Werner Seitz
Die Frauen bei den Nationalratswahlen 1999: «Eine Mehrheit in der Minderheit»,
in B-Post. Nachrichten von der kleineren Hälfte, hg. von der Stiftung Märtplatz, Freienstein 2000, S. 4–7.
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Wie? Frauen seien eine Minderheit? Was die politschen Institutionen betrifft, ja. Mit Zahlen und Tabellen wird hier exemplarisch gezeigt: Gegenüber der Mindermehrheit Männer sind sie immer noch höchst untervertreten. Allerdings sind sie höchst unterschiedlich untervertreten. Es gibt allerdings grosse parteipolitische und regionale Unterschiede.

In der Schweiz leben zur Zeit 3,7 Mio Frauen und 3,5 Mio Männer; von diesen sind 2,4 Mio Frauen und 2,2 Mio Männer stimm- und wahlberechtigt, das heisst sie haben einen Schweizer Pass und sind 18-jährig oder älter. Die Frauen machen also sowohl unter der Wohnbevölkerung (mit 51,2%) als auch unter den Wahlberechtigten (mit 53,1%) die Mehrheit aus. Auf dem Weg in die politischen Institutionen sind die Frauen jedoch von Stufe zu Stufe schwächer vertreten: Wie Grafik1 zeigt, sind die Frauen zum Beispiel unter den Kandidierenden für den Nationalrat bereits eine Minderheit mit rund einem Drittel und unter den Gewählten gar mit knapp einem Viertel (Werte der Nationalratswahlen 1999).

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Bei den Nationalratswahlen 1999 bewarben sich 983 Frauen und 1862 Männer um ein Mandat; der Frauenanteil auf den Wahllisten betrug 34,6% und war damit erstmals seit 1971, seit sich Frauen an Wahlen beteiligen können, leicht rückläufig. Den Sprung in den Nationalrat schafften 47 Frauen und 153 Männer (Frauenanteil: 23,5%), was einer Steigerung um 2 Prozentpunkte gegenüber den letzten Wahlen von 1995 gleichkommt.

Mehr Frauen der rot-grünen Parteien im Nationalrat
Analysieren wir anhand von Grafik 2 die Parteizugehörigkeit der 1999 gewählten Frauen, so stellen wir fest, dass mehr als die Hälfte der 47 Nationalrätinnen zur SPS (20 Frauen) oder zu den Grünen (6) gehören. Dagegen sind die Frauen in der Nationalratsdeputation der bürgerlichen Parteien und der Rechtsparteien nur spärlich oder gar nicht vertreten: Bei der FDP sind es neun Frauen (und 34 Männer), bei der CVP acht Frauen (und 27 Männer) und bei der SVP drei Frauen (und 41 Männer); eine Frau findet sich noch in den Reihen der LPS. Alle übrigen Parteien delegieren ausschliesslich Männer in den Nationalrat.

Betrachten wir das zahlenmässige Verhältnis der 1999 gewählten Frauen und Männer innerhalb der einzelnen Parteien, so sind die Frauen bei den Grünen in der Mehrheit (mit 67%), gefolgt von den Frauen der SPS (mit 39%). Einen Anteil von etwas mehr als 20% erreichen die Frauen in der FDP und der CVP, bei der SVP machen die Frauen nur gerade noch 7% aus. Ausschliesslich aus Männern bestehen die aktuellen Abordnungen der PdA und des LdU sowie der kleinen Rechtsparteien (SD, EDU, Lega), der EVP und der CSP; bei letztgenannten fünf Parteien wurde noch nie seit 1971 eine Frau in den Nationalrat gewählt.
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Frauen kamen nicht immer von links
Das festgestellte Verteilungsmuster der 1999 gewählten Frauen – viele gewählte Frauen bei den Grünen und bei der SP, deutlich weniger Frauen bei den bürgerlichen Parteien, keine Frauen bei den Rechtsparteien – bestand nicht von Anfang (1971) an, sondern hat sich im Verlaufe der Achtziger- und Neunzigerjahre herausgebildet. Die Siebzigerjahre kannten noch ein anderes Verteilungsmuster der gewählten Frauen: Damals gehörten die meisten gewählten Frauen (90% oder mehr) einer der drei grossen Bundesratsparteien (FDP, CVP, SPS) an. In den Achtzigerjahren stieg jedoch auf den Wahllisten der SPS und der POCH bzw. der Grünen die Zahl der gewählten Frauen, während sie bei den bürgerlichen Parteien stagnierte oder gar kleiner wurde. So stammen denn seit 1983 mehr als die Hälfte aller Nationalrätinnen aus den Reihen der SPS und der POCH bzw. der Grünen, obwohl diese Parteien im Nationalrat zusammen nur einen Viertel bis einen Drittel aller Mandate innehaben.

Morgenröte für die Frauen der CVP und der FDP?
Bei den jüngsten Nationalratswahlen von 1999 hat sich eine Differenzierung angekündigt, und zwar bei den bürgerlichen Parteien: Die Frauen der FDP und der CVP sind am Aufholen –  sie haben 1999 erstmals in ihrer Geschichte die 20%-Hürde genommen –, dagegen dürften die Frauen der SVP mit einem Anteil von unter 10% (wie auch die Frauen der anderen Rechtsparteien) bei den Parlamentswahlen weiterhin einen schweren Stand haben.

Ein Blick in die Kantone: Zürich mit den meisten gewählten Frauen
In zehn der 26 Kantone wurden ausschliesslich Männer in den Nationalrat gewählt: Es sind dies die fünf kleinen Majorzkantone (UR, OW, NW, GL, AI) sowie die Kantone Zug, Schaffhausen, Thurgau, Wallis und Jura. In 16 Kantonen hingegen wurden Frauen gewählt. Wie Grafik 3 zeigt, schaffte je eine Frau den Sprung in den Nationalrat in sieben Kantonen (SZ, SO, BS, AR, GR, TI, NE), je zwei Frauen in drei Kantonen (LU, FR, BL) und je drei  in drei Kantonen (AG, VD, GE). Vier Frauen wurden in St. Gallen gewählt, sieben in Bern und – der absolute Spitzenwert – 14 in Zürich (diese gewählten Zürcher Frauen verteilen sich auf folgende Parteien: SP: 8, FDP: 2, CVP: 2, SVP: 1, GP: 1).


 

Vergleichen wir nun das zahlenmässige Verhältnis der Frauen und Männer innerhalb der einzelnen Kantone, so wurden prozentual am meisten Frauen (mehr als 40%) in Appenzell Ausserrhoden und in Zürich gewählt. Zwischen 30% und 40% lag der Frauenanteil in Schwyz, Freiburg und St. Gallen, und zwischen 25% und 30% in Bern, Basel-Landschaft und Genf. Unter dem nationalen Durchschnitt von 23,5% lag der Frauenanteil in acht Kantonen (LU, SO, BS, GR, AG, TI, VD, NE) sowie in den oben erwähnten zehn Kantonen mit keiner Nationalrätin.

Das Nadelöhr der Wahl

1. Die Frauen machen in der Wohnbevölkerung und unter den Wahlberechtigten die Mehrheit aus, auf den Wahllisten sind sie – mit einem Drittel – nur noch halb so stark vertreten wie die Männer. Es besteht also erstens ein «Nominationsproblem» für Frauen: Wenn die Parteien im Vorfeld der Wahlen ihre Kandidaturen bestimmen, schaffen die Frauen den Sprung auf die Wahllisten weniger gut als die Männer.

2. Frauen werden nicht nur weniger häufig als Kandidatinnen nominiert, sie erhalten auch weniger Stimmen und noch weniger Mandate. Es besteht also zweitens auch ein «Wahlproblem» für Frauen; das «Nadelöhr» der Wahl wird von den Kandidatinnen weniger leicht passiert als von den Kandidaten. Die «statistische» Chance, gewählt zu werden, war 1999 für die Frauen 1,7-mal kleiner als für die Männer. Das Wahlproblem stellt sich bei den Frauen fast aller Parteien, ausgenommen bei den Grünen; diese haben allerdings nur wenige Mandate.
 
 
 
 


Bestimmungen in der Bundesverfassung über die Gleichstellung von Frauen und Männer
Seit die Schweiz 1971 als eines der letzten Länder Europas in einer Volksabstimmung das Frauenstimm- und -wahlrecht einführte, sind Frauen und Männer  politisch gleichgestellt. 1981 wurde zudem in einer Volksabstimmung der sogenannte «Gleichstellungsartikel» gutgeheissen, wonach direkte und indirekte Diskriminierungen beseitigt und die tatsächliche Gleichstellung im familialen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umfeld verwirklicht werden soll.

 


 
 
 


Da sagte doch Hans Fehr von der Zürcher SVP bei den Diskussionen des Nationalrates im Herbst 1998, als es darum ging, den Frauenanteil auf den Wahllisten mittels Quote auf einen Drittel zu heben:  Frau von Felten, Sie werden 1999 noch vor Neid erblassen darüber, was die Zürcher SVP mit ihren Frauen zustande bringen wird. Sie werden vielleicht bei den Grünen Erfolg haben – wir bei der SVP! Vor Neid überhaupt nicht erblassen musste sie: Im Kanton Zürich sank nämlich der Anteil der gewählten SVP-Frauen von elf auf acht Prozent – eine Frau und zwölf Männer. Der Frauenanteil in der SVP ging auch in der gesamten Schweiz zurück: Machten die Frauen in der SVP-Abordnung im Nationalrat 1995 noch 10,3 Prozent aus – das sind drei Frauen und 26 Männer, so betrug er 1999 ganze 6,8 Prozent – das sind dann noch drei Frauen und 41 Männer.
Gut aufgepasst, gell!

Ihre Minder Heidi


 


 

* Werner Seitz
Dr. phil., Politologe, Bern, leitet im Bundesamt für Statistik den Bereich «Wahlen und Abstimmungen» 
und verfasste mehrere Studien zum Thema «Frauen und Wahlen».

siehe auch Kurstätigkeit

Bild: Oliver Agner