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 Werner Seitz*
Der Wandel der Parteienlandschaft im Kanton Bern (1919–1999)
Die Hochs und Tiefs der Berner Parteien
in Berner Zeitung, 17. November 2001.

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Der Aufstieg der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei; linke Konkurrenz für die SP; Bewegung am rechten Rand: Ein Politologe erklärt, was in der Berner Parteienlandschaft in den letzten Jahrzehnten passiert ist.

Wie sich die Parteienlandschaft im Kanton Bern verändert hat, kann am besten mit den Ergebnissen der Nationalratswahlen beantwortet werden. Bei der Ausmarchung haben nämlich alle Gemeinden dasselbe Parteienangebot.
In den letzten Nationalratswahlen von 1999 holten SVP und SP im Kanton Bern je knapp 30 Prozent der Stimmen und waren damit wieder einmal die stärksten. Ihnen folgten die FDP (17 Prozent) und die Grünen (8 Prozent). Die kleinen Rechtsaussen-Parteien (SD, EDU und FP) kamen zusammen auf 11 Prozent, die EVP auf 4 Prozent. Abgesehen von den Grünen und den kleinen Rechtsparteien existieren diese Parteien im Kanton Bern schon seit gut achtzig Jahren.

Als die Nationalratswahlen 1919 erstmals nach dem Proporzsystem durchgeführt wurden, war die SVP erst zwei Jahre alt und nannte sich noch Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB). Gleich bei ihrem ersten Wahlauftritt schaffte diese Partei das Unerwartete: Sie eroberte auf Anhieb 46 Prozent aller Stimmen im Kanton Bern und etablierte sich als stärkste Partei. Bis 1935 erreichte die BGB bei den Nationalratswahlen meistens mehr als 40 Prozent aller Stimmen.
1935 aber brach sie auf 30 Prozent ein. Grund dafür war die Schweizerische Bauernheimatbewegung, die so genannten Jungbauern, die sich unter Führung des eigenwilligen und charismatischen Emmentaler BGB-Nationalrates Hans Müller mit einer eigenen Liste an den Nationalratswahlen beteiligte und 10 Prozent der Stimmen einheimste. Die Jungbauern wollten die Wirtschaftskrise mit staatlichen Lohn- und Preisstützungen bekämpfen und lancierten deshalb zusammen mit den Gewerkschaften die Kriseninitiative, die im Kanton Bern auch angenommen wurde. Später arbeiteten sie im Rahmen der gesamtschweizerischen Richtlinienbewegung auch mit den Linksparteien zusammen. Das war für die BGB zu viel und man trennte sich von den Jungbauern, integrierte 1938 dafür aber die SP in die Regierung. Die Jungbauern konnten ihr gutes Wahlergebnis vorerst nochmals bestätigen; ihre Hochburgen waren die Bezirke Erlach, Schwarzenburg, Obersimmental und Seftigen, wo sie rund jede fünfte Stimme erhielten. 1947 traten die Jungbauern nicht mehr zu den Nationalratswahlen an und verschwanden alsbald als Partei. Erstaunlicherweise konnte die BGB die Stimmen der Jungbauern nur teilweise zurückholen und die Parteistärke der BGB bewegte sich bis 1967 kontinuierlich von 35 gegen 30 Prozent. Seither schwankte die Parteistärke der SVP, wie sie seit 1971 nun heisst, zwischen 26 und 32 Prozent. Das beste Ergebnis der letzten dreissig Jahren erzielte sie 1979, das schlechteste 1991 und 1995.

Wahlerfolge für die SP
Während die Parteistärke der SVP in den letzten achtzig Jahren von 46 Prozent auf 29 Prozent sank, erzielte die SP, die zweite grosse Partei im Kanton Bern, bei den Wahlen von 1999 mit 28 Prozent dasselbe Ergebnis wie schon 1919. Dazwischen aber konnte sie beträchtliche Wahlerfolge feiern, der grösste fand 1947 statt, als die SP gar die 40-Prozent-Grenze überschritt. Zu diesem besten Ergebnis dürften auch die nicht mehr kandidierenden Jungbauern beigetragen haben, welche teilweise auch von der SP beerbt werden konnten. Von 1943 bis 1975 war die SP die stärkste Partei im Kanton Bern, nachher musste sie diese Position wieder an die SVP abtreten. Bei den jüngsten Nationalratswahlen haben sich die beiden grossen Parteien bezüglich ihrer Stärke angeglichen, bei einem leichten Vorteil für die SVP. Schwankten die Parteistärken von SVP und SP zwischen 1919 und 1999 bis zu je 20 Prozentpunkten, so war die Parteistärke der FDP ausgesprochen stabil: Sie bewegte sich in diesen achtzig Jahren nur gerade zwischen 14 und 19 Prozent; von 1947 bis 1975 lag sie gar konstant bei 17 Prozent. Die dritte bürgerliche Partei, die CVP, hielt sich bis 1975 bei rund 6 Prozent. Nach der Abtrennung des Kantons Jura (1979) und dem Wechsel des Laufentals zum Kanton Baselland, beides CVP-Hochburgen, wurde die CVP zu einer 2-Prozent-Partei.

Verdrängter Landesring
In den 30er-Jahren tauchte neben den Jungbauern eine weitere neue Partei auf, der Landesring der Unabhängigen (LdU), der mit seiner unkonventionellen Politik von 1935 an stetig mehr Wählende anzusprechen vermochte. Seinen Höhepunkt erreichte er 1967, als ihn über 7 Prozent im Kanton Bern wählten. Ab den 70er-Jahren büsste der LdU an Attraktivität ein und er wurde sukzessive von den neuen 68er-Parteien und darauf von den Grünen verdrängt. Nach dem Wahldebakel von 1999 löste sich der LdU auf. Demgegenüber vermochte die EVP, die in Bern erst in den 60er-Jahren Fuss fasste, beharrlich zwischen 3 bis 4 Prozent zu halten. In den 70er-Jahren setzte eine markante Auffächerung des Parteiensystems ein, wie sie in den meisten Kantonen und westlichen Ländern festgestellt werden konnte.

Linke Konkurrenz für SP
Auf der linken Seite erhielt die SP vorerst Konkurrenz von den 68er-Linken, namentlich der POCH, und der Demokratischen Alternative DA!, einer Vorläuferin der Grünen. In den 80er-Jahren schossen die Grünen dann in Bern wie Pilze aus dem Boden: Es gab neben der Demokratischen Alternative, die sich heute GP-Bern nennt, die liberale GFL (Grüne Freie Liste) und das linke Grüne Bündnis. Zusammen erreichten diese Grünen bei den Nationalratswahlen 1987 und 1991 mehr als 10 Prozent aller Stimmen; bei den jüngsten Wahlen verzeichneten sie noch eine Parteistärke von knapp 8 Prozent. Dass die Grünen der SP Wählerstimmen abgejagt haben, lässt sich daraus schliessen, dass bei den Wahlen von 1987 und 1991, als die Grünen ihre besten Ergebnisse einfuhren, die SP ihre schlechtesten Resultate verzeichnete. Per saldo umfasst das rot-grüne Segment seit Jahrzehnten knapp 35 Prozent. Im Zuge der Diskussionen über die Zahl der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz in den 60er-Jahren entstanden auch in Bern nationalistische Rechtsparteien. In den 70er-Jahren waren dies die Republikaner von James Schwarzenbach und die Nationale Aktion von Valentin Oehen, die sich heute Schweizer Demokraten nennen. Beide Parteien banden in den 70er-Jahren zwischen 3 und 6 Prozent der Wählenden an sich.

Die Autopartei fährt auf
In den 80er-Jahren betrat die Autopartei die politische Bühne und avancierte vorübergehend zur stärksten Rechtspartei; 1999 aber fuhr sie - nun unter dem Namen Freiheitspartei - mit 3 Prozent auf den Pannenstreifen. Weniger spektakulär war der Aufstieg der dritten Rechtspartei, der EDU, welche 1975 nach einer Abspaltung von den Schwarzenbach-Republikanern gegründet wurde. Die EDU steigerte sich kontinuierlich von 1 auf 4 Prozent. Die Rechtsparteien erreichten in den 90er-Jahren rund 15 Prozent und sind so zusammen stärker als die Grünen. Vergleichen wir die Stimmengewinne der Rechtsparteien mit den Stimmenverlusten der SVP, so können wir schliessen, dass diese nur zum Teil zu Lasten der SVP gingen; es ist anzunehmen, dass diese Rechtsparteien auch im Segment der traditionellen SP Anhänger gefunden haben.
 
 

Die regionalen Hochburgen

SVP: In den 20er-Jahren hatte die SVP in zwanzig der dreissig Bezirke des Kantons Bern zwischen 50 und 80 Prozent der Stimmen erhalten. Heute hat sie nur noch in Signau die absolute Mehrheit inne, in den meisten anderen Bezirken aber ist die SVP immer noch die stärkste Partei und in Interlaken vermochte sie der SP und der FDP gar eine ihrer Hochburgen zu entreissen. Unterdurchschnittlich vertreten ist die SVP in den Städten Bern und Biel, in den drei Bezirken des Südjuras und in Nidau.

SP: Gewissermassen komplementär zur SVP finden sich die Hochburgen der SP in den beiden Städten Bern und Biel, in den Bezirken Nidau, Burgdorf, Fraubrunnen und Büren sowie im Südjura. Im Vergleich zu den 40er-Jahren, als die SP in Bern und Biel mehr als 50 Prozent der Stimmen erhielt, ist die SP allerdings etwas schwächer geworden; profitiert von diesem Prozess dürften die kleinen Linksparteien und vor allem die Grünen haben, aber auch die kleinen Rechtsparteien.

FDP: Die Hochburgen der FDP sind jenen der SP ähnlich. In den 20er-Jahren hatten die Freisinnigen namentlich in Biel und in den Bezirken des Südjuras und im Laufental Heimvorteil, im Verlaufe der Jahrzehnte sind diese Hochburgen etwas schwächer geworden, dafür hat die FDP in Bern, Nidau und Wangen zugelegt.

CVP: In den drei nordjurassischen Bezirken und im Laufental verfügte die CVP während Jahrzehnten über eine deutliche, bisweilen sogar absolute Mehrheit der Stimmen. Mit der Abtrennung des Kantons Jura (1979) und dem Wechsel des Laufentals zum Kanton Baselland verlor die CVP ihre traditionellen Hochburgen.

Die Hochburgen des LdU befanden sich in Bern und Biel, aber auch in Interlaken und Nidau. Seit Jahrzehnten erhält die EVP rund 10 Prozent aller Stimmen in Frutigen; überdurchschnittlich viele Wählende findet die EVP auch in Thun, Trachselwald, Konolfingen sowie in Aarwangen.

Grüne: Die liberale GFL vermag mehr Wählende für sich zu mobilisieren als das linke GB und haben auch andere «Hochburgen». Während das GB am stärksten in den Städten Bern und Biel ist, holt die GFL ihre meisten Stimmen nicht nur in Bern, sondern auch in Burgdorf und den eher ländlichen Bezirken wie etwa Aarberg, Erlach, Seftigen und Fraubrunnen, Konolfingen und Seftigen.

Kleine Rechtsparteien: Grösser als bei den Grünen sind die Unterschiede bei den kleinen Rechtsparteien, und zwar in ideologischer Hinsicht wie auch bezüglich der regionalen Verankerung. Die Schweizer Demokraten erhielten seit den 70er-Jahren überdurchschnittlich viele Stimmen in den Städten Bern, Biel und Thun; in den 90er-Jahren kam noch das Oberland dazu, namentlich Interlaken.
Ausgeprägte Hochburgen hat die EDU in Frutigen und im Obersimmental (bis zu 16 Prozent) und in Trachselwald (knapp 10 Prozent). Die Freiheitspartei fand ihre Wählenden in den 90er-Jahren hauptsächlich in den Städten Bern und Biel sowie in Nidau und auch in Büren.
 


 

* Werner Seitz
Der 1954 geborene Politologe arbeitet beim Bundesamt für Statistik. Er leitet dort den Bereich «Wahlen und Volksabstimmungen». Werner Seitz ist Verfasser mehrerer Studien über die Entwicklung der Parteienlandschaft in der Schweiz.