Startseite > Frauen in der Politik > Frauen Politik/Gesellschaft > Diverses zu Frauen in der Politik und in der Gesellschaft

Werner Seitz, Bundesamt für Statistik, Neuchâtel.  

Rezension:
«Hofmann-Conrad, Silvia, Sina Bardill Arn, Silke Redolfi und Katharina Belser (2004). Politische Partizipation von Frauen in der Gemeindepolitik Graubündens», Zürich, Chur: Verlag Rüegger, 201 Seiten,
in Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 11/2005, Nr. 1, S. 192–194.


==>pdf

Obwohl sich die Gender-Forschung in den letzten Jahren an den meisten Universitäten etabliert hat, werden immer noch wichtige Forschungsarbeiten über die politische Gleichstellung von den Gleichstellungsbüros der Kantone und des Bundes initiiert und teilweise auch realisiert. Besonders aktiv im Bereich der Politik und der Frauengeschichte war in jüngster Zeit die Stabstelle für Gleichstellungsfragen des Kantons Graubünden.

 

Eine sorgfältig erarbeitete Broschüre über die politische Vertretung der Frauen in den Gemeinden Graubündens hatte für das Jahr 2000 ein ernüchterndes Ergebnis zu Tage gefördert: Der Frauenanteil in den Gemeindevorständen betrug gerade 16% und in den Gemeindepräsidien 4% (Stabstelle 2000). Dieser Befund war für die Stabstelle Grund genug, ein Projektteam von vier Sozialwissenschafterinnen zu beauftragen, um herauszufinden, weshalb sich Frauen in der Gemeindepolitik so schwach beteiligten. Liegt dies an ihnen selber oder an den vorherrschenden gesellschaftlichen Strukturen. Der Fokus der Untersuchung sollte sich dabei nicht auf die gewählten Frauen richten, sondern auf die Bürgerinnen.

Das Herz der Studie bildet denn auch eine Umfrage, welche bei 641 Bündner Frauen durchgeführt wurde. Diese Frauen wurden jedoch nicht mit einem repräsentativen Verfahren ausgewählt. Sie stammen aus den vier Gemeinden Domat‑Erns, Vaz/Obervaz, Vella und Schnaus, welche sich bereit erklärt hatten, den umfangreichen Fragebogen ihren Bürgerinnen abzugeben (der Rücklauf lag bei 19%). Da diese Gemeinden alle in Nordbünden liegen, sind die Resultate wohl kaum repräsentativ für die Frauen in Graubünden. Die Autorinnen sprechen in diesem Zusammenhang denn auch von «zufälliger Freiwilligkeit». Nichtsdestoweniger stellen die befragten Frauen der vier Gemeinden wertvolle Fallbeispiele für verschiedene Gemeindetypen, namentlich solche mit einem Parlament und solche mit einer Gemeindeversammlung, dar.

In einem ersten Themenkreis analysieren die Autorinnen das Interesse der Frauen an der Politik im allgemeinen und an der Gemeindepolitik im besonderen. Dass sich 80% der antwortenden Frauen als politisch interessiert bezeichneten, verwundert angesichts des freiwilligen Charakters der Untersuchung kaum. Etwas überraschen mag dagegen der Befund, dass Gemeindepolitik bei den antwortenden Frauen doppelt so populär ist wie kantonale und eidgenössische Politik (die Frauen jedoch, die sich als politisch stark interessiert bezeichneten, interessierten sich mehr für die eidgenössische als für die kantonale Politik).

Fast alle befragten Frauen bezeichneten sich als sozial gut integriert und rund die Hälfte als gesellschaftlich engagiert; vor allem in Frauen‑ oder Sportvereinen. Diese doch hohen Anteile dürften charakteristisch für Frauen in ländlichen Gemeinden sein und die Feststellung der Autorinnen, dass hier Potenzial brach liege, das für die Politik fruchtbar gemacht werden könne, dürfte zutreffen. Dieser angesichts der Gleichstellungsproblematik «nicht Defizit‑orientierten», sondern auf Ressourcen ausgerichteten Sichtweise stellt sich allerdings das Problem entgegen, dass bei den befragten Frauen die Sympathie für Parteien nicht besonders ausgeprägt ist.

In einem zweiten Themenkreis werden die aktuelle Situation und die hemmenden und fördernden Faktoren einer politischen Karriere von Frauen erörtert. Die Autorinnen bestätigen hier die Befunde der Untersuchung von Sibylle Hardmeier (2000) über die Karriereverläufe und Aufstiegsmuster von Parlamentarierinnen: Die Bereitschaft ein politisches Amt zu übernehmen ist bei den Frauen durchaus vorhanden, sie müssen jedoch angefragt werden, um diesen Schritt dann tatsächlich zu wagen. Das Hauptmotiv für das Abseitsstehen der Frauen verbirgt sich gemäss der Bündnerinnen‑Studie im mangelnden Selbstvertrauen der Frauen. Dieses scheint bedeutender zu sein als das häufig vorgetragene Motiv, Frauen hätten zu wenig Zeit für die Politik. Begegnet werden kann diesem Hindernis, indem – so die Antworten – den Frauen, die sich für den Einstieg in die Politik interessieren, fachliche und sachliche Unterstützung angeboten wird (Kurse in Sitzungsleitung, Protokollführung, Einführungs‑ und Vertiefungskurse in Sachthemen bis hin zur Begleitung durch MentorInnen).

Demokratietheoretisch und auch politisch brisant dürfte der Befund sein, dass sich von den antwortenden Frauen in Gemeindeangelegenheiten fast 75% regelmässig an die Urne begeben (in Dornat/Erns und Vaz/Obervaz), aber weniger als 20 % regelmässig an den Gemeindeversammlungen teilnehmen (in Vella und Schnaus). Behindert also die direktdemokratische Institution der Gemeindeversammlung die Frauenpartizipation? Die erhobenen Daten scheinen diesen Schluss zu stützen. Allerdings müsste zur Kontrolle auch die politische Partizipation der Männer in diesen beiden Gemeindetypen untersucht werden.

Die gewonnenen Erkenntnisse wurden in zehn ausführlicheren Interviews vertieft. Aufhorchen lässt hier die Bilanz von politisch bereits erfahrenen Frauen: Der Lerneffekt und die Erfahrungen bei der Zusammenarbeit werden positiv beurteilt, es überwiegen jedoch insgesamt die negativen Erfahrungen: Der Zeitaufwand wird als zu gross empfunden, vor allem in Anbetracht des Outputs. Dass Frauen in der Politik kritischer begutachtet werden als Männer – gerade auch von Frauen – wird ebenfalls unter den negativen Erfahrungen abgebucht.

Abgeschlossen wird die Studie mit Empfehlungen an Gemeinden und Parteien. Gleichstellung soll auch von oben gefördert werden und in den Gemeinden «Chefsache» werden. Die Parteien wiederum sollten aktiv auf die Frauen zugehen und sie beim Einstieg in die Politik tatkräftig unterstützen. Um die politische Partizipation in den Gemeinden zu verbessern, wird schliesslich eine «Volksanregung» vorgeschlagen, die es einer bestimmten Anzahl von Personen (SchweizerInnen und AusländerInnen ab 14 Jahren) erlaubt, mit ihrer Unterschrift zu verlangen, dass sich der Gemeinderat mit einem bestimmten Vorschlag auseinandersetzt.

Die Autorinnen haben mit ihrer Studie gute Arbeit geleistet und diese ist zu würdigen. Sie haben interessante Fragen gestellt und – soweit möglich – auch beantwortet. Dennoch seien abschliessend zwei kritische Anmerkungen erlaubt. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie hätten sorgfältiger präsentiert werden sollen. Der Text ist über weite Teile schlecht strukturiert, er oszilliert zwischen Tabellenbeschreibung und Thesenbildung. Die viel zu vielen Tabellen im Text (82 an der Zahl) wirken störend, vor allem auch, weil ein grosser Teil von ihnen nicht über das Niveau von Häufigkeitsverteilungen hinauskornmt. Die wohl als Struktur-Element gedachten «Kommentare» hätten den Text noch etwas gliedern können – sie verbleiben jedoch meistens auf der Ebene von «kopieren/einfügen»-Zusammenfassungen. Mit dieser doch etwas missglückten Präsentation hat der Verlag wohl am falschen Ort Geld gespart. Die Studie hätte ein gründliches Lektorat nötig gehabt. 

Die vorliegende Studie entstand nur dank dem Einsatz und der Innovationskraft der Bündner Stabstelle für Gleichstellung und sie bleibt auf Graubünden beschränkt. So sei abschliessend die Frage gestellt, ob es Sinn macht, dass jedes Gleichstellungsbüro eigene Analysen über die Diskriminierung der Frauen in der Politik erstellt. Wäre es nicht sinnvoller, das grosse Wissen dieser Sozialwissenschafterinnen gesamtschweizerisch zu bündeln, allenfalls mit regionalen Schwerpunkten? Dann würde sich auch der Aufwand lohnen, die einzelnen Befunde mit den aktuellen politikwissenschaftlichen Ergebnissen zu vergleichen und zu diskutieren

 

Bibliographie

Stabstelle für Gleichstellungsfragen des Kantons Graubünden (2000). Frauen in den Gemeinden Graubündens 2000. Chur: Stabstelle.

Hardmeier, Sibylle, Bettina Nyffeler, Regula Burri und Barbara Sommer (2000). Am Anfang war die Anfrage. Karriereverläufe und Aufstiegsmuster von Berner Grossrätinnen und Grossräten. Bern: Kantonale Fachstelle für Gleichstellung.