defensives. Sie sind nur Reaktion auf eine Provokation von Zürich. Mittlerweile kann sich Blocher - wie er sagt - die SVP nämlich durchaus als Oppositionspartei vorstellen. Das ist qualitativ neu. Ich weiss nicht, wie ernst es ihm damit ist; aber die andere SVP fühlt sich in ihrem Politikverständnis in Frage gestellt.
Ist es nicht einfach so, dass die SVP auf ein bewährtes Rezept zurückgegriffen hat, um in die Medien zu kommen? Immerhin hat der parteiinterne SVP-Streit mehr Schlagzeilen gemacht als die SP mit ihrem Parteitag.
Dem Blocher-Flügel nützt der Aufruhr: Er kann markieren, wer Platzhirsch ist. Wo die SVP frech und provokativ auftritt, gibt es Wahlerfolge. Aber für die stolze Berner SVP als Regierungspartei ist das Ganze eine Demütigung. Schaden tut es ihr aber wohl bei den Wahlen 1999 im Kanton Bern nicht. Denn die SVP hat im Kanton Bern noch keine Konkurrenz von Blocher.

«bund»: Die Berner haben eine parteiinterne Aussprache verlangt: Was können sie sich davon erhoffen?
Seitz: Die Blocher-Politiker haben mit ihren Wahlerfolgen die besseren Trümpfe. Sie haben gar kein Interesse zu diskutieren; der liberale Flügel ist am kürzeren Hebel.

«bund»: Ist eine Spaltung der SVP überhaupt denkbar?
Seitz: Brüche müssen von beiden Seiten gut überlegt sein, und ich bin mir nicht sicher, ob beide Seiten ein Interesse an einem Bruch hätten. Ich gehe davon aus, dass sich die Berner von der Zürcher SVP-Basis in ihrer Haltung nicht wesentlich unterscheidet. Sollten die Berner Parteioberen mit dem Zürcher Flügel brechen, könnte Blocher hier problemlos eine Berner SVP nach seinem Geschmack aufbauen. Die liberalen SVP-Kräfte riskieren dabei, klar den kürzeren zu ziehen. Dann stellte sich die Frage, ob eine solche Restpartei von ihrer Grösse her überhaupt noch in die Landesregierung gehört. Interessant wird es für die liberalen Kräfte in der SVP erst wieder im Kontext einer grösseren Umgruppierung in der Parteienlandschaft; bei FDP und CVP ist ja auch einiges im Fluss. Mittelfristig könnten sich die drei bürgerlichen Parteien in einen reformfreudigen und einen konservativen Flügel aufspalten. In einer solchen Parteienlandschaft fänden die liberalen SVP-Kräfte wieder ihren Platz.

«bund»: Noch sind Generalsekretär Martin Baltisser und Parteisprecher Jean-Blaise Defago in den Ferien. In der SVP ist gefordert worden, den beiden Dissidenten zu künden, wenn sie zurückkommen. Kann es sich eine Partei ein Jahr vor den Wahlen leisten, das Generalsekretariat neu zu besetzen?
Seitz: Ich denke, das brächte die Partei nicht ins Schleudern. Aber ich glaube nicht, dass es nötig sein wird. Die Machtverhältnisse in der SVP sind zu klar.
 
 
 

 
SVP: Machtkampf hält an
Parteipräsident Ueli Maurer möchte die Kritiker des liberalen Flügels am Blocherkurs zum Schweigen bringen.
bar. Zwei Tage, nachdem SP-Parteipräsidentin Ursula Koch ihre Kritiker gemassregelt hat, tut es ihr SVP-Parteipräsident Ueli Maurer fast wortwörtlich nach: Wer parteiinterne Kritik habe, solle diese als Antrag formulieren und beim Parteipräsidium zuhanden der Parteigremien einreichen, teilte er den Präsidenten und Sekretären der Kantonalparteien, den Fraktionsmitgliedern, dem leitenden Ausschuss und dem Zentralvorstand gestern in einem Brief mit.
Burgdorf dankt Schmid
Ob sich der liberale Flügel der Blocher-Partei an die Weisungen halten wird, ist fraglich. Gestern jedenfalls meldete sich der Vorstand der SVP Burgdorf mit einem offenen Brief an Fraktionschef Samuel Schmid bei den Medien und markierte so seine liberale Haltung. Zu Wort gemeldet hat sich auch die Parteipräsidentin der SVP Dübendorf. Auch in Zürich gebe es SVP-Mitglieder, die mit Stil und Inhalten des Blocher-Flügels nicht einverstanden seien, sagte sie dem «Tages-Anzeiger».
«Aufruhr nützt Blocher»
Im Gespräch mit dem «Bund» relativiert der Politologe Werner Seitz, Bereichsleiter Wahlen und Abstimmungen im Bundesamt für Statistik, die aufmüpfigen Töne. Der Aufruhr nütze weniger den liberalen Kräften in der SVP als vielmehr dem Zürcher Flügel: «Blocher kann markieren, wer Platzhirsch ist.» Die Kräfteverhältnisse in dieser Partei seien so klar, dass es die Berner, Bündner und sonstigen liberalen Gruppierungen niemals auf eine Kraftprobe ankommen lassen dürften. Seitz glaubt, dass die Zürcher SVP etwa im Kanton Bern problemlos eine Filiale nach ihrem Gusto eröffnen könnte - eine, die deutlich stärker wäre als die liberale Gruppe.