Startseite > Frauen in der Politik > Einführung Frauenstimmrecht > Einführung des Frauenstimmrechts. Hintergründe und Entwicklung seit 1971

 

 

Werner Seitz*
Dreissig Jahre Frauen in der Politik: «Stand und Entwicklung der politischen Frauenvertretung»
in Neue Zürcher Zeitung, 7. Februar 2001.

Genau dreissig Jahre ist es her, dass zwei Drittel der Schweizer Männer sowie 14 Kantone und 3 Halbkantone in der Volksabstimmung vom 7. Februar 1971 Ja zum Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene sagten. Die Schweiz hat diesen Demokratisierungsschritt als eines der letzten Länder vollzogen. Der folgende Beitrag weist auf regionale politisch-kulturelle sowie parteipolitische Faktoren hin, die Einfluss auf Stand und Entwicklung der politischen Frauenvertretung in der Schweiz nehmen.

Die Schweiz hat sich in den letzten Jahren hinsichtlich der Vertretung von Frauen in der Politik im europäischen Vergleich im vordersten Drittel placiert. Doch der Elan der neunziger Jahre scheint nachzulassen: In jüngster Zeit standen Mandatsträgerinnen häufiger als ihre Amtskollegen in der öffentlichen Kritik und wurden relativ brutal abgewählt. Dies ist eine schlechte Voraussetzung für eine weitere Verbesserung der Repräsentation von Frauen, liegen doch die Frauenanteile in der Politik mit 20 bis 25 Prozent noch weit vom Ziel der Parität entfernt. Es sind vor allem regionale politisch-kulturelle und parteipolitische Faktoren, die den Frauenanteil in der Politik beeinflussen.

Späte Demokratisierung
Als die Schweizer Männer 1971 an der Urne Ja zum Frauenstimmrecht sagten, vollzog die Schweiz einen Schritt, den die meisten europäischen Länder bereits in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gemacht hatten. Seit 1952 kannten in Europa neben der Schweiz nur noch Portugal und das Fürstentum Liechtenstein kein Frauenstimmrecht. Der Kampf um das Frauenstimmrecht wurde aber auch hierzulande bereits seit dem 19. Jahrhundert geführt. Zwischen 1919 und 1969 wurde in zwölf Kantonen insgesamt 28 Mal über die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechts abgestimmt. Der Kampf dauerte lange, die Frauen zogen aber relativ zügig in die kantonalen Parlamente ein, wenn das Ziel einmal erreicht war.
Bereits bei den ersten kantonalen Wahlen mit Frauenstimmrecht in den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf nahmen in den sechziger Jahren Frauen in Parlamenten Einsitz. Die durchschnittlichen Frauenanteile in den kantonalen Parlamenten und im Nationalrat bewegten sich bis Ende der siebziger Jahre zwischen sechs und acht Prozent. Die Zehn-Prozent-Grenze überschritten die Frauen bei den Nationalratswahlen 1979 und Anfang der achtziger Jahre in den kantonalen Parlamenten. Die Zwanzig-Prozent-Grenze wurde in den neunziger Jahren erreicht, und bei den jüngsten Wahlen erreichten die Frauen im Nationalrat wie auch in den kantonalen Parlamenten einen Anteil von rund 24 Prozent.

Der «Brunner-Effekt»
Deutlich langsamer schritt die Frauenvertretung im Ständerat und in den – meist ebenfalls nach dem Majorzsystem gewählten – Kantonsregierungen voran. 1971 gelang nur einer einzigen Frau der Einzug in den Ständerat, sie wurde 1975 wieder abgewählt, womit die kleine Kammer nochmals zum reinen Männergremium wurde. Zwischen 1979 und 1995 hielten die Frauen drei bis fünf Sitze im 46-köpfigen Ständerat. 1995 wurden acht Frauen gewählt und 1999 neun, womit der Frauenanteil in der kleinen Kammer zurzeit bei knapp 20 Prozent liegt. – 1983 wurde mit der Zürcher Sozialdemokratin Hedi Lang zum ersten Mal eine Frau in eine Kantonsregierung gewählt (ein Jahr später nahm übrigens mit der Zürcher Freisinnigen Elisabeth Kopp die erste Frau im Bundesrat Einsitz). In den achtziger Jahren wuchs die Frauenvertretung in den kantonalen Regierungen kaum: Noch 1990 standen insgesamt sechs Frauen 160 Männern gegenüber, was einem Frauenanteil von vier Prozent entsprach.
Im Zuge der Diskussionen um die Untervertretung der Frauen, welche sich an der Nichtwahl der Genfer Sozialdemokratin Christiane Brunner in der Bundesrat von 1993 entzündet hatten, ging es auch in den Kantonsregierungen voran: 1994 waren über zehn, 1997 über zwanzig und 1999 mehr als dreissig Frauen in einer Kantonsregierung vertreten. Die 30 gegenwärtig amtierenden Regierungsrätinnen ergeben einen Frauenanteil von knapp zwanzig Prozent.

Regionale Unterschiede
Von den insgesamt 28 Volksabstimmungen über die Einführung des kantonalen Frauenstimmrechtes, die zwischen 1919 und 1969 durchgeführt wurden, fanden 22 in den Kantonen Waadt, Neuenburg und Genf sowie in den beiden Basel, im Tessin und in Zürich statt. In diesen Kantonen (ausgenommen Zürich) wurde das kantonale Frauenstimmrecht denn auch schon in den fünfziger oder sechziger Jahren eingeführt. Die lateinischen Kantone, die beiden Basel und Zürich bilden heute noch die Avantgarde, wenn es um Volksabstimmungen über frauenpolitische Themen geht. Zurückhaltender in frauenpolitischen Fragen zeigen sich die meisten Kantone der Zentral- und Ostschweiz. Dieses regionale Abstimmungsmuster zeigt sich allerdings weniger deutlich im Wahlverhalten. Die einzigen Kantone, die seit 1971 im Nationalrat immer mindestens mit einer Frau vertreten waren, sind Zürich, St. Gallen und Luzern. In diesen Kantonen wurden auch prozentual am meisten Frauen gewählt. Noch nie eine Frau in den Nationalrat schickten Zug sowie die Majorzkantone Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus und Appenzell-Innerrhoden.
Im Ständerat waren in den letzten dreissig Jahren nur gerade zehn Kantone zumindest vorübergehend mit einer Frau vertreten, namentlich Genf, Zürich und Luzern. In den Kantonsparlamenten finden sich die höchsten Frauenanteile in Genf, den beiden Basel, Appenzell Ausserrhoden und Obwalden. Unterdurchschnittlich sind die Frauen in den Kantonsparlamenten des Tessin, von Glarus, Schwyz und Wallis vertreten.
Spät und langsam erfolgte der Einzug der Frauen in die Kantonsregierungen. Ab der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurden jedoch in fast allen Kantonen Regierungsrätinnen gewählt. Noch nie eine Frau in die Kantonsregierung gewählt haben nur Nidwalden, Schaffhausen und das Wallis.
In den siebziger Jahren gehörten die meisten gewählten Frauen im Nationalrat und in den Kantonsparlamenten einer der drei Bundesratsparteien FDP, CVP und SPS an. Mit dem Aufkommen der Grünen und der Hinwendung der SPS zu den neuen Mittelschichten erfolgte in den achtziger Jahren eine eigentliche Feminisierung der rotgrünen Parteien. Seit 1983 stellen die SPS und die Grünen mehr als die Hälfte aller Nationalrätinnen, obwohl diese Parteien im Nationalrat zusammen nur einen Viertel bis einen Drittel aller Mandate innehaben. Bei den bürgerlichen Parteien stagnierte die Zahl der Parlamentarierinnen oder wurde gar kleiner. Bei den jüngsten Wahlen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente kündigte sich bei den bürgerlichen Parteien allerdings eine Differenzierung an: Die Frauen der FDP und der CVP sind am Aufholen und haben die Zwanzig-Prozent-Hürde übersprungen. Die Frauen der SVP und der Rechtsparteien dagegen haben weiterhin einen schweren Stand.

Im Ständerat und in den Kantonsregierungen halten die SP und die Grünen nur wenige Mandate, so sind in diesen Gremien vor allem bürgerliche Frauen vertreten. Im Ständerat gehören gegenwärtig sieben der neun Frauen der FDP an. Seit 1995 stellt die FDP auch über 40 Prozent aller Frauen in kantonalen Regierungen. 
  
 

* Werner Seitz, Politologe, leitet als wissenschaftlicher Adjunkt im Bundesamt für Statistik den Bereich «Wahlen und Abstimmungen» und ist Autor mehrerer Studien über die Frauenrepräsentation in den politischen Institutionen